Die HBO-Serie «Boardwalk Empire» läuft seit einigen Wochen auch in Deutschland.
USA 1920: Die Prohibition hält auch in der Westküstenstadt Atlantic City Einzug und verbietet den Konsum und Handel aller alkoholischen Getränke. Dieses „ehrenhafte Experiment“, wie es heute in der Geschichtsschreibung genannt wird, nutzen Machthaber und Gangsterkartelle, um mit einem weiteren Gut, dem Alkohol, noch mehr profitable Geschäfte zu machen. An dieser Stelle setzt die US-Serie «Boardwalk Empire» an, deren erste Staffel aktuell beim deutschen Pay-TV-Sender TNT Serie ausgestrahlt wird. Darin erkennt Stadtkämmerer Enoch „Nucky“ Thompson seine große Chance, mit dem Alkholschmuggel kräftig zu verdienen – durch die dreckigen Geschäfte infiltriert er das politische und gesellschaftliche System, wird zum inoffizell mächtigsten Mann von Atlantic City. Korruption, Geld, Macht, Liebe – all diese klassischen Zutaten vereint «Boardwalk Empire» für grandiose, aber gemächlich inszenierte Unterhaltung.
Genauso wie Atlantic City als inhaltlicher Schauplatz ohne Regeln daherkommt, so hält sich auch «Boardwalk Empire» nicht an die Network-Konventionen, die Serien oft verwechselbar machen. Dank der Tatsache, dass das Format vom Pay-TV-Primus HBO produziert wird, kommt es auch anders daher als viele andere: Insbesondere das langsame Storytelling mit teils sehr langen Kameraeinstellungen fällt wieder auf und dürfte einige Zuschauer irritieren. Andererseits sind es gerade auch jenen Momente, in denen man sich Zeit für Bilder lässt, die das bisher Format besonders machen. Zudem entwickelt sich die Geschichte um Nucky Thompson und das illegale Geschäft zwar stetig und Folge für Folge, aber langsam und bedacht. Der Zuschauer muss sich also komplett auf «Boardwalk Empire» einlassen. Nicht zuletzt deswegen, weil typisch für HBO-Dramaserien viele Handlungsstränge nach einigen Folgen wieder aufgegriffen werden; vergangene Ereignisse werden auch Wochen später noch thematisiert.
Dank des langsamen Storytelling und der Kameraarbeit sind aber einschneidende Situationen umso gewaltiger inszeniert, welche die Entwicklungen der kommenden Episoden bestimmen: Gleich die erste Folge schließt mit einer Waldschießerei zwischen Thompsons Handlager Jimmy und einigen Rivalen. Das daraus entstehende Blutbad hat Folgen, die in der gesamten Staffel und darüber hinaus spürbar sind. Auch die Stürmung einer Party in Folge fünf durch den Prohibitionsagenten Van Alden wird meisterhaft inszeniert und entschädigt actionverwöhnte Zuschauer punktuell für die sonst eher ruhig anmutende Story in den ersten Folgen.
Ihren Reiz gewinnt die Serie also nicht durch Action oder Effekte, sondern HBO-typisch durch ihre Figuren und deren Entwicklungen. Wieder einmal gibt es keine stereotypen oder vorhersehbaren Charaktere, deren Handlungen leicht durchschaubar sind; sie sind im Gegenteil größtenteils wieder mit einer unvergleichbaren Ambivalenz ausgestattet, welche sie so interessant macht. Als Beispiele sind hier zum einen Nuckys Helfer Jimmy zu nennen, der als Kriegsveteran einen völlig anderen Hintergrund hat als die etablierte Gesellschaft und daher auch drastischere Handlungen verfolgt und Schlussfolgerungen zieht, zum anderen aber auch Thompsons Affäre Margaret, welche er – und auch der Zuschauer – als einfache und naive Hausfrau einschätzt. Bis sie Nucky eines Tages in einem Alkoholschmuggelgeschäft verrät und daher zeigt, dass sie unberechenbar ist – und das dreckige Macht- und Geldspiel in Atlantic City mitspielen kann und will.
Ein Meisterwerk für sich aber ist der Hauptcharakter selbst: Steve Buscemi spielt mit Nucky Thompson einen der besten Bösewichte, den die Fernsehwelt in den vergangenen Jahrzehnten gesehen hat. Seine Menschlichkeit und seine charakterlichen Schwächen werden ebenso hervorgehoben wie sein perverser Macht- und Geldwille, für welchen er mit allergrößter Selbstverständlichkeit über Leichen geht. Das Charakterbild, das sich aus Enoch Thompson ergibt, ist zum Teil auch das Ergebnis eben erwähnter hervorragender Kameraarbeit, die den Herrscher über Atlantic City so emotional, charismatisch, facettenreich und doch schwach – also so ambivalent – wie kaum einen Seriencharakter sonst zur Geltung bringt.
Diese Kameraarbeit wiederum dürfte Produkt der immensen Gelder sein, welche HBO für «Boardwalk Empire» in die Hand genommen hat. Und wenn die Kamera über das Boardwalk-Set mit seinen Geschäften und der Promenade schwenkt, so wird der Status dieser Premium-Produktion mittels einer Bildeinstellung überdeutlich. «Boardwalk Empire» soll der nächste große HBO-Hit werden – inhaltlich wird man diesem Anspruch bisher voll gerecht.