Hingeschaut

Dauerwerbesendung: «Undercover Boss»

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Vom Chefsessel an die Basis geht es für Mika Ramm, Geschäftsführer von «eismann». Im harten Arbeitsalltag will er Missstände in seiner Firma entdecken.

Die Chefetage einer jeden Firma umweht ob der großen Verantwortung für das Unternehmen ein ehrfürchtiges Mysterium, weiß doch kaum einer der Angestellten, was die Führungsriege so genau leistet, um millionenschwere Gehälter und protzige Dienstwagen zu rechtfertigen. Und bei so mancher Entscheidung des Directeur Général schwindet der Respekt vor dem mächtigsten Mann im Betrieb und Unverständnis ob realitätsferner Arbeitszeitkürzung oder unverhältnismäßigen Stellenabbaus macht sich breit. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit überlegt sich jedoch so mancher Angestellter aus Angst vor der Kündigung, ob er gegenüber seiner Vorgesetzten Kritik üben darf. An dieser Stelle setzt das neue RTL-Doku-Format «Undercover Boss» an - denn wenn die Kritik nicht zur Geschäftsleitung gelangt, muss eben die Geschäftsleitung zur Kritik kommen - oder wie es der erste «Undercover Boss» Mika Ramm in der Debütfolge bis zum Erbrechen wiederholt: "zur Basis".

Es ist ein harter Abstieg auf der Karriereleiter: Mika Ramm ist 43 Jahre alt und Mitglied der Geschäftsleitung beim Tiefkühllogistiker «eismann», einem dieser Unternehmen, deren Vertreter bevorzugt zur Mittagszeit an der Tür klingeln, um gestressten Hausfrauen gefrorenes Sonntagsessen zu verkaufen. Um die "gefilterten Informationen, die die Geschäftsführung bekommt" durch knallharte Fakten aus dem Arbeitsalltag anzureichern, verwandelt sich der erfolgreiche Geschäftsmann Ramm in den arbeitssuchenden Rico Meißner, der eine Woche lang verschiedene Stationen im Unternehmen durchläuft. Damit die ihm teils persönlich bekannten Mitarbeiter keinen Verdacht schöpfen, schlüpft der jungdynamische Familienvater in Arbeiterklamotte, setzt sich ein Kassengestell auf die Nase, lässt sich einen Bart stehen und gibt vor, für eine Dokumentation über seine Arbeitssuche von der Kamera begleitet zu werden. Um den bitteren Beigeschmack gleich auszuräumen, besteht Ramm ausdrücklich darauf, keine Mitarbeiterkontrolle durchführen zu wollen, sondern sich lediglich zum Zweck der Prozessoptimierung inkognito in seinem Unternehmen zu bewegen.

Die Idee gefällt, ist aber keineswegs deutsches Fernsehgut: Beim britischen Channel 4 lief das Format seit dem Jahr 2009 in zwei Staffeln, in den USA und Australien ist «Undercover Boss» sehr erfolgreich bei CBS bzw. Network Ten zu sehen. Auch in Deutschland überzeugte die Premiere mit durchschnittlich 6,20 Millionen Zuschauer, 18,9 Prozent Gesamtmarktanteil und sehr guten 24,5 Prozent Marktanteil in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen. Doch Quotenerfolg ist nicht gleichbedeutend mit qualitativer Fernsehkost. Und so hat die deutsche Adaption von «Undercover Boss» vor allem ein Glaubwürdigkeitsproblem: Anfangs noch recht kurzweilig begleitet Ramm alias Meißner verschiedene Mitarbeiter in ihrem Arbeitsalltag. Einmal quer durch verschiedene Hierarchien begleitet der verkleidete Chef einen "Rollimann" bei der Sortierung der Ware, einen Fahrer bei der Warenauslieferung, eine Beraterin bei der Neukundenakquise, einen Vertriebsleiter und einen Kommissionierer in der Nachtschicht bei minus 28 Grad Tiefkühlkost. Der Querschnitt liefert einen interessanten Einblick in den «eismann»‘schen Betrieb und die Gefühlswelten der Mitarbeiter.

