Lenas Titel: Weg. Taken by a Stranger sozusagen. Nämlich: Aserbaidschan. Wie die Netzgemeinde reagierte, beschreibt Jürgen Kirsch.
Wo liegt eigentlich Baku? Keine Sorge, eine Nachhilfestunde in Erdkunde, wird das hier nicht. Doch diese Fragen stellten sich wieder einmal viele Fernsehzuschauer am Samstagabend. Kann man dort einen «Eurovision Song Contest» austragen? So lautete die nächste Frage der Fernsehinteressierten im Internet. Wie üblich bediente das Netz die Ironie und Polemik. Denn wieder mal witterte man einen "Ostblock"-Skandal bei der Abstimmung im Finale des «Eurovision Song Contest». Gewonnen hatten Ell und Nikki aus Aserbaidschan mit ihrem modernen Pop-Song „Running Scared“. Sie entthronten Lena, die ihnen die Trophäe überreichte. Unsere Lena wurde „nur“ Zehnter. Minimalziel erreicht. Aber auch nur weil sich die Länder des Morgenlands vermutlich wieder die Punkte zugeschoben haben, lautete der Tenor aus dem World Wide Web. Doch diese Vermutung mag allein aus Enttäuschung und Frust geboren sein. Man sollte Deutschland in den "Ostblock" verschieben oder sich vom Balkan einverleiben lassen, um eine Chance zu haben. All das ist aber gar nicht notwendig. Denn letztlich überzeugte allein die gute Komposition des Siegertitels „Running Scared“.
Im fulminanten Finale des «Eurovision Song Contest» ging alles mit rechten Dingen zu. Es ist schlicht eine Mär, dass sich die östlichen Länder die Punkte zuschieben würden. Aus Lettland gab es acht Punkte für Lena Meyer-Landrut, ebenso aus Weißrussland und der Schweiz. Und nicht selten wurden auch zweistellige Punktzahlen aus Osteuropa für Schwedens Eric Saade gezählt. Selbst Italien war dort hoch im Kurs, wenn man sich das Voting-Ergebnis einmal genauer anschaut. Das beste Gegenargument zu der These, die mittlerweile irgendwie zum «Eurovision Song Contest» gehört: Hat nicht die Österreicherin Nadine Beiler zwölf Punkte aus Deutschland erhalten? Als Dankeschön gab es zehn Punkte aus Wien für Lena. Das ist doch mal Nachbarschaftshilfe aus dem Alpenland. Dort freute man sich sowieso über die brüderliche Hilfe, der sonst als „Piefkes“ verschmähten Deutschen. Abgesehen davon, haben die Sieger aus Aserbaidschan bei vielen europäischen Ländern fleißig Punkte gesammelt. Denn Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist. Ell und Nikki erhielten weniger oft die volle Punktezahl als Lena 2010. Gerade dreimal gab es zwölf Punkte für Aserbaidschan. Reicht also nur für eine kleine Zwölf-Punkte-Feier im nächsten Jahr. Und so hat sich die gute Komposition „Running Scared“ eben flächendeckend durchgesetzt und konnte die meisten Stimmen für sich vereinen. Der «Eurovision Song Contest 2012» kommt daher verdientermaßen aus Baku.
Als im Netz dann der letzte "Ostblock"-Witz gebracht war, gratulierte man auch artig Ell und Nikki aus Aserbaidschan. Doch wo liegt nun Baku? Zur Not hilft eben Google. Auf die «ESC»-Zeit in Baku werden sich ohnehin schon viele Delegationen freuen. Schließlich wird auch dieses Land an Ansehen hinzugewinnen. Was Google aber nicht wusste, ist der Sieger des «Eurovision Song Contest». Dort stand Lena ganz weit oben. An erster Stelle. Sie wurde Zehnter. Ihr erotischer Auftritt mit dem verzückenden Blick und dem verrucht-düsteren „Taken By A Stranger“ hat Deutschland dennoch stolz gemacht. Nanu? Titelverteidigung war das Ziel, werden viele jetzt sagen. Doch darum ging es nicht wirklich für Lena. Ein guter Platz war drin, den Wettbewerb hat man beflügelt, ja vielleicht sogar revolutioniert und das Heimspiel im eigenen Land musste die Vorjahressiegerin einfach genießen. Nun fiel auch eine Last von ihren Schultern, denn die „nationale Aufgabe“ muss in Baku jemand anders bewältigen. Wahrscheinlich auch mit Raab. Apropos: Sein Opening zusammen mit Anke Engelke und Judith Rakers sowie deren Moderation waren für den «Eurovision Song Contest» erfrischend anders. Eine weitere Bereicherung für den europäischen Gesangswettbewerb. Raabs Rockabilly-Auftritt mit Big-Band-Feuerwerk zu „Satellite“ und den 42 Lena-Doubles sowie Lena selbst auf der Bühne war der beste Beitrag des Abends.
Man hätte fast schon aufhören können. Das wird man aber noch lange nicht tun: Im nächsten Jahr wird es darum gehen, den eingeschlagenen Weg weiter zu schreiten. Denn die Kooperation zwischen ARD, ProSieben/Brainpool und Raab, die in diesem Jahr aufgrund der Ausrichtung der Veranstaltung noch intensiver war, hat sich bezahlt gemacht. Denn eines ist sicher: Der «Eurovision Song Contest» im eigenen Land war für Deutschland ein Gewinn. Die perfekte Show, die reibungslose Organisation – sie wurden von allen Delegationen gelobt. Und auch die im Vorfeld so kritische Medienmeute ist nun voll des Lobes. Denn tatsächlich: Deutschland hatte schon vor dem Finale gewonnen – an Ansehen.
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