Irgendwann in Hollywood… da gab es eine Zeit, zu der waren zwei kernige Filmemacher gleichermaßen angesehen. Es war zu einem Zeitpunkt, als «From Dusk Till Dawn» im Rahmen der Berlinale aufgeführt wurde. Die befreundeten Kultregisseure, von denen hier die Rede ist, sind Quentin Tarantino und Robert Rodriguez. Mittlerweile betrachten nur noch wenige diese beiden Kumpel als ebenbürtig. Tarantino zementierte mit dem Rache-Epos «Kill Bill» und dem alternativen Weltkriegsfilm «Inglourious Basterds» seine Position am Film-Olymp. Was hat Robert Rodriguez hingegen die vergangenen Jahre gemacht? Er übt sich vor allem darin, Filme anzukündigen. Gedreht hat er seit der Tarantino-Kooperation «Grindhouse» nur den erfolglosen Kinderfilm «Das Geheimnis des Regenbogensteins» sowie den selbstironischen Action-Trash «Machete». Und bei dem war Rodriguez bloß Co-Regisseur.
Während seine erwachsenen Fans begierig auf «Sin City 2» oder den mysteriösen Sci-Fi-Thriller «Neverackers» (angeblich eine Mischung aus «Blade Runner» und «Desperado») warten, beglückt Rodriguez dieses Jahr erneut die jüngsten unter seinen Anhängern. Bereits im August startet «Spy Kids 4» in den US-Kinos, rechtzeitig um «Cars 2» den diesjährigen Titel für die „Größte, kommerziell kalkulierte Verschwendung begnadeter Filmtalente“ streitig zu machen.
Vermarktet wird «Spy Kids 4» als 4D-Film: An den Kinokassen werden mit Duftstoffen imprägnierte Karten verteilt und während bestimmter Filmmomente wird das Publikum aufgefordert, an einem der Felder dieser Karten zu rubbeln und so den Geruch freizusetzen.
Diese Idee riecht altbacken
Neu ist die Idee des Geruchskinos nicht. Schon in den Anfangszeiten des Kinos versuchten Kinobesitzer, Aromastoffe durch das Lüftungssystem ihrer Theater zu verteilen um bestimmte Filme zu unterstützen. Breitere Unterstützung, auch seitens der Filmemacher, fand das Geruchskino erst in den späten 50er und frühen 60er Jahren, als unter die Dokumentation «Behind the Great Wall» über die Chinesische Mauer im so genannten AromaRama-Verfahren präsentiert wurde. Die Technik erwies sich aber als sehr unzuverlässig, was den Kritiken nicht sonderlich zuträglich war. 1960 wurde außerdem die Smell-O-Vision in einigen Kinos von Chicago, New York und Los Angeles eingeführt, um den Thriller «Scent of Mystery» zu einem großen Erlebnis zu machen. Auch dies ohne Erfolg.
Erst 1981 wurde das Geruchskino halbwegs massentauglich. Zumindest über die Dauer eines Films: John Waters‘ Gesellschaftssatire «Polyester» lebte das Verfahren vor, dem sich nun Robert Rodriguez bedient. Auf Rubbelkarten befanden zehn aromatisierte Felder, die unter anderem nach Fäkalien, Pizza, Klebstoff und Gras rochen. 2000 zollte «Die Rugrats auf Achse» Waters Tribut und kopierte sowohl die Idee, als auch den geschützten Namen Odorama, was einen Rechtsstreit nach sich zog.
Ausgerechnet Tom Tykwers Literaturverfilmung «Das Parfüm» kam nicht als Geruchsfilm ins Kino, allerdings holte man die nahe liegende Idee in Form einer limitierten DVD-Edition mit fünf Parfümfläschen nach, in denen sich von Thierry Mugler Parfums und IFF passend zu bestimmten Filmsequenzen kreierte Düfte befanden. Und der Trailer zur Romantikkomödie «27 Dresses» wurde Anfang 2008 in einigen deutschen CinemaxX-Kinos von einer komplexen Mischung aus Ananas, Minze, Cassis, Moschus sowie mehreren Blumendüften begleitet. Es war ein Marketinggag des US-Verleihs Fox, der sich versprach, dass sich das Publikum durch den Geruchseffekt besser an diesen Trailer erinnert. Die Filmvorführer warteten jedoch wochenlang auf Rückmeldung, sei sie positiv oder negativ. Das Publikum schwieg, offenbar, weil die komplexe Duftkomposition zu dezent in die Säle gelassen wurde.