Für den Zuschauer beeindruckenden Einsatz zeigt zum Beispiel der "Rollimann" Alfred Traut, dessen Stelle eigentlich gestrichen werden sollte und der es nur dem Protest seiner Kollegen verdankt, nicht arbeitslos zu sein. Dennoch wurde seine Arbeitszeit von täglich sechs Stunden auf vier Stunden gekürzt; seitdem schiebt er unbezahlte Überstunden, um das Arbeitspensum zu schaffen und nebenbei noch ehrenamtlich für die Fahrer zu kochen. "Ich hab das Gefühl, dass die, die das entscheiden, manchmal gar nicht wissen, was sie da machen", sagt er einem recht betroffenen Ramm dann auch direkt ins Gesicht, unwissend, dass es sich um seinen Chef handelt. Der zollt ihm und den anderen Mitarbeitern reichlich Respekt, ärgert sich über das von ihm eingeführte und deutlich fehlerhafte Funksystem bei der Warenkommissionierung und fährt mit der Rolle des reuigen Kumpeltypen gut - wirklich von seiner hohen Ross steigt er aber nicht herunter. Zu oft wechselt er in die Chefrolle, will seinen Mitarbeitern Anweisungen geben, die ihn doch eigentlich anlernen sollen. Anbiedernd wirkt der Chef, der doch nur Gutes tun wollte.

Und so erscheint es wenig glaubwürdig, als Ramm sich nach einer Woche hartem Arbeitsalltag vor versammeltem Krawattenvorstand im weitläufigem Konferenzsaal erklärt und weitreichende Verbesserungen ankündigt. Hier ein Thailand-Urlaub, da eine Beförderung und ein Beraterposten, dort eine Versetzung verspricht er später auch den verdutzten Kollegen, als er das Experiment auflöst - in bester Märtyrermanier zieht Ramm recht heuchlerisch wirkende Konsequenzen aus seinem Abenteuer «an der Basis». Den vielversprechenden und jungen Mitarbeiter seines Unternehmens winkt er mit Führungspositionen, die wirklich engagierten und unterbezahlten Ärsche vom Dienst kurz vor der Rente erfahren hingegen keine reale Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. Stattdessen profiliert sich der Chef nochmals vor versammelter Mitarbeiterschaft auf riesiger Bühne als Gönner und regt an, gerne Kritik zu äußern.

Beim Zuschauer bleibt allerdings das ungute Gefühl, Teil einer riesigen Imagekampagne gewesen zu sein. Der «eismann»-Schriftzug ist omnipräsent, Umsatzzahlen, Kerngeschäft und Kompetenzen werden detailliert erörtert und die charismatischen Mitarbeiter zum Aushängeschild des freundlichen Unternehmens gemacht. Wirkliche Kritik gibt es nicht, dafür sorgt allein schon das Formatkonzept, dass wenig mit einem Einsatz undercover zu tun hat und vielmehr einer Doku-Soap entspricht - klar, dass die Mitarbeiter dort keine grundlegenden Bedenken gegen ihren Arbeitgeber äußern. Die vorhandenen Missstände werden als Teil eines selbstkritischen Kommunikationsprozesses deklariert, dass das Unternehmen durchweg im sympathischen Licht zeigt. Und während Ramm wieder in Anzug und Mercedes Konsonanten-Klasse steigt und seine Ehefrau «VOSS»-Wasser trinkt, das pro Literflasche mehr kostet als der durchschnittliche Tagessatz eines Hartz IV-Empfängers für Mahlzeiten hergibt, bekommt die gute Seele des Hauses, Alfred Traut, seine Überstunden noch immer nicht bezahlt. Aber für RTL und «eismann» hat sich die kathartische Kumpeltour als «Undercover Boss» gelohnt - kostenlose PR-Arbeit zur besten Sendezeit gibt es eben nicht alle Tage.

Kurz-URL: qmde.de/48669
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