360 Grad

Kernschmelze bei der «Tagesschau»

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Die ARD versagte bei ihrer Berichterstattung über die japanische Atomkrise vollkommen - insbesondere inhaltlich.

So las sich der erste Absatz der Top-Schlagzeile der Online-Ausgabe der ARD-«Tagesschau» am vergangenen Samstag zur Mittagszeit: „In dem beschädigten Atomkraftwerk in Fukushima hat es eine Kernschmelze gegeben.“ Klingt nicht schlecht, oder?

Allein: Es stimmte nicht.

Was anderswo wilde Spekulationen waren, war bei der «Tagesschau» Tatsache. Das hielt die meisten deutschen Medien, von BILD bis ZEIT, jedoch nicht davon ab, stur das nachzuplappern, was die ARD verkündet hatte. Guttenberg musste dafür noch seinen Hut nehmen – und das, ohne sachliche Fehler in seiner Arbeit weiterzuverbreiten. Aber immerhin gaben die Medienpapageien an, woher sie ihren Unsinn hatten.

Stutzig hätte man schon dadurch werden müssen, dass kein anderes Medium der Welt eine derartige Nachricht publizierte: Weder ein nationales wie Kyodo, die größte Nachrichtenagentur Japans, oder NHK, das öffentlich-rechtliche Fernsehen des Inselstaates. Noch ein internationales wie CNN, REUTERS, Associated Press, oder BBC World, die bei der Auslandsberichterstattung schon in der Vergangenheit deutlich mehr Kompetenz an den Tag legten als die ARD und diesbezüglich über viel mehr Ressourcen verfügen. Doch seltsamerweise vermeldete keines dieser Medien, dass es in Fukushima zu diesem Zeitpunkt definitiv eine Kernschmelze gegeben habe.

Erst einige Stunden später relativierte die «Tagesschau» ihren Artikel dezent; wiederum zu einem Zeitpunkt, zu dem keine Nachrichtenagentur von einer Kernschmelze als unbestreitbarem Fakt sprach: „Zunächst hatte ein Behördensprecher berichtet, dass eine `Kernschmelze begonnen´ habe. Auf diese Aussage berufen sich mehrere japanische Fernsehsender und der ARD-Korrespondent Robert Hetkämper in Tokio. Inzwischen ist der Behördensprecher jedoch von der Bildfläche verschwunden.“ [Hervorhebung im Original] Welche japanischen Fernsehsender das sein sollten, die sich angeblich auf diese Aussage beriefen, nannte die ARD nicht. Anderen internationalen wie japanischen Medien war kein einziger bekannt. Auch wer der obskure Behördensprecher gewesen sein soll, wird nirgendwo erwähnt. Ob der ARD hier ein blindes Headlinegemache oder bloße Inkompetenz vorzuwerfen ist, lässt sich nicht sagen. Eine twitternde Japanerin, die sich detailliert mit der Krisensituation befasste, schrieb jedenfalls, dass es sich schlicht um einen Fehler in der Übersetzung handeln könnte, der bei für diesen Umfang unzureichenden Kenntnissen der japanischen Sprache offenbar durchaus möglich wäre.

Dennoch: Dieser Faux-Pas ist ein absolutes Armutszeugnis für die Online-Ausgabe der «Tagesschau». Gerade in einer Situation wie dieser, in der sich Meldungen wie Statements überschlagen, ist es notwendig, jede Information genau zu prüfen. Das nennt sich journalistische Sorgfaltspflicht. Und eine fehlerhafte Nachricht darf nicht einfach stundenlang auf der Startseite stehen, während andere Medien mit größeren wie kompetenteren Teams vor Ort genau das Gegenteil berichten. Solch desinformierende Schlampereien bei einem seriösen Medium sind ein Unding. Dass andere Presseorgane dies dann einfach nachplappern, ohne den Sachverhalt selbst detailliert zu überprüfen, zeugt jedoch von genauso miserabler Berichterstattung. Erst recht, wenn man bedenkt, dass die deutschen Medienschaffenden in den Tagen seit dem Beginn der Fukushima-Krise wesentlich mehr durchzudrehen scheinen als ihre japanischen und internationalen Kollegen.

Mit 360 Grad schließt sich auch nächsten Freitag wieder der Kreis.

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