Der Gott des Donners kommt auf die Erde: Die Marvel-Comicverfilmung «Thor» mit Natalie Portman und Chris Hemsworth zeigt einen verbannten Gott, wirre Intrigen und viel Humor.
Das Comicuniversum von Marvel ist sicherlich am besten für seine mutierten Superhelden bekannt, seien es die freundliche Spinne von nebenan namens Spider-Man, der grüne Riese Hulk oder die Mutantenschüler von Professor X. In Folge der scheinbar nicht mehr endenden Hochkonjunktur für Superhelden-Kinofilme setzt Comicgigant Marvel aber auch auf weitere Figuren aus seinem riesigen Archiv, sozusagen auf die B-Riege. Schon «Iron Man» war vor dem Erfolg der äußerst unterhaltsamen Kinofilme in Europa längst nicht so populär, wie die Kollegen Hulk oder Spider-Man. Auf dem Weg zum lang vorbereiteten «The Avengers»-Kinofilm, der mehrere Superhelden vereinen wird, bringt Marvel letztlich zwei weitere seiner zwar wichtigen, nicht jedoch zur populären Speerspitze gehörenden Figuren einem größeren Publikum näher. Ende des Kinosommers wird im treffend untertitelten «Captain America: The First Avenger» sehr US-patriotisch das letzte Puzzleteil für das Mega-Crossover gelegt, diese Woche macht das Marvel-Studio einen Ausflug in die nordeuropäische Mythologie.
Göttervater Odin (Anthony Hopkins) hat seine kriegerischen Tage hinter sich gelassen. Einst führte er einen erbitterten Kampf gegen die seinem Königreich Asgard feindlich gesinnten Eisriesen, nunmehr zeigt er sich als besonnener Herrscher, dem heißblütige Rachemanöver zuwider sind. Odins Erstgeborener Thor (Chris Hemsworth) hingegen ist ein Krieger, wie er im Buche steht. Als eine Gruppe Eisriesen in die Waffenkammer eindringt, beschließt er, Rache zu nehmen. Gegen Vaters Rat zieht er mit seinen Freunden in das feindliche Reich, um den Eisriesen seine Macht zu demonstrieren. Dies erzürnt Odin derart, dass er dem blonden Recken seine Kräfte raubt und ihn auf die Erde verbannt – sehr zur Freude von Thors eifersüchtigen Bruder Loki (Tom Hiddleston), der somit in der Thronfolge nach vorne rückt.
Auf der Erde rennt Thor geradewegs in den Wagen der Forscherin Jane Foster (Natalie Portman), die mit ihrem Team unerklärliche Wetterphänomene untersucht. Die unsanfte Begegnung endet zwar glimpflich genug, aber Thor verwirrtes Gerede beschert ihm trotz körperlicher Unversehrtheit einen Krankenhausaufenthalt. Während Janes Kollegen die ganze Geschichte damit als beendet betrachten wollen, glaubt sie, durch ihre Zufallsbekanntschaft Antworten auf brennende Forschungsfragen zu erhalten.
Marvels Interpretation des nordischen Donnergotts gehört fest ins «The Avengers»-Ensemble. Da Thor aber seit seinem Comicdebüt anno 1962 auf einen eigenständigen Film oder eine Zeichentrickserie wartet, gehört er nicht zu den bekanntesten Teammitgliedern. Das könnte sich allerdings ändern, denn selbst wenn «Thor» nicht ganz an die flotte Qualität eines «Iron Man» heranreicht, hat der Film sehr großes Hitpotential. Das sicherlich auch aufgrund seines großen mythologischen Elements, welches im Vorfeld versprach, frischen Wind in das Superheldengenre zu bringen. Ärgerlicherweise sind es gerade die Fantasy-Sequenzen, die «Thor» in seinem Potential zurückhalten. Der ausführliche Prolog, der vorführt, wie es zu Thors Verbannung auf die Erde kam, ist emotionskalt und dadurch spannungsarm. Die Dialogsequenzen kommen zu getragen daher, während die Schlacht zwischen Thors Freunden und den gesichtslosen Horden der Eisriesen sehr hektisch, fast unkoordiniert inszeniert wurde. Erschwerend kommt hinzu, dass Asgard und die Eiswelt unter einem gewaltigen CGI-Overkill leiden. Wirklich alles ist künstlich, Odins Palast glänzt und glitzert kitschig daher, es fehlt an Leben in der Götterwelt, so dass Hauptdarsteller Chris Hemsworth den ersten Part des Films nahezu alleine tragen muss.
