Richterspruch

Der Richterspruch spezial: Das Jahr 2010

von
Christian Richter lässt abstimmen: Wer wird Liebling des Jahres 2010? Und was war der Haufen 2010?

Nominierungen für den „Liebling des Jahres“

«In Treatment»


Eine Praxis, ein Stuhl, ein Sofa und zwei bis drei Menschen. Minimalistischer kann eine Serie kaum sein, aber auch nicht intensiver. Der Zuschauer ist bei den ungekürzten Sitzungen des Psychotherapeuten Dr. Paul Weston (Gabriel Byrne) dabei und erlebt hautnah das Auf und Ab der Patienten. Durch die Reduktion auf vier wiederkehrende Charaktere gelingt es den Autoren einen tiefgreifenden Einblick in deren Gefühlswelt zu offenbaren, der gänzlich ohne Klischees auskommt. Dass der Therapeut selbst in Behandlung ist und mit seiner Beraterin die Fälle der Woche bespricht, verleiht der HBO-Produktion eine zusätzliche, spannende, zweite Ebene. Ab 21. Februar 2011 zeigt 3sat montags gegen Mitternacht die zweite Staffel.

«Urteil Mord»


Viel zu selten kommt es vor, dass Privatsender ambitionierte Dokumentationen in ihrem Programm ausstrahlen. Solchen Mut bewies Sat.1 ab 07. März mit der sechsteiligen Reihe, in der sich Produzent Günter Stampf zusammen mit dem Kriminalpsychologen Dr. Thomas Müller auf die Suche nach den Hintergründen zu grausamen Tötungsdelikten begab. Diese arbeitete er jedoch nicht wie derzeit üblich forensisch auf, sondern psychologisch und besuchte die Täter im Gefängnis, welche so die Gelegenheit erhielten ihre Verbrechen zu erklären. Dabei geht der Psychologe schonungslos, direkt und angstfrei vor und äußerte auch berechtigte Zweifel an erfolgten Verurteilungen. Dem Sender ist es hoch anzurechnen, dass er die Dokumentation nicht im Nachtprogramm, sondern auf einem prominenten Sendeplatz am Sonntagabend zeigte.

«Hart aber fair»


Am Mittwoch, den 31. März, beherrschte das Thema Scientology viele deutsche Wohnzimmer, denn das Erste strahlte einen Fernsehfilm zur umstrittenen Glaubensgemeinschaft aus. Anschließend diskutierte Frank Plasberg mit seine Gästen weiter. Unter ihnen war auch der Pressesprecher von Scientology Jürg Stettler, der sich ausführlich äußern durfte. Der Redaktion der Sendung ist es hoch anzurechnen, dass sie sich trauten mit der Organisation und nicht nur über sie zu reden. Auch war der Umgang mit dem Vertreter weitestgehend wertungsfrei und neutral. Plasberg konfrontierte ihn zwar mehrfach mit kontroversen Aussagen seiner Gemeinschaft, doch das ist erlaubt und in der Sendung auch bei weniger umstrittenen Gästen üblich. Letztendlich gelang es so, dass sich Stettler mehrfach selbst entlarvte, was erheblich wirkungsvoller war. Das war sehr gute journalistische Arbeit des gesamten Teams.



Uta-Ranke Heinemann


Am 15. April 2010 diskutierte Markus Lanz in seiner ZDF-Sendung über das fünfjährige Amtsjubiläum des deutschen Papstes. Unter den Gästen war neben Michel Friedman auch die Theologin und ehemalige Bundespräsidenten-Kandidatin Uta Ranke-Heinemann eingeladen, die in der Vergangenheit immer wieder für lebhafte Fernsehauftritte sorgte. Sie ist bekennende Kirchkritikerin und hat deswegen neben vielen anderen Sanktionen auch ihren Lehrstuhl verloren. Bei «Markus Lanz» unterbrach sie die Diskussion immer wieder um ihre kritischen Ansichten zu äußern. Nachdem der Moderator sie bat, sich zu beruhigen, geriet sie in große Rage und wandte sich fortan mit dem Rücken zu den Kameras nur noch an das Studiopublikum. Immer wieder riet sie dazu bei YouTube den Film «Sex, Crimes und Vatican» aufzurufen, der zahlreiche Skandale aufdecken würde. Unabhängig davon, ob man ihre Position teilt und unterstützt, war es sehr wohltuend in den immer braveren Talkshows endlich wieder jemanden zu sehen, der seine Position mit Leidenschaft vertritt. Diese Leidenschaft macht Uta Ranke-Heinemann zu einem Kandidaten für den Liebling des Jahres.