Wieso dem Kinopublikum der duftende Film nicht schmeckt
Dass das Geruchskino bislang längst nicht den Erfolg des 3D-Kinos feiern konnte, und weshalb das wohl auch so bleiben wird, hat zahlreiche und nahe liegende Gründe. Bereits bei 3D-Filmen klagen einige Zuschauer, dass sie durch die 3D-Effekte nicht etwa noch tiefer im Film versinken, sondern immer wieder aus der Geschichte rausgerissen werden. Schwache Tiefeneffekte werden beklagt, im wahrsten Sinne des Wortes herausstechende Effekte erinnern dagegen mehr an Freizeitparkattraktionen und lenken von dem eigentlichen Filmgeschehen ab. Geruchskino ist ein noch größerer Illusionsbrecher, insbesondere wenn mit parfümierten Karten oder kleinen Ampullen gearbeitet wird. Das Publikum muss sich dann an die Instruktionen erinnern oder erhält während des Films Hinweise, wann es denn am zuvor verteilten Gegenstand zu schnüffeln gilt. Der ungebrochene Aufbau einer Filmillusion, das Aufrechthalten der Atmosphäre im Kino ist so unmöglich, mit diesen Unterbrechungen erinnert der Kinogang plötzlich mehr ans Privatfernsehen.
Und selbst aufwändigere, automatisierte Experimente mit Geruchseffekten leiden noch immer an der Künstlichkeit der versprühten Düfte. Hinzu kommt der leidliche Gewohnheitsfaktor: Niemand ist es gewohnt, Gerüche als narratives Stilmittel zu verstehen. Während die wenigsten Kinobesucher während einer dunkel beleuchteten Szene gedanklich Abstand nehmen und über die Effektivität und Intention der Beleuchtung sinnieren, erinnern einen Geruchseffekte stets daran, dass man ja gerade in einem Effektfilm sitzt. Und schon bewertet man den Geruchseffekt: Riecht der Duft gut, ist es sinnvoll, gerade jetzt Aroma zu versprühen..?
Kurz gesagt, Geruchskino wirkt aufgesetzt und unnatürlich. Ganz zu schweigen davon, dass Geruchskino niemals in dem Umfang akzeptiert würde, wie es beim 3D-Kino der Fall ist. Während es durchaus seinen Reiz hat, James Camerons Na’vis oder den ruhmreichen Piratenkapitän Jack Sparrow in 3D zu sehen, wer würde schon gerne letzteren und seine versoffene, ungewaschene Crew erschnüffeln wollen? Anders als 3D-Filme wären auch fortgeschrittene Geruchsfilme dazu verdammt, sich auf bestimmte Momente zu beschränken. Was der vermeintlichen Perfektion des Kinoerlebnisses als vollumfängliche Sinnesreise nur Risse in der illusionären Fassade versetzen würde.
Tief durchatmen: Alles nur halb so wild
Bei aller Kritik muss man jedoch eins beachten: Wir sprechen hier nicht von Robert Rodriguez’ potentiellem Meisterwerk, welches durch eine dämliche Idee ins Stolpern gebracht wird. Die Rede ist schlicht und ergreifend von «Spy Kids 4», einem effektüberfrachteten Stück Kinderbespaßung. Bei solch einem Film wird es den Kindern vollkommen egal sein, wenn die fadenscheinige Geschichte kurz angehalten wird, damit sie Zeit haben, an einer Pappkarte zu schnüffeln. Der Film schert sich einen Dreck um Illusionsbildung, «Spy Kids 4» ist das Kino-Äquivalent zu einer Kirmesattraktion. Bei solch einem Film sind die Geruchseffekte bloß eine konsequent irrwitzige Spinnerei. Die Kinder werden es bestimmt lieben.
Um die Karriere von Robert Rodriguez muss man sich derweil keine ernsthaften Sorgen machen. Nicht sonderlich lange nach dem letzten «Spy Kids»-Film brachte er den von Kritikern und dem Publikum gefeierten «Sin City» heraus, es besteht also keine Gefahr, dass er sich auf dem cineastischen Spielplatz verirrt. Und die Kinowelt muss wirklich nicht bangen, dass bald ein von James Cameron losgetretener High-