Kirschs Blüten

«Kirschs Blüten»: ‚Du Seuchenvogel!’

von
Wie BVB-Trainer Jürgen Klopp den regionalen Sportjournalismus vorführte.

Schon auf den Schulhöfen haben sie keinen leichten Stand: Wer dem Oberstudienrat die Aktentasche trägt oder freiwillig den Stoff der letzten Stunde wiederholt, wird von den Mitschülern schnell als „Schleimer“ verkannt. Auch bei manchem Pauker ist diese „Spezies“ nicht besonders beliebt. Andere vergeben dafür gute Kopfnoten. Denn immerhin ist das „Schleimen“ heutzutage eine Fertigkeit, die in der Arbeitswelt durchaus weiterhelfen kann. In der Praxis findet sie häufig dann ihre Anwendung, wenn man sich mit dem Geschäfts- oder Interviewpartner gut stellen möchte, denn von dem netten Kontakt könnte man ja mittel- oder langfristig noch profitieren. Der SWR kann in diesen Tagen wohl ein Lied davon singen. Denn nachdem Dortmunds Trainer Jürgen Klopp dem SWR-Reporter Stephan Mai vor laufender Kamera eine Interview-Absage erteilte, die sich gewaschen hatte, zeigte der öffentlich-rechtliche Sender wenig Fingerspitzengefühl. Rückendeckung für den aufgelaufenen Reporter: Fehlanzeige. Vielmehr hatte man – überspitzt gesagt - sich gar bei Klopp entschuldigt, dass man Mai überhaupt für dieses Interview angesetzt hatte. Sicherlich: Man wollte sich auch hier gut stellen mit dem Erfolgscoach aus Dortmund, denn wenn er (sehr wahrscheinlich) im Mai die Meisterschale hochrecken darf, will man ja vielleicht noch mit Klopp sprechen können oder seinen Werdegang vom Aufstieg mit Mainz bis zum Überflieger der Bundesliga nachzeichnen – am Besten mit O-Tönen. Das wäre doch was.

Was war eigentlich passiert? Rund 50 Auswärtsspiele hatte SWR-Reporter Stephan Mai in den vergangenen Jahren besucht, bei denen Klopp mitwirkte – schon zu seinen Zeiten in Mainz. Kein einziges davon hat Klopp gewinnen können. Jedes Mal wenn Mai anwesend war, reichte es allerhöchstens für ein Unentschieden. So auch am vorletzten Samstag, als Dortmund in Kaiserlautern in letzter Minute nur 1:1 spielte. Nun ist „Kloppo“ bestimmt nicht vom Aberglauben besessen, dennoch hatte er genug von der Pechsträhne, die ihm Stephan Mai offensichtlich einbrachte. Es passte aufs Auge: „Du Seuchenvogel!“, titulierte der BVB-Trainer. „Ihr habt 50 Leute beim SWR - und du kommst“, war Klopp jetzt aufgebracht und böse, wohl auch zu einem Großteil noch gefrustet von dem späten Ausgleich am „Betzenberg“.

Der sonst so nette und sympathische Fußballlehrer und Lieblings-TV-Experte der Deutsche mal rabiat und auf der Palme. Gut, auf die Palme bringen ihn manche Schiedsrichter-Entscheidungen auch gerne mal, doch sind das eben echte Emotionen, die zum Fußball gehören. Im Internet wurde der Klopp-Ausraster gegenüber Stephan Mai schnell zum echten Renner und hatte beispielsweise tausende „Gefällt mir“-Bekundungen bei Facebook eingebracht - da stahl er sogar dem neuen Account von Schalke-Trainer Felix Magath die Show. Punktgewinn 2.0 für den BVB! Und Stephan Mai? Stand neben Klopp wie ein reuiges Schoßhündchen, das am liebsten den Schwanz eingezogen und das Weite gesucht hätte, aber dennoch nur darauf wartete, dass der bissige Klopp nicht mehr bellte. Keine Widerworte, keine Empörung. Eben wie der „Schleimer“ in der Schule: Der (Fußball-)Lehrer wird schon Recht haben. Entsprechendes Verständnis zeigte Mai dann auch für die Klopp-Wut: „Ich sehe das nicht als schlimme Beleidigung. Mein Gott, es ist ihm halt rausgerutscht“, gab er einfach klein bei, outete sich sogar als Klopp-Fan und versprach: „Ich werde keines der Dortmunder Auswärtsspiele in dieser Saison mehr besuchen“. Somit hatte der „Seuchenvogel“ ausgezwitschert.

Eine Offenbarung des regionalen Sportjournalismus geht damit einher. Wie objektiv sind die Reporter noch, wenn sie um Stimmen am Spielfeldrand fast schon betteln müssen? Ja sich sogar „einschleimen“ müssen, um überhaupt ein Interview zu bekommen, da auch kein großer Sender den Rücken freihält? Wenn sich die Sender nicht vor ihre Reporter stellen, sondern lieber einmal verbal den „Gang nach Canossa“ antreten? Das fängt schon auf tiefster Ebene in der Kreis- bis Oberliga an. Der Berichterstatter der Lokalzeitung geht hier gerne mal mit dem Trainer des Dorfvereins in die Vereinskneipe und wird zum Hofberichterstatter. Natürlich kriegt er die Informationen dann aus erster Hand, nur eben die, die er ruhig veröffentlichen darf – oder gar soll. Kritische Fragen à la Klaus Töpperwien sind nicht gerne gesehen. Und durch die entstandene Verbundenheit mit dem Heimatverein sind die Grenzen zwischen Subjektivität und Objektivität so fließend geworden wie das kühle Blonde beim Vereinwirt.

Im lokalen Sportjournalismus ist das schon lange keine Seltenheit mehr. „Töppis“ Erben haben kaum noch Courage. Denn wer einmal objektiv berichtet oder etwaige Vorgänge kritisch hinterfragt, dem wird die Vereinstür auf ewig verschlossen bleiben. Weil Stephan Mai und der SWR sich eben jene offen halten wollen, gaben auch sie klein bei. Vielmehr noch: Die eindeutige Situation sollte entschärft werden. Klopps Ärger stieß sogar auf Verständnis. Da kann man nur noch mit dem Kopf schütteln. Denn selbstverständlich kann Mai nichts dafür, dass Klopps Team eben nicht gewinnen kann, wenn er dabei ist. Das ist Zufall oder Schicksal – wie man eben will. Natürlich hat er es auch nicht verdient den geballten Klopp-Frust abzubekommen – denn der sympathische BVB-Coach hat hier einfach überreagiert. Doch er kann es sich leisten. Die Fan- und Netzgemeinde freut sich darüber und kommt aus dem Lachen gar nicht mehr heraus. Denn in der Tat haben sich Stephan Mai und der SWR zu entschuldigen: Dafür, dass sie sich von Klopp haben vorführen lassen. Dafür dass sie jede Objektivität vermissen lassen. Dafür dass, sie eben „Schleimer“ sind – das Sinnbild des regionalen Sportjournalismus. Eine Lachnummer eben.

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