Hemsworth stellt sich zum Glück als eine weitere Idealbesetzung im wachsenden Marvel-Universum heraus. Durchtrainiert und mit dem spitzbübischen Lächeln eines rebellischen Sohnes, der es eigentlich nur gut meint, hat er die Sympathien schnell auf seiner Seite, und sobald Thor auf der Erde angekommen ist, beweist er auch hervorragendes komödiantisches Timing. Wie schon bei «Iron Man» sind es in «Thor» die eingestreuten Lacher, die diese Marvel-Verfilmung zu einem sehr kurzweiligen Kinoausflug machen. Ob man den Kulturschock, den Thor eigentlich erleben muss, nun erfreulicherweise nur anriss und somit einer ausgereizten Klischeesituation entging, oder ob die Autoren durch ihre Entscheidung dem Film Humorpotential raubten, wird im Auge des Betrachtes liegen. Die vorhandenen Gags sind jedenfalls sehr willkommen und lassen «Thor» nicht zu bierernst auftreten. Die Dramatik eines «Watchmen» oder «The Dark Knight» würde die Story auch gar nicht tragen, selbst wenn Regisseur Kenneth Branagh in ihr große Parallelen zu Shakespeares «Henry V» erkennt und deswegen das Projekt annahm.
Vor dem Spezialisten für Shakespeare-Verfilmungen waren unter anderem Sam Raimi («Spider-Man») und Matthew Vaughn («Kick-Ass») als Regisseur im Gespräch. Vielleicht hätte es unter ihnen wuchtigere Actionsequenzen gegeben. Raimis «Spider-Man»-Filme nutzten ähnlich viel Computeranimation in ihren Kampfszenen, fühlten sich aber nie so kalt an, wie die Action in «Thor». Außerdem wird die 3D-Konvertierung keinen 2D-Jünger von sich überzeugen. Allerdings hat sie ähnliche Tiefe wie die von «The Green Hornet» und beweist somit, dass nicht jede Konvertierung eine verwaschene Katastrophe wie «Kampf der Titanen» sein muss. Trotzdem bleibt der Effekt öfter unausgenutzt, weshalb sich der 3D-Aufschlag nur für Begeisterte 3D-Freunde wirklich lohnt.
Was «Thor» besser hinkriegt, als der tonal vergleichbare «Iron Man 2», ist die Verwebung des riesigen Marvel-Filmuniversums. Zwar sind seit «Iron Man» praktisch alle Marvel-Filme nur Wegweiser für «The Avengers», doch während «Iron Man 2» zwischendurch wirklich sehr penetrant nach verlängertem «The Avengers»-Trailer roch, arbeitet «Thor» seine Referenzen viel flüssiger ein. Neben einigen Anspielungen auf andere Comichelden findet sich auch hier die obligatorisch gewordene Organisation S.H.I.E.L.D., allerdings versteht sich deren Auftauchen eher als Bonus für Marvel-Kenner. Die Geschichte würde ähnlich verlaufen, hätte man irgendeine andere geheimnisvolle Organisation auf Thors Hammer angesetzt, bloß wäre das für Insider dann nicht ganz so unterhaltsam. Vor allem, weil man dann auf den köstlichen Clark Gregg in seiner Rolle als S.H.I.E.L.D.-Agenten verzichten müsste.
Der Rest des Ensembles ist durchgehend solide, auf unauffällige Art und Weise. Natalie Portmans Rolle beispielsweise gibt ihr kaum Raum, sie bringt aber eine aufheiternde Grundsympathie mit. Tom Hiddleston wiederum bemüht sich redlich, seinem Loki Tiefe zu verleihen, man erkennt richtig, dass er und Regisseur Branagh Loki zu einem tragischen Shakespeare-Intriganten aufbauen wollten. Jedoch scheitert dieses Vorhaben am Drehbuch, welches Loki nicht genügend Gelegenheiten gibt, eine innere Zerrissenheit aufzuzeigen. Da sein Plan zudem sehr undurchsichtig bleibt, fällt dieser Handlungsstrang weiter hinter seinen Möglichkeiten zurück.
Unterm Strich ist «Thor» trotzdem viel unterhaltsamer, als man nach so vielen negativen Aspekten annehmen müsste. Die unaufregenden Actionsequenzen sind ähnlich schnell verziehen, wie die Unfähigkeit des Drehbuchs, beide Handlungsstränge zu einem eng verschlungenen Ganzen zu formen. Denn die Sequenzen im staubigen US-Provinzkaff sind zu kurzweilig geschrieben, die (einzige) handgemachte Actionsequenz im Herzen des Films zu angenehm theatralisch inszeniert, als dass «Thor» hinter dem Comicfilm-Durchschnitt zurückfiele. Wer die «Iron Man»-Filme liebt, wird auch «Thor» gut finden. Wer seine Comicadaptionen allerdings als durchgehende Witzeparade oder so düster wie Nolans Batman-Filme mag, dürfte nicht auf seine Kosten kommen.
«Thor» ist seit dem 28. April in vielen deutschen Kinos zu sehen.