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Am 1. September 2001 wird aus dem ehemaligen Frauen- und Fußballsender tm3 offiziell der Mitmachsender 9Live. In den Anfangsjahren experimentiert kaum ein anderer Fernsehsender kreativer an Call-In-Formaten und polarisiert damit wie kein anderer Mitbewerber: Anlässlich des zweiten Sendergeburtstages schaffen es die Moderatoren Thomas Schürmann, Anna Heesch, Robin Bade, Jörg Dräger («Geh aufs Ganze») sowie Alida Kurras («Big Brother»-Siegerin der 2. Staffel) durch Dauermoderieren mit dem „längsten Fernseh-Quiz“ in das Guinness-Buch der Rekorde. Im März 2004 legt man den Gameshow-Klassiker «Glücksrad»neu auf und engagiert mit Frederic Meisner den original «Glücksrad»-Moderator aus der Sat.1-Zeit. Beim «9Live Tanzmarathon» tanzen zehn Paare um ein Preisgeld von 100.000 Euro. Dabei werden die Zuschauer interaktiv durch ein Voting einbezogen. Im Juli 2001 - also noch zu tm3-Zeiten - geht erstmals Michael Koslar mit «Alles
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Mit insgesamt 17,2 Millionen Anrufen erreicht 9Live nach einem Sendejahr 2002 erstmals einen operativen Gewinn, wie 9Live-Geschäftsführerin Christiane zu Salm verkündet: "Damit hat 9Live ein Jahr früher als geplant die Gewinnschwelle erreicht.“ Mit den aktuellen Anrufzahlen liege der Sender über den erforderlichen elf bis zwölf Millionen Anrufen monatlich, die für ein positives Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (EBITDA) notwendig seien. Die Bruttowerbeerlöse lagen im Mai 2002 bei rund 1,7 Millionen Euro. 9Live-Geschäftsführerin Christiane zu Salm dazu: "Transaktionsfernsehen im Unterhaltungsbereich ist der momentan einzige Wachstumsmarkt im deutschen Fernsehen. (…) Der Sender wird Deutschlands erstes werbefreies Fernsehen im kommerziellen Free-TV. Ich denke, das ist angesichts des rückläufigen Werbemarktes eine echte Innovation." Im August 2003 beruft Geschäftsführerin Christiane zu Salm den Programmdirektor Marcus Wolter in die Geschäftsführung, der mittlerweile Geschäftsführer bei der «Big Brother»-Produktionsfirma Endemol Deutschland ist.
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Doch wo viel Licht ist, ist auch Schatten: Immer mehr Kritiker sehen in dem Geschäftsmodell Betrug an den Zuschauern. So beschäftigten sich immer häufiger die Bayerische Landesmedienanstalt und die Justiz mit dem polarisierenden Sender. 2005 fällt das Landgericht Freiburg das erste rechtskräftige Urteil zu TV-Gewinnspielen: Es handele sich nicht um unerlaubtes Glückspiel. Die CSU-Politikerin Gabriele Goderbauer-Marchner droht dem Mitmach-Sender später sogar mit Sendelizenz-Entzug.9Live kippt bei der sogenannten „Lauenstein-Affäre“ selbst Öl ins Feuer und liefert Kritikern neuen Zündstoff: Im Mai 2007 geht während einer Live-Sendung die Regieanweisung on-air, man solle „bei solchen Peaks“ später zuschlagen. Anders als von vielen Zuschauern gedacht, werde der „Hot Button“ also nicht vom Zufall ausgelöst, wie die Mitmachregeln später verdeutlichen. Der Vorfall blieb vorerst ohne Folgen. Kurios: 2010 ließ die Bayerische Landesmedienanstalt bei bereits verhängten Bußgeldverfahren gegen 9Live sowie Mitbewerber Sport 1 wegen Verstößen gegen die Gewinnspielsatzung in mehreren Fällen die Fristen versäumen. Somit kamen die Sender ohne Bußgeld davon. Da die Staatsanwaltschaft zwei Tage zu spät eingeschaltet wurde, blieben 9Live fünf Verfahren und mindestens 115.000 Euro Bußgeld erspart. Es sei ein „bedauerliches Büroversehen“ während der Ferienzeit – so die spätere Begründung der Verantwortlichen.
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Bei der jährlichen Programmvorschau für Werbekunden äußert sich ProSiebenSat.1-Chef Thomas Ebeling 2010 zweifelnd über den Tochtersender: Die Anzahl der Anrufe sei stark zurückgegangen, klassisches Call-TV im Sinne der typischen Gewinnspiel-Sendungen sei nicht mehr so attraktiv, so Ebeling. Schuld seien auch die "juristischen Begrenzungen". Anfang 2011 beendet 9Live die Ausstrahlung via Astra analog, sodass die Reichweite und damit auch die Anruferzahlen rückläufig sind. Einige Wochen später wird es offiziell: Die Call-In-Ära von 9Live endet in der Nacht zum 1. Juni 2011 nach knapp zehn Jahren. Beim neuen fiktionalen 9Live-Programm greift man auf Kooperationen mit Astro TV sowie das Serienarchiv von ProSiebenSat.1 zu. Die letzte Live-Show wird unter anderem von 9Live-Urgestein Thomas Schürmann am Dienstagabend ab 22.15 Uhr moderiert. Um Mitternacht endet dann ein Stück TV-Geschichte des polarisierenden Call-In-TVs in Deutschland. Soweit die Bayerische Landesmedienanstalt zustimmt, könnte der ProSiebenSat.1-Frauensender sixx zum ersten Sendergeburtstag die reichweitenstärkere 9Live-Frequnz übernehmen. Damit wäre 9Live Fernsehgeschichte.