Hingeschaut

«Maybrit Illner» ohne Biss

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Seit dem 31. März 2011 zeigt sich die ZDF-Talkshow «Maybrit Illner» im neuen Gewand. Doch reicht die optische Verjüngungskur der elf Jahre alten Sendung, um gegen die zahlenmäßig haushoch überlegene Talk-Konkurrenz der ARD anzukommen?

Die neue Fernsehsaison lässt sich noch etwas Zeit, doch die öffentlich-rechtlichen Fronten werden sich in Zukunft deutlich verhärten. Ab Herbst hat die ARD mit Reinhold Beckmann, Günther Jauch, Sandra Maischberger, Frank Plasberg und Anne Will gleich fünf Schwergewichte im Bereich der Talkshows im Programm und zieht los, die Welt zu erklären, Zusammenhänge zu kontextualisieren und die Quote aufzupolieren. Gerade auf den schmächtigen Schultern von RTL-Moderator Günther Jauch, der 20 Jahre lang das Magazin «stern tv» begleitete, noch immer «Wer wird Millionär?» moderiert und in Umfragen regelmäßig zu einem der beliebtesten Gesichter des deutschen Fernsehens gewählt wird, ruhen große Erwartungen. Jauchs journalistisches Profil, der unnachahmlich charmante Charakter und seine Ansprache der jungen Bevölkerung, also den Zuschauern, für die die ARD bisher bloß den «Tatort» und die «Tagesthemen» anbietet, versprechen, die Endstation Öffentlich-Rechtliches Fernsehen nicht nur zu einem persönlichen, sondern auch zu einem quotenstarken Erfolg zu machen.

Gegen Luxusprobleme wie Gästemangel bei fünf Talkshows und einem entsprechend hohen Verschleiß an Gesprächspartnern in der ARD ist bereits eine senderinterne Gästedatenbank angekündigt worden, in der personelle Wünsche vermerkt und auf diese Weise Streitigkeiten umschifft werden sollen. Und das ZDF? Nach dem Weggang von Johannes B. Kerner in den Heimathafen Sat.1 hat Sommervertretung Markus Lanz den biederen Traum einer jeden Schwiegermutter ersetzt und demontiert fortan wertvolle Sendezeit mit kerner‘schem Konzept, einer gehörigen Portion Belanglosigkeit und thematischem Resteessen. Doch die Quote stimmt mittlerweile, der Lanz darf also bleiben. Eine wirkliche Talkshow mit Profil hat das ZDF auch zu bieten, die wird allerdings so spät gesendet, dass sie richtigerweise «nachtstudio» heißt und es sich die Verantwortlichen leisten können, intellektuell anspruchsvolle Themen zu erörtern und ebensolche Gäste einzuladen – denn wer um die Uhrzeit extra für Volker Panzer und Gäste die Glotze anschaltet, verfolgt entweder hellwach die – ironiefrei! – spannenden Diskussionen um kulturelle und philosophische Fragestellungen oder schaltet das Gehirn aus und lässt sich in den Schlaf säuseln.

Warum man sich scheut, dem seit 14 Jahren bestehenden Format einen ansprechenderen Sendeplatz zuzuweisen, wissen nur die Mainzelmännchen. Macht aber nichts, denn schon bald wird unter der neuen Dachmarke «Zoom» die Wissensvermittlung revolutioniert – wenn es nach dem ZDF geht. Ab Mai werden immer mittwochs "hochwertige, investigative Dokumentationen" programmiert. Und dann gibt es da noch Maybrit Illner, die ihre gleichnamige Talkshow immer donnerstags nach dem Heimatspielfilm und den Nachrichten moderiert. Illner ist zurzeit die einzig ernstzunehmende ZDF-Konkurrenz gegen bald fünf ARD-Talker, weil ihre Sendung nicht in der Nacht verschleudert wird und sie nicht Markus Lanz ist. Dieses Wissen erzeugt hohen Druck, würde man meinen, doch Sorgen um möglicherweise zuschauerraubende ARD- und ZDF-Talker wiegelte Illner im Interview mit der Süddeutschen Zeitung bereits jetzt ab: "Erstens gehen wir davon aus, dass wir die genialste Sendung der Welt machen, ganz klar. Zweitens spricht [für unseren weiteren Erfolg], dass sich Talkshows bislang nicht gegenseitig beschädigt haben, wenn ihre Zahl wuchs. [...] Drittens senden wir am Donnerstag eine halbe Stunde früher als ‹Beckmann›. Und konkurrenzlos waren wir auch vorher nicht. Einen Kampf um die Gäste und die besseren Themen hat es immer schon gegeben."

