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Das Drama hatte wenig Gründe während seiner ersten Staffel zu überzeugen. In erster Instanz ist «Harry's Law» nur eine interessante Serie, weil sie Oscar-Preisträgerin Kathy Bates eine Rolle in einer Fernsehserie und damit ihren Fans wöchentlich einen Grund gibt einzuschalten. Weitere Gründe, die Serie zu verfolgen, gab es allerdings nicht: Zu surreal wirkte die Pilotfolge mit ihrer Art und Weise, Harriet Korn (Bates) mit dem jungen Anwalt Adam (Nate Corddry) zu paaren; zu unwichtig wirkten die ersten Gerichtsfälle; zu vorhersehbar waren ihre Enden. «Harry's Law» musste sich gefallen lassen, mit NBCs früheren Flop «Outlaw» verglichen zu werden, und das sogar zu recht: Die Fälle vor Gericht sollten die Missstände der amerikanischen Justiz ansprechen, sollten wenn möglich dramatisch erscheinen, und den Anwälten eine harte Zeit während der 42 Minuten verschaffen, doch am Ende funktionierte es nicht, wie es sollte. Wenn Harriet ihre Fälle als Verteidigerin immer gewinnt (auch wenn es manchmal der Idiotie der Ankläger zu verdanken war), gilt das einfach als unrealistisch, spannungslos und vorhersehbar.
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NBC und sein Publikum fanden offenbar Gefallen an «Harry's Law». Die Zielgruppenwerte waren für NBC-Verhältnisse zwar unter Durchschnitt, doch konnte es sich der Pfauensender nicht leisten, eine Serie abzusetzen, die größtenteils beim alten Publikum gut ankommt. Nicht umsonst wurde die zweite Staffel von «Harry's Law» im nächsten TV-Jahr mit «Law & Order: Special Victims Unit» gepaart, um einen besseren Zuschauerfluss zwischen den beiden Serien zu generieren. Wenn Kelley von seiner Konkurrenz auf CBS gelernt hat, wie Anwaltsgeschichten in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts aussehen, könnte aus «Harry's Law» bald eine feine Serie werden, welche sich voll und ganz auf die Justiz und die Botschaft daraus konzentriert, zusammen mit der emotionalen Dramatik, welche einige der Gerichtsfälle erzeugen können.
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Dafür gab es Hände voll von Geschichten für die beiden professionellen Anwälte Harriet und Adam. Sie hatten nicht nur mit dem Sinn des Anwaltsdaseins zu kämpfen, sondern auch gegen einige schäbige Charaktere. Angefangen mit dem egoistischen Tommy Jefferson (Christopher McDonald), der sich mit der Zeit als wahrer Freund Harriets herausstellte, bis hin zum aggressiven Staatsanwalt Josh Peyton (Paul McCrane), der am Ende seiner Karriere inmitten seines Wutausbruchs nicht nur einen, sondern zwei Strips im Gerichtssaal hinlegt, weil Harriet wieder einmal einen Klienten freigesprochen bekommen hat, welchen Peyton so gerne hinter Gittern sehen wollte. Hier zeigt sich der minimal surreale Humor von «Harry's Law», welcher zeitweise irgendwie nicht in die Serie passt, am Ende doch perfekt als Beginn einer wundervollen Freundschaft zwischen Harriet/Tommy und Harriet/Peyton funktionierte. Für Zuschauer, die sich als Neuling in einer Kelley-Serie wiederfanden, mag das zuerst merkwürdig gewirkt haben, allerdings zeigte sich im langfristigen Verlauf, dass der Humor zwischen den tragischen Momenten nötig ist, um zu zeigen, dass «Harry's Law» keine realistische Serie im Justizgenre ist, sondern schlicht Geschichten erzählen will.
Nach mehr als einer halben Staffel gewöhnt man sich auch an den Stil der Serie, und man hat keine Schwierigkeiten, das Hin und Her zwischen den ehemaligen Liebhabern Adam und Rachel (Jordana Spiro) zu akzeptieren, auch wenn das Thema vor allem in den letzten beiden Episoden von Staffel eins überreizt wurde. Selbst der Egoismus von Tommy und seine unzähligen Hiebe gegen Adam, welchen er nicht leiden kann (nachdem Adam nicht nur einen, sondern zwei Fälle vor Gericht gegen Tommy gewann), verwandeln sich am Ende der Staffel zu charmanten Charakterzügen, welche «Harry's Law» leichtherzig erscheinen lassen – ein lockeres Anwaltsdrama mit ein paar dramatischen Geschichten, aber genug Humor, um den Zuschauer nicht mit der Last des kaputten Justizsystem zu schultern. Die Frage besteht allerdings, ob Kelley mit seiner Serie in der zweiten Staffel mehr vorhat. Jetzt, wo er nach der Nicht-Bestellung von «Wonder Woman» genügend Zeit hat, sich auf seine aktuelle Serie zu konzentrieren, sollte er mehr Wert auf die Beziehungen zwischen den Charakteren und die Botschaften der Geschichten legen. Vielleicht gelingt es ihm auch, wieder als Pionier des Anwaltsgenres in die Diskussionen der Fernsehnerds zu geraten, die ohne Frage nach einem zweiten «The Good Wife» suchen.