Der Fall Kachelmann...und das ZDF ist voll dabei
In wenigen Tagen wird der Prozess um den Fernsehmoderator und Meteorologen Jörg Kachelmann enden und damit auch eines der zweifelhaftesten Medienspektakel der vergangenen Jahre. Von Beginn an stand dabei der Vorwurf im Raum, dass sich die Sphären der Rechtsprechung und der Massenmedien immer stärker durchmischt hätten, weil die Presse über eigentlich unter Verschluss stehende Details informiert war und wichtige Zeugen vorab Interviews gaben. Entsprechend betitelte Maybrit Illner ihre ZDF-Sendung vom 26. Mai 2011 mit der Frage: „Der Fall Kachelmann: Schon jetzt ein Justizskandal?“ und deutete darin auch eine Kritik der allgemeinen Berichterstattung an. Nun, gegen eine solche Diskussion ist im Grunde nichts zu sagen, würde sich ihr Sender nicht selbst an der Sensationslust der Medien beteiligen.
Am Mittwochabend, also rund 24 Stunden bevor Maybrit Illner auf Sendung ging, war das Gerichtsverfahren um den Wettermoderator auch Thema der neuen Sendereihe «ZDFzoom». Die Dokumentation trug den Titel „Der Fall Kachelmann...und die gelenkte Wahrheit“ und implizierte somit ebenfalls, eine medienkritische Sicht der Vorfälle aufzeigen zu wollen. Mehr noch, der Titel versprach sogar das vermeintlich medial verzerrte Bild zu korrigieren. Doch tatsächlich blieb von diesem Ansatz abgesehen von der Überschrift und einigen Sätzen wenig übrig. Vielmehr konzentrierte sich der Beitrag von Hansjürg Zumstein auf eine akribische Nachzeichnung des Prozesses und persönlicher Intimitäten, die mit nachgesprochenen Gerichtsprotokollen und Zeichnungen plastisch illustriert waren. Umrahmt wurde die Rekonstruktion von den prominenten Gerichtsreporterinnen Alice Schwarzer (für BILD), Gisela Friedrichsen (für SPIEGEL) und Sabine Rückert (für „Die Zeit“), die ausführlich ihre Sicht schildern und weitere Details preisgeben durften. Viel Raum für Medienkritik blieb dabei nicht. Als kleines Trostpflaster befindet sich im zugehörigen Blog ein Beitrag des Autors, der tatsächlich ein Beispiel der Manipulation durch eine Zeitung näher erläutert. Mehr Beobachtungen dieser Art und nicht nur die schlichte Nacherzählung des Prozesses hätten die Doku und ihre medienkritische Haltung wesentlich relevanter und weniger heuchlerisch gemacht.
Noch während die Dokumentation lief, blendete das ZDF einen Sendehinweis für die nachfolgende Talkshow «Markus Lanz» ein, die sich ebenfalls dem Thema widmen sollte. Den Audience-Flow wollte man sich offenbar nicht entgehen lassen und schuf damit gleich eine Art Mini-Themenabend. In der nachfolgenden Diskussion war Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen eingeladen, die bereits in der vorangegangen Doku zu sehen war und noch ausführlicher über den Verlauf des Prozesses berichten sollte. Dabei verzichtete sie jedoch auf eine distanzierte, journalistische Darstellung, sondern lobte die Brillanz von Kachelmanns Anwälten, äußerte deutliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Nebenklägerin und feierte fast schon Kachelmanns Freispruch. Einen zweiten Experten, der ihre Meinungen relativieren, bestätigen oder gar widerlegen konnte, gab es nicht. Das ist deswegen verwerflich, weil der ZDF-Rechtsexperte Ulrich Haagen in der kurz zuvor beendeten Doku feststellte, dass es zwei Lager in der Berichterstattung geben würde. Nämlich „Der SPIEGEL“ (Friedrichsen) und „Die Zeit“ (Rückert), die prinzipiell pro Kachelmann eingestellt seien und BILD (Schwarzer) und BUNTE, die eher auf der Seite des Opfers wären. Es war also abzusehen, in welche Richtung sich das Gespräch mit Friedrichsen entwickeln würde und dass es journalistisch anzuraten wäre, eine derart subjektive Meinung sachlich zu unterfüttern. Doch selbst wenn die Redaktion sich über die Voreingenommenheit von Frau Friedrichsen nicht im klaren war, hätte Lanz dies in der Sendung eindämmen müssen. Doch das Gegenteil geschah, er ermutigte sie immer wieder aufs neue, weitere Einzelheiten zu offenbaren. Einer Partei ein derart öffentliches Forum zu gewähren, spiegelt genau die mediale Lenkung wider, die in der Dokumentation versucht wurde anzudeuten.Erinnerungen an den Januar 2011 wurden wach, als Moderator Markus Lanz, schon einmal seine journalistische Integrität verspielt hatte, indem er wochenlang in seiner Sendung über das RTL Dschungel-Camp mit ehemaligen Teilnehmern sprach und dabei ebenfalls die moralische Keule schwang, aber dennoch im Sog des Erfolgs mitschwimmen wollte.
