Kostüm-Soap in Anlehnung an «The Tudors» oder doch weitaus mehr? ProSieben startet die US-Serie am Mittwochabend als deutsche Erstausstrahlung.
Wir blicken künftig noch mehr in die Vereinigten Staaten - dorthin, wo die Perlen des Fernsehens laufen. Unser US-Korrespondent Christian Wischofsky präsentiert den deutschen Fernseh-Fans den "First Look" - bei fiktionalen Programmen übrigens komplett Spoiler-frei. Den Anfang macht die neue Showtime-Serie «The Borgias», die in Übersee mit großer Spannung erwartet wurde.
Historische Stoffe sind im US-Fernsehen wieder willkommen. Nach dem Ende von «Die Tudors» im letzten Jahr bemühte Showtime sich einen passenden Nachfolger für das Kostümdrama zu finden. Gefunden wurden die Autoren Neil Jordan und Michael Hirst, geboren wurde die Saga um eine italienische Familie, welche durch ihre kriminellen Handlungen mehr als nur Macht im Rom des Jahres 1492 erreichte: «The Borgias». Neun Episoden lang wollen die Autoren erzählen, wie die Familie während der Renaissance und der Entdeckung der neuen Welt zur Blaupause für «Der Pate» oder «Die Sopranos» wurde. Nach der zweistündigen Serienpremiere am Sonntag zeigte sich, dass «The Borgias» wie andere epische Kostümdramen auf eine ruhige Erzählweise setzt, welche leicht ermüdend wirken kann. Die Geschichte um die Borgias und deren Aufstieg in die Machtpositionen Roms ist allerdings interessant genug, um den Zuschauern mehr als nur die kriminelle Laufbahn der Familie zu bieten.
«The Borgias» erzählt in seiner Premiere, wie die Familie den Papsttum für seinen Patriarch Rodrigo Borgia (Jeremy Irons) erkaufte und wie die Legende um die originale Mafiafamilie ihren Anfang nahm, nachdem der Vater zum Papst Alexander VI gewählt und ernannt wurde. Der Anfang der Serie wirkte jedoch in seinen 97 Minuten jedoch sehr kalkuliert: Ausstattung, Cast und die Geschichte allgemein schreien nach der Suche nach einer weiteren korrupten Familie, damit Showtime mehr von «Die Tudors» hat, nur in anderen Outfits und in einem anderen Land. Die Premiere liefert alles, was auch «Die Tudors» während seiner vier Staffeln zu Genüge zeigte: Aufstieg zur Macht, religiöse, politische und sexuelle Intrigen, Geld, Betrug und Mord. Während «Die Tudors» durch seine zeitliche Schiene Henrys Ehefrauen abhandelte und dadurch weitaus natürlicher in seiner Erzählweise war, wirkt «The Borgias» mehr durcheinander und misst die Möglichkeiten, die Ursprünge des Machthungers der Familie zu erzählen. Wie hätte die Serie ausgesehen, wenn sie nicht mit Rodrigos Wahl zum neuen Papst angefangen hätte, und stattdessen erklärt, warum er so besessen auf den Posten des Führers der katholischen Kirche war?
Hier liegt zurzeit das größte Problem in «The Borgias»: Die Geschichte, die nicht erzählt wird, ist weitaus interessanter. DerGeschichte, die dafür erzählt wird, fehlt es an einem stabilen Hintergrund, welche die Motivation der Charaktere ans Licht bringt. Für Zuschauer, die sich nicht mit der Historie der Familie auskennen, wird es äußerst kompliziert zu verstehen, warum die Borgias freiwillig in kriminelle Machenschaften geraten sind und werden. Und für den Willen der Serie und der Entwicklung der Story kann es nur von Vorteil sein, wenn Rodrigos Handlungen von Anfang an erörtert werden. So mangelt es nicht nur bei seinem Charakter an erheblichem Anteil an Tiefe, sondern auch beim Rest seiner Familie. Sein Sohn Cesare (François Arnaud) ist schon in der Premiere von seinem Vater zum Kardinal erklärt worden, und seine'geschäftliche Beziehung' zu Micheletto (Sean Harris), der Vollstrecker der Borgias, scheint nach deren ersten Treffen schon völlig entwickelt zu sein. Mord und Totschlag sind schon nach 60 Minuten an der Tagesordnung, was dazu führt, dass Charakterisierungen kaum möglich sind. Die Zuschauer werden Schwierigkeiten haben, die Helden und Feinde der Serie voneinander zu trennen – ganz zu schweigen von Gründen, warum wir mit den Charakteren überhaupt mitfühlen sollen.
«The Borgias» wirkt in seiner Premiere stellenweise viel zu ernst und dunkel. Verglichen mit «Die Tudors» (durch die unzähligen Parallelen zwischen beiden Serien wird es Zeit brauchen, bis «The Borgias» bei den Kritikern auf eigenen Füßen stehen kann), welches hin und wieder durch Jonathan Rhys-Meyers' Spiel comichaft und durch sein Bad-Boy-Verhalten aufgelockert wurde, drückt Jeremy Irons' Darstellung des Papstes Alexander VI der Serie den ernsten Stempel auf und bemüht sich nicht, mehrere Facetten seiner Person zu kreieren. Entweder Irons bekam von Jordan wenig Material für seinen Charakter und verfestigte sich dafür in sein ernstes Spiel, oder er verkörpert seine Rolle auf seine Weise viel zu gut, als Platz für leichtere Momente zu finden. Dabei geht es nicht um Irons' Talent, welcher sicherlich perfekt für die Rolle ist, doch in anderthalb Stunden «The Borgias» gab es wenig bis keine Gründe zu glauben, warum Rodrigo durch Showtimes Werbung als 'the original Godfather' bezeichnet wurde.
«The Borgias» wird sich nicht scheuen, die historischen Ereignisse in fiktive Storylines zu verwandeln, wenn die Dramatik dafür erhöht werden kann. Hier liegt auch der eigentliche Reiz, die Serie überhaupt zu verfolgen, und die Hoffnungen, dass sie mehr ist als nur eine Kopie von «Die Tudors», sich vielleicht sogar gegenüber den anderen historischen Neustart «Camelot» auf Starz über kurz oder lang behaupten kann: Eine Familie, die durch Korruption, Verrat, Vergewaltigung, Mord und Inzest berühmt wurde (größtenteils als Gerüchte von den Borgias-Feinden in die Welt gesetzt), ist immer vom Vorteil, wenn es darum geht, den Charakteren klare Ziele zu geben, oder in der Serie eine deutliche Trennung zwischen den Guten und den Bösen zu erschaffen. Die Serie beweist Potential, konnte es jedoch kaum in der Premiererpisode nutzen. In den nächsten Wochen wird sich entscheiden, ob Showtime mit «The Borgias» nur eine weitere historische Kostüm-Soap im Programm hat, welche «Die Tudors» mit offensichtlicher Absicht ähnelt, oder ob hinter dem Projekt weitaus mehr steckt, als der Anfang verdeutlicht hat.
Erstveröffentlichung vom 04.04.2011 19:00 Uhr.