Die Showtime-Adaption ist gut gemachtes Fernsehen - für Staffel zwei gibt es dennoch Verbesserungsmöglichkeiten.
Im Januar diesen Jahres startete auf dem US-Bezahlsender Showtime mit «Episodes» eine Serie über ein Autorenteam, dessen britische Erfolgsserie für den amerikanischen Fernsehmarkt adaptiert werden soll. «Episodes» diente für sieben Sonntage als Lead-in für eine Serie, die von einer britischen Erfolgsserie adaptiert wurde. Ob dieses Serienpaar ein Zufall der Zeit war oder nicht, «Shameless» zeigte in seinen ersten zwölf Episoden, dass die grausame Hollywood-Welt bestehend aus Sequels, Remakes und Reboots, welche ununterbrochen aus dem Boden geschossen kommen, nicht immer dramatisch schlecht sein muss. Allerdings besteht nun die Frage, ob das Autorenteam rund um Serienentwickler John Wells («Emergency Room») in Staffel zwei auf ihren eigenen Füßen stehen und auf Remakes der Episoden des seit 2004 auf Channel 4 ausgestrahlten Originals verzichten können.
Zwölf Episoden waren Zeit genug, um die siebenköpfige Familie Gallagher mit ansprechenden Charakterzügen auszustatten; und in der selben Zeit gab es genügend Momente, in denen die politisch inkorrekte Familie und ihr wildes Leben zwischen Diebstahl, Betrug, und der Suche nach einer fließenden Geldquelle mit Humor die Serie aufpeppen konnte. Letzten Endes ist «Shameless» nur zu genießen, wenn man als Zuschauer den politisch inkorrekten Part vollständig aus der Serie ausklammert. Anderweitig stellt man sich in jeder Episode immer wieder die selbe Frage: Wie kann man nur solch ein Leben führen, und wie ist es möglich, dass die Kinder noch nicht im Heim oder in Pflegefamilien sind?
Frank Gallagher ist der Patriarch der Familie - von seiner Frau Monica vor fast zwei Jahren verlassen, Interesse an seinen sechs Kindern ist nicht vorhanden. Stattdessen hängt er täglich in seiner Lieblingsbar herum und schafft es tatsächlich auf der Welle des dauerbetrunkenen Arbeitslosen zu leben, der monatlich auf seinen Scheck wartet, nur um es in der Bar wieder zu vertrinken und seine Familie zu vergessen. Fiona, das älteste Kind der Familie, hat kurzerhand die Mutterrolle übernommen. Und es scheint, als hätte das Leben der sechs Geschwister seinen Rhythmus gefunden. Egal wie knapp das Geld täglich ist; egal, ob die fehlende Vaterfigur eine Rolle spielt; egal, ob die Kinder Probleme in der Schule bereiten oder kein Interesse an einem Leben außerhalb der Familie haben, die Gallaghers halten zusammen und würden alles tun, damit sich dieser Umstand nicht ändert.
«Shameless» funktioniert als „normale“ Familienserie auf verschiedenen Ebenen, und sollte man Interesse an dem verschrobenen Humor der Serie finden, sorgen die Erlebnisse der Geschwister regelmäßig für tolle Lacher.. Selbst auf einem emotionalen Level kann «Shameless» überzeugen, doch gibt es Momente, bei denen man sich wünscht, dass die Serie ein echtes Drama wäre und auf eben jenen verschrobenen Humor verzichten könnte. Die Zuscher waren offenbar angesprochen von der Serie und bescherten Showtime fantastische Einschaltquoten. Im nächsten Jahr gibt es die zweite Staffel, samt Beweise, ob die Autoren dazugelernt, und ob die Emmy- und Golden-Globe-Juroren die Leistungen des fantastischen Casts, Jeremy Allen White ist besonders hervorzuheben, honoriert haben.
