US-Fernsehen

Charlie Sheen: Winning or not?

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Wie nimmt der US-Blätterwald die Interview-Flut des «Two and a Half Men»-Stars auf? Wie ist die Stimmung in den Staaten?

Charlie Sheen - der Rockstar vom Mars. So sah sich der «Two and a Half Men»-Comedian in seiner Interview-Tour Anfang dieser Woche, nachdem seine Tirade gegen Produzent Chuck Lorre und CBS seine Runden im World Wide Web machte. Eine Woche ist vergangen und die Medien weltweit hatten genügend Zeit, um zu reflektieren, was überhaupt geschehen ist. Ist Sheen größenwahnsinnig geworden? Hat er mit seinem zum Humor mutierten Hass neue Fans hinzugewonnen? Oder ist er nur der bisher einzige Favorit unter den Amerikanern, die sich für das US-Präsidentenamt vorschlagen wollen? Eine Woche ist vergangen und hunderte von Internetmagazinen haben genügend Gags gesammelt, um nicht nur Charlie Sheen täglich auseinanderzunehmen, sondern auch die Erlebnisse vom Rest der Woche mit ihm zu verbinden. Eine Woche lang hat Sheen bewiesen, dass die Medien weitaus mehr an ihm interessiert sind, als an das sich anbahnende Chaos in Libyen.

Winning! Das ist das neue Motto in Sheenland und wie es aussieht, scheint dies nicht auf seinem Größenwahn zu beruhen. In der buchstäblichen Woche seines Lebens hat Sheen fast alles erreicht: TV-Zuschauer dankten ihm nicht nur, dass er für die Suspendierung der 08/15-Comedy «Two and a Half Men» verantwortlich ist, auch hat der berüchtigte Star mit seinen feuerspuckenden Fäusten inzwischen seinen eigenen Radiosender gewidmet bekommen (welcher sich 24 Stunden am Tag nur mit Charlie Sheen und den Hintergründen seiner Person beschäftigen wird). Und es dürfte so sicher wie das Amen in der Kirche sein, dass Sheen seine 10 Millionen Dollar für die Buchrechte demnächst bekommen wird. Man könnte meinen, dass es Sheen am Set von «Two and a Half Men» zu langweilig wurde und er gewissenhaft nach anderen Geldquellen suchte.

Die Erdenbewohner entwickelten jedoch schnell eine Abneigung gegen den Rockstar vom Mars. Während er in den ersten paar Tagen nach seinem Radiointerview mit Alex Jones noch belächelt wurde, erreichte er einen Punkt, an dem viele von ihm nur noch genervt waren. Die Interviews, die er gab, ähnelten sich von seinen Tiraden sehr, boten nichts weiter, als einen offenbar ausgenüchterten Hollywoodstar, der seine Fehler vielleicht eingesehen hat, jedoch seine Tour de Crazy fortsetzt und nicht daran denkt, seine neue Geldquelle aufzugeben. Und während einige TV-Networks alles geben würden, um Sheen für ein Interview vor die Kamera zu bekommen, glauben andere, dass die ganze Scharade um Sheen nur zeigt, wie tief die Medien inzwischen gesunken sind - anders kann man sich nicht erklären, warum man einem offensichtlich desillusionierten, alkoholkranken Drogenkonsument, der eine Geschichte von Gewalt gegen Frauen aufzuweisen hat, eine Plattform im Fernsehen gibt - jeden Morgen, jeden Abend, jeden Tag. Oder um es kurz zu verdeutlichen: Amerika zeigt den psychischen Untergang Sheens und macht sich darüber lustig. Und in vielleicht vier Wochen wird kein Hahn mehr danach krähen.