Ohnehin scheinen die Anstalten vor allem über den Zeitpunkt des Endes vom Kachelmann-Prozess glücklich zu sein. Fällt er doch mit der Verhaftung von Dominique Strauss-Kahn und dem Bekanntwerden der Affäre von Arnold Schwarzenegger zusammen. So ist es möglich über Sex und Schmuddelthemen in einem seriösen Rahmen und vor einem ernsten Hintergrund zu sprechen. Größte Gewinnerin dabei ist Alice Schwarzer, die sich mittlerweile zu einer wahren Expertin für die dunkle Seite von mächtigen Männern zu etablieren scheint, denn sie durfte sich zu diesem Thema und dem Kachelmann-Prozess bereits am Sonntag bei «Anne Will» (diesmal im Ersten) äußern. Dann tauchte sie in der «ZDFzoom»-Doku auf, bevor sie am Donnerstag bei Maybrit Illner noch einmal ihren Standpunkt vertreten konnte. Beim letztem Auftritt pries sie nicht nur ohne nachvollziehbaren Grund die Integrität der Staatsanwaltschaft, sondern rechtfertigte auch ihr Engagement für die BILD-Zeitung mit den Worten, dass dies ein „anständiges Blatt“ sei. Den verantwortlichen Redaktionen ist daher die Frage zu stellen, wieso man ausgerechnet eine Autorin der meinungsmachenden BILD-Zeitung an Sendungen beteiligt, die eigentlich einen distanzierten Zugang zum Thema anstreben. Man kann doch auch nicht Thilo Sarrazin in ein Gespräch einladen und dann versprechen, dass es eine sachliche und fundierte Diskussion über Migration geben wird. Hier spielte wohl einmal mehr Schwarzers Unterhaltungswert und Prominenz eine wichtigere Rolle als ihre tatsächliche Eignung.
Und so eierte das ZDF an zwei Abenden um das Thema Kachelmann herum, vermied die angestrebten Metadiskussionen und schaffte es am Ende lediglich, Details und Intimitäten zu wiederholen, die in anderen Medien bereits besprochen wurden. Damit es hier zu keinen Missverständnissen kommt: Das ZDF hat durchaus das Recht über den Prozess von Kachelmann ausführlich zu berichten. Streiten könnte man über die Frage, ob der Sender sogar die Pflicht dazu hat. Doch wenn dies getan wird, möge man sich dazu bekennen und nicht die Gier nach Voyeurismus und boulevardesken Inhalten unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Medienschelte ausleben.
Damit ist das ZDF nicht allein und steht hier stellvertretend am Pranger. Auch zahlreiche andere Sender, Zeitungen und Plattformen kritisieren einerseits die Verletzung der Intimsphäre der Beteiligten sowie die Beeinflussung der Rechtsbehörden, tragen aber andererseits durch ihre fortwährende, detaillierte Berichterstattung selbst dazu bei. Diese Taktik ist nicht nur leicht durchschaubar und scheinheilig, sondern schadet vor allen den Medienunternehmen und den verantwortlichen Personen. Schmutz bleibt Schmutz, auch wenn man ihn anders nennt.
«Punkt 12»
(Dienstag, 24. Mai 2011, 12.00 Uhr, RTL)
In einem Beitrag des Mittagsmagazins wird über die Auswirkungen der Tornado-Serie im Ort Joplin (USA) berichtet. Dabei wird auch eine junge Dame gezeigt, die in den Trümmern ihres Hauses steht und sich darüber beklagt, dass sie alles verloren hätte. Genau in diesem Moment blendet dann jedoch die Bildregie den Hinweis auf das «Punkt 12»-Gewinnspiel und den Jackpot in Höhe von 45.000 Euro ein. Ein super Timing!
Wir suchen weitere Beispiele für den größten Dünnpfiff im Fernsehen. Haben auch Sie einen Kandidaten für den „Haufen der Woche“ entdeckt? Dann schicken Sie eine Lesermail mithilfe des obigen Links.
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