Frank ist nicht unbedingt der schlechteste Vater aller Zeiten, wie er gerne mal von seinen Kindern bezeichnet wird. Bevor seine Noch-Ehefrau Monica während der zweiten Staffelhälfte für zwei Episoden zu Besuch bekommt und gegen ihre Tochter Fiona um das Sorgerecht für den jüngsten Sprössling Liam kämpft, zeigt Frank, dass er durchaus weiß, was er tut. Und im Falle eines Notfalls hat er sogar die Unterstützung seiner Kinder sicher – auch wenn es nur darum geht, seinen Tod vorzutäuschen, damit irgend welche Kredithaie, denen Frank Geld schuldet, aus der Stadt verschinden und die Gallaghers in Ruhe lassen. Dankenswerterweise sind gerade diese episodenzentrischen Geschichten, die in der Regel über zwei Episoden erzählt wurden, eine Seltenheit in «Shameless», sind es doch gerade diese, die nicht immer überzeugen können und an der Glaubwürdigkeit der Charaktere nagen. Als Zuschauer versteht man problemlos, warum Fiona Frank immer wieder anfährt und mit Ärger in ihrer Körperhaltung nach finanzieller Unterstützung fragt (und schon von vorne herein weiß, dass Frank eine Ausrede finden wird): wir fiebern sogar mit Lip, wenn er kurz davor ist, seinen Vater blutig zu schlagen, weil dieser nichts gegen die Missstände tut, und sogar mit Lips Freundin Karen vor laufender Webkamera wilden Sex hatte.
Die Autoren wollen, dass wir als Zuschauer Frank hassen, was sich so schon als ein schneidiges Schwert erweist. Gerade deshalb ist Frank ein Charakter, dessen Aktionen selten zu verstehen sind, und dessen Gefühlswelt so gut wie gar nicht angegriffen wird. Nur wenn er unfreiwillig erfährt, dass Ian gar nicht sein Sohn ist, und Monica in der Vergangenheit mit einem seiner Brüder rumgemacht hat, gibt es einen winzigen Einblick in seine Emotionen. Fiona dagegen hat in jeder zweiten Episode einen Gefühlsausbruch, sobald sie vermutet, dass ihr Lover Steve sie belügt, oder wenn sie kurz davor ist, Liam an ihre unfähige Mutter und deren lesbische Trucker-Partnerin mit einem großen Mundwerk zu verlieren. Oder wenn sie realisiert, dass ihre Beziehung zu Steve mehr wert ist als Sex und das Gefühl nicht nur von ihren Geschwistern gebraucht zu werden. Doch am Ende siegt mit einer klaren Botschaft die Familie über die Liebe, zusammen mit der Frage, ob Fiona und Steve in der zweiten Staffel eine Zukunft haben werden.
Neben Frank und Fiona bekommen auch die Kinder ausreichend Zeit, um mit ihren Charakteren zu spielen. Ian und Lip haben ein fantastisches Verhältnis unter Brüdern und man spürt regelrecht, dass sie sich gegenseitig für den Anderen vor einen Zug schmeißen werden. Das hat nicht nur mit den tollen Darstellerleistungen von White und Cameron Monaghan zu tun, sondern sondern auch mit dem von den Autoren gegebenden Freiraum, um ihre Charaktere eigenhändig zu entwickeln. Nicht umsonst bekamen die beiden Jungdarsteller ausreichend Geschichten für die komplette Staffel, wenn sie schon in der Pilotfolge eine wunderbare Chemie bewiesen haben. Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es aber einige Probleme mit den Nebencharakteren. Veronica und Kevin, Nachbarn der Gallaghers, benötigen mehr Tiefe – was mit dem Einzug des 13-jährigen Pflegekindes Ethel und ihrem Sohn nicht gerade funktionierte – während die Jacksons, Karen und Frank's außerfamiliäre Affäre Sheila mehr Glaubwürdigkeit benötigen. Vor allem Karen's Entwicklung in den letzten vier Episoden fehlte es an einer vernünftigen Erklärung. Entweder sie ist ein recht verrücktes Sexmonster, oder einfach nur verrückt im medizinischen Sinne.
Der Cast von «Shameless» kann überzeugen. Ungeachtet den Schwierigkeiten William H. Macys Charakter zu mögen, machen Emmy Rossum und ihr «Dragonball Evolution»-Partner Justin Chatwin zusammen mit White, Monaghan und der Neuentdeckung Emma Kenney ihre Sache mehr als perfekt. Dank dieser Tatsache ist die Familie Gallagher mehr als liebreizend, trotz der unnormalen Lebensweise der Geschwister. Ob die Autoren aus ihren minimalen Fehlern dazugelernt haben, wird sich 2012 zeigen, und ob «Shameless» seinen eigenen Weg gehen wird und Abstand von den britischen Geschichten nehmen wird, ist nur zu erwarten. Andernfalls wird es für die Fans des Originals nämlich recht langweilig.