«Ahnungslos - Das Comedyquiz mit Joko und Klaas»


Das Konzept der Sendung ist nicht neu, denn Mario Barth präsentierte es bereits vor einigen Jahren und auch im Privatradio sind derartige Rubriken häufig zu hören. Doch die aktuelle Neuauflage von ProSieben unterscheidet sich von ihren Vorgängern durch eine Kooperation mit der Bundeszentrale für Politische Bildung, die auf diesem Wege der wachsenden Politikverdrossenheit der Jugend begegnet. Daher stammen die meisten Quizfragen aus dem politischen Bereich und können auf diese Weise Zuschauern gestellt werden, die Frank Plasberg bisher gemieden haben. Zusätzlich werden einige Kurzinfos zu den jeweiligen Antworten eingeblendet. Ein allzu großer Lerneffekt ist dadurch sicher nicht zu erwarten und der informative Anteil könnte deutlich höher ausfallen. Die Zusammenarbeit ist aber ein Schritt in die richtige Richtung und wenn sie nur dazu dient zu beweisen, dass man sich mit Politik befassen und trotzdem cool und witzig sein kann.

Nominierungen für den „Haufen des Jahres“

«Exclusiv – Die Reportage»


In der Reportagereihe wurde einmal mehr das Konzept der Unternehmensretter aufgegriffen. Nach Restaurants, Hotels und Friseuren widmeten sich jedoch Michael Beretin und Ulla Oberender ernsthaft der Rettung eines Bordells – samt Renovierung der Bums-Höhlen, Hygiene-Check und Probe-Beischlaf. Das Niveau von «Rotlichtexperten im Einsatz – Deutsche Bordelle in Not» hatte man eigentlich gehofft nicht mehr bei RTL II sehen zu müssen.

Teleshopping vom Warenhaus Pearl


Regelmäßig informiert der Versandhandel im Rahmen seiner Verkaufssendung im Vormittagsprogramm von RTL II über neue Produkte. Dort wurde am 11. März 2010 eine Minikamera angeboten, die in einem Kugelschreiber versteckt war und sich so unauffällig in jeder Brusttasche positionieren ließ. Doch wie kann man diese offensichtliche Spionkamera am besten legal anpreisen? Dass man damit wunderbar spannen kann, ist zwar die Wahrheit, aber nicht die beste Taktik. Die Moderatoren nannten als Anwendungsbeispiel tatsächlich bei vollem Ernst folgendes Szenario: Man solle sich vorstellen mit seinen Kindern im Zoo zu sein. Wenn man nun ein Kind auf den Arm nehmen würde, hätte man keine Hand mehr frei, um Fotos oder Videos machen zu können. Dank der Kugelschreiber-Kamera sei dies jedoch trotzdem möglich. Schön, dass wir das geklärt haben.

David Hasselhoff im «Musikantenstadl»


Schon in der Woche zuvor tingelte Hasselhoff durch Shows wie «TV Total» oder «Markus Lanz», doch das Highlight sollte erst am 24. April 2010 in der Volksmusiksendung folgen. An diesem Abend feierte er offiziell sein wiederholtes Comeback – diesmal vor Rentnern und Volksmusikfans. Während seines Auftritts wurde der gefallene Star nicht müde zu betonen, dass er eine Autobiografie geschrieben habe und nach seinem Fall wieder aufgestanden sei. Diese ewig gleichen Aussagen, seine ewig gleichen deutschen Brocken und das ewig gleiche Glitzersakko waren eigentlich schon unerträglich genug, doch die Macher der Volksmusiksendung setzten noch einen drauf. Sie überspitzten seine Selbstdarstellung mit einer Überraschungs-Botschaft von Davids Vater, der zu allem Überfluss auch noch ein österreichisches Trachtenhemd trug. Die „Verblüffung“ spielte Hasselhoff derart unglaubwürdig, dass es kaum auszuhalten war. Zum großen Finale durfte er dann noch seinen legendären Hit „Looking For Freedom“ zusammen mit Andy Borg, der seinen Anteil in deutsch sang, in bestem Playback interpretieren. Was für ein Comeback!



«Kripo Live»


Normalerweise wird versucht in solchen Fahndungssendungen ähnlich wie bei «Aktenzeichen XY... ungelöst» spektakuläre und besonders hinterhältige Taten aufzuklären. Nicht so in der Sendung vom MDR. Dort wurden in der Ausgabe vom 16. Mai 2010 Zeugen für den Vandalismus am kleinen Bruder des größten funktionierenden (!) Nussknackers der Welt gesucht. Das grausame Verbrechen wurde entsprechend dramatisch in Szene gesetzt und vom Sprecher kommentiert. „[Der Nussknacker] befindet sich in einem erbärmlichen Zustand, denn Unbekannte haben ihn übel zugerichtet. [...] An besagtem Morgen wurde er nach 03:00 Uhr aus seinem Häuschen herausgedrückt und lag schließlich in Einzelteilen auf der Straße.“ Bisher fehlt von den Tätern noch jede Spur. Doch wie soll es nach diesem Trauma weitergehen? Auch darauf fand der Bericht die passende Antwort: „Sollte das riesige Einzelstück nun jeden Abend in einen Schuppen gebracht werden? Schwer vorstellbar und sehr aufwendig, aber angesichts rücksichtsloser Zeitgenossen wohl notwendig.“

Doch damit nicht genug. In der selben Ausgabe wurde zusätzlich um die Mithilfe der Aufklärung des Diebstahls einer Heiligenfigur aus einer Kirche in Quedlinburg gebeten. Ein Fall, der nicht minder dramatisch war: „Aus dem Sockel ragen nur noch Schraubenreste heraus. Jemand hat sich an der hölzernen Statue vergriffen, sie abgebrochen und gestohlen.“ Ironischerweise handelt es sich bei der Figur um ein Abbild des heiligen Antonius – dem Heiligen für diejenigen, die etwas verloren haben. Gleichzeitig ist er jedoch auch der Schutzpatron der Bäcker, Bergmänner und Sozialarbeiter und er soll bei Krankheiten helfen. Wieso also sollte jemand ausgerechnet diese Figur klauen? Nach Ansicht des MDR kann es dafür nur eine Erklärung geben: „War jemand zornig, weil Antonius nicht geholfen hat?“ Sachdienliche Hinweise nimmt die Kripo in Quedlinburg entgegen.

«Unter Uns»


Im September 2010 wurde innerhalb der RTL-Soap die Rolle der Anna Weigel zum zweiten Mal umbesetzt. Um diesen Recast inhaltlich plausibel zu machen, erlitt die „alte Anna“ einen tragischen Unfall, bei dem sie sich durch heißes Frittierfett das Gesicht verbrannte. Es waren dadurch mehrere Operationen nötig, die ihr Gesicht so sehr veränderten, dass sie nicht einmal mehr von ihrer Mutter erkannt wurde. Selbstverständlich blieb nach der OP nur das neue Gesicht und nicht etwa eine Narbe zurück. Dafür schrumpfte die Figur um ein paar Zentimeter und bekam eine neue Augenfarbe. Das sind Geschichten, die das Leben schreibt...


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