360 Grad

Der Lotse geht von Bord

von
Keith Olbermann hat die Brocken hingeschmissen. Wie geht es in der US-Politjournalistenwelt nun weiter?

Dass es eine Überraschung war, ist untertrieben. Keith Olbermanns Ankündigung in seiner Sendung vom 21. Januar, dass jene Ausgabe von «Countdown» bei MSNBC seine letzte sein würde, schockte die gesamte amerikanische Polit-Journalistenwelt. Nach seiner Suspendierung aufgrund von nicht von der Geschäftsleitung abgesegneten Spenden an demokratische Senats- und Repräsentantenhauskandidaten Ende Oktober wurde er als Folge einer Petition mit über einer Viertel Million Unterschriften sofort an den Moderationstisch zurückgeholt. Die Sache schien gegessen; es war Zeit, zurück zur Tagesordnung überzugehen. Doch bereits in diesen Tagen soll der „Political Commentator“ mit der Konzernspitze über das Ende seiner Show und seinen Ausstieg aus dem Unternehmen verhandelt haben. All das unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit.

Olbermann wird in der Berichterstattung über die politische Landschaft Amerikas schmerzlich fehlen. Er war einer der wenigen meinungsmachenden Stimmen in den USA, die nicht aus der erzkonservativen Ecke kamen. Gäbe es Rachel Maddow nicht, wäre das Feld nun vollkommen den lauten Demagogen wie Bill O'Reilly, Rush Limbaugh und Sean Hannity überlassen. Olbermann machte aus seinem politischen Standpunkt nie einen Hehl: George W. Bush bezeichnete er regelmäßig als Faschisten, er wetterte gegen die größtenteils irren Tea-Bagger, wo es nur ging, und redete rigoros gegen Hillary Clintons unvorsichtigen Sprachgebrauch während der letzten Präsidentschaftsvorwahlen an. Doch er machte Politiker, die er ablehnte, nicht aus rein ideologischen Gründen oder wegen einer politischen Agenda zum Thema. Er stützte sich auf die Fakten und sah – anders als irre Hetzer wie O'Reilly oder Limbaugh – davon ab, wirre Verschwörungstheorien zu spinnen. Olbermann bemühte sich um Wahrheitsfindung. Um das, was richtig ist. Und jegliches Fehlverhalten von Politikern oder Meinungsmachern deckte er schonungslos auf.

Mit diesen Eigenschaften und seiner brillanten Rhetorik erinnerte Olbermann stets an den legendären Journalisten Edward R. Murrow, der letzten freien Stimme in den Medien der USA zur Zeit von Joe McCarthys Kommunistenhetzjagd und dessen (versuchter) Unterdrückung der freien Presse. Murrow war einer der wenigen, die sich in diesem Umfeld der Angst offen gegen McCarthy stellten und auf die uramerikanischen Werte der vollständigen Meinungsfreiheit und des Rechts auf einen fairen Prozess pochten. Was McCarthys Agenda selbstredend zuwiderlief. Ähnliche Töne und Bemühungen fand man auch bei Olbermanns Umgang mit der Bush-Regierung und der Tea-Party-Bewegung, wenn zwar in ihrer Essenz thematisch abgeschwächt, dafür aber im Ton nur umso lauter.

„Facts matter!“, um es mit Olbermanns Kollegin Rachel Maddow zu sagen. Olbermann ist einer der letzten Politjournalisten Amerikas, für den diese Maxime uneingeschränkt gilt. Und der hat nun die Brocken hingeworfen. Das ist traurig. Und ja, auch in gewisser Weise erschütternd. Doch Olbermanns Karriere ist mit Sicherheit weit davon entfernt, beendet zu sein. Dafür ist seine Position als Meinungsmacher eine zu hohe. Das Horrorszenario Murrows, dass das Fernsehen zu „merely a bunch of wires and lights in a box“ verkommen könnte, hat sich in den all den Jahren seit seiner berühmten Rede nie bewahrheitet. Und das wird auch so bleiben, so lange Leute wie Olbermann und Maddow die Fackel der journalistischen Integrität im US-Fernsehen weitertragen. In diesem Sinne: Good Night, and Good Luck!

Mit 360 Grad schließt sich auch nächsten Freitag wieder der Kreis.

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