Doch zurzeit beschäftigen sich einige Medien außerhalb des Sheen-Rummels mit Händen voll von Fragen: Warum war Sheen nicht in der Lage, seine Reha im eigenen Haus anzutreten, und am Ende wieder am Set von «Two and a Half Menɪ seine 1,2 Millionen Dollar pro Episode zu verdienen? Warum ist Amerika so interessiert an Sheens Antwort auf die Frage, ob sich Drogen im Haus befinden, ganz zu schweigen von der Frage, ob die Antwort überhaupt einen Stellenwert in ihrem Wahrheitsgehalt hat? Warum ernähren die TV-Tabloids, die selbstständig bewiesen haben, dass sie keinen Journalismus betreiben können, Sheen wiederholt mit weiteren Hasstiraden gegenüber CBS und Lorre? Und warum erkennt absolut jeder, dass Sheen psychiatrische Hilfe benötigt, aber keiner den Mumm hat, ihm auch eine Businesskarte zu geben, oder den Namen eines Arztes? Ernährt sich das Fernsehen von den Überresten von Sheens Celebrity-Kadaver, oder geben sie Sheen weitere Fleischhäppchen für seinen Amoklauf auf ABC, NBC, CNN, in allen möglichen Radioshows mit namhaften Moderatoren und in der Presse?

In der Hinsicht machen die direkt Verantwortlichen eines richtig: Sie geben sich nicht für die Presse her, geben keine Interviews, füttern die Presse nicht mit neuen Bomben gegen Sheen. Seine «Two and a Half Men»-Costars bleiben ruhig, Lorre reagierte sehr rätselhaft in einer seiner Vanitycards, CBS-Präsident Leslie Moonves erzählte nichts über Sheen, sondern gab nur einen Ausblick auf die Zukunft seiner erfolgreichsten Sitcom. Selbst Sheens Ex-Frauen und Prostituierte geben keine Statements für die Tabloids. Von seiner Familie ist ebenfalls wenig bis gar nichts zu hören. Martin Sheen hat schon in der Vergangenheit oft genug über den gefährlichen Drogenkonsum seines Sohnes gesprochen; heute hat der «The West Wing»-Präsident wohl seine Ausdauer verloren, wiederholt in der Presse zu betonen, dass Sheen Hilfe benötigt - nicht nur von sich selbst, sondern auch von den Medien. Wie die Medien letztendlich Sheen helfen, kann man derzeit ganz genau betrachten.

Die vergangene Woche zeigte sehr detailliert, dass nicht die Person Charlie Sheen kritisiert werden sollte - immerhin hat er das Recht ein Lebensstil nach seinen Wünschen zu leben, egal ob gesundheitsschädlich oder nicht -, sondern die Kritik an der Person aus den Medien. Vielleicht ist es auch Chuck Lorre, der die Schuld für die Geburt des Marsianischen Rockstars trägt, seit dem Vermutungen über seine Lustlosigkeit, weiter an «Two and a Half Men» zu arbeiten, die Runde machen. Doch in einem sind sich alle Pressemedien sicher: Charlie Sheen braucht Hilfe. Ein Hollywoodstar, der über Göttinnen, Hexenmeister, Tigerblut und seine eigene Charlie-Sheen-Droge redet und inzwischen weit vom ursprünglichen Thema abgekommen ist, ist vielleicht doch nicht ganz gesund. Und man darf sich sicher sein, dass der Medienrummel eine Fortsetzung findet, so lange die Medien auf seine Person anspielen - dabei benötigt es noch nicht mal die Medien, sondern Firmen wie McDonald's, welches (scherzhaft) einen neuen Burger namens McWinning ankündigt, oder das Rote Kreuz Sheens «Tigerblood»-Bemerkung von seinem Twitter-Account kapitalisiert. Ganz zu schweigen von der Automobilfirma Ford, welche Sheens "Winning" für ihre neue Werbekampagne nutzen.

Charlie Sheen - der Rockstar vom Mars. Er ist vom hohen Ross gefallen. «Two and a Half Men» mag entweder Geschichte sein, oder wird mit einem neuen Hauptdarsteller wiederbelebt. Zusätzlich darf sich der Hollywoodstar nun klarmachen, dass er so leicht keinen Job vor der Kamera mehr bekommen wird. Sobald die Ruhe im Medienzirkus einkehrt, werden sich auch die Tabloids innerlich mit dem Gesagten und Gezeigten beschäftigen müssen. Und Sheen wird vielleicht auch bald realisieren, dass die Woche seines Lebens seine Karriere getötet hat - und das Vertrauen jedes Geschäftspartners. Auch wenn er und der Großteil seiner Fans behauptet, dass er der "Winner" des Krieges gegen CBS/Lorre ist.

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