Auch die innovative Gästedatenbank mache ihr keine Angst: "Wir müssen uns nicht mit uns koordinieren. Und wir haben seit elf Jahren einen Sendeplatz, den jeder kennt." Klar, wer nur eine wirklich politische Talkshow im Abendprogramm hat – doch genug des Spotts. Denn das ZDF hat die ARD-Ansage ernstgenommen und die ehrwürdige Institution «Maybrit Illner» durch ein vollständig neues Studiokonzept aufgefrischt. Es dominieren die Farben weiß, lila und grau; ein moderner runder Tisch sorgt für einen deutlich angenehmeren Gesprächskreis und begünstigt Kameraeinstellungen, die es dem Zuschauern ermöglichen, auf komfortablere Weise als bislang den Überblick zu bewahren, keine Gesichtsregung, Wortmeldung oder hitzige Diskussion zu verpassen. Eine riesige digitale Wand hinter der Moderatorin lässt Blicke, Emotionen und spannende Momente Revue passieren; ein iPad vor Illner sieht vor allem schick aus, erfüllt außer dem Abrufen von Einspielern bislang aber keine weiteren Funktionen. Das alles ist eine deutliche Kampfansage an die Konkurrenz, doch ein schönes Studio ist nur das Streichholz, um das Feuerwerk Talkshow zu entzünden.

Die Möglichkeit, sich zu beweisen, bot die Sendung mit dem haufenweise Seitenhiebe austeilenden Titel "Die erschöpfte Koalition - wie viel Restlaufzeit hat Schwarz-Gelb?". Geladen waren Rainer Brüderle, Bundeswirtschaftsminister und stellvertretender FDP-Vorsitzender, Sigmar Gabriel, Parteivorsitzender der SPD, Claudia Roth Parteivorsitzende des Bündnis 90/Die Grünen, Marie-Christine Ostermann, Bundesvorsitzende des Verbandes "Die Jungen Unternehmer - BJU", Gabor Steingart, der Chefredakteur des Handelsblatts sowie als fünfminütiger Sidekick Ulrich Müller von der Initiative LobbyControl. Das Thema entpuppte sich nach der Wahlschlappe der FDP und dem Verlust der jahrzehntelangen CDU-Vorherrschaft im Zuge der Landtagswahl in Baden-Württemberg als Selbstläufer. Claudia Roth und Marie-Christine Ostermann sorgten für herrliche Aggressionen, die Ostermann wohl derart in Schockstarre versetzten, dass sie ihre einführende Meinung, Deutschland vor den Grünen warnen zu müssen, am Ende plötzlich zurückzog, Rainer Brüderle spulte Wahlkampfsprüche ab, Sigmar Gabriel und Roth diskutierten nebenbei über Unterschiede in ihren Wahlprogrammen und Gabor Steingart sorgte mit dem leider nur kurz interviewten Ulrich Müller für den objektiven Blick.

Maybrit Illner streichelte ein, zwei Mal ihr iPad, ließ die Diskussionen abschweifen und sorgte sich gegen Ende herzlich wenig um journalistische Etikette. Sicher, die Einspieler waren nett, Illner präsentierte die Gäste nett und die anfänglichen Fragestellungen waren ebenfalls nett. Aber nett ist der kleine Bruder von Markus Lanz, und «Markus Lanz» ist keine Talkshow, mit der sich «Maybrit Illner» messen lassen sollte. Von der großmündig angekündigten Interaktion mit den Zuschauern war ebenso wenig zu sehen wie von einer geordneten Diskussionsrunde, die sich mit der anfänglichen Fragestellung beschäftigte. Und eine digitale Wand nützt wenig, wenn sie größtenteils nur den Zuschauern im Studio visuellen Input gibt oder schlimme Symbolbilder zeigt. Das alles ist zu wenig, um gegen die rhetorischen Prügelknaben der ARD gefeit zu sein. Ein Reinhold Beckmann oder ein Günther Jauch sind alleine durch ihr Charisma, durch ihre Hartnäckigkeit bei Fragen, teils durch ihre charmante Unverschämtheit, ja allein durch ihre reine Präsenz interessant. Wenn es die perfekte Moderatorin ohne Ecken und Kanten nicht nur mit Frank Plasberg aufnehmen will, sollten derartige Nettigkeiten den Gästen gegenüber unterlassen werden - schon alleine aus Gründen des Profils und zum Zwecke einer informativen Diskussion würde dem Format ein wenig mehr Biss gut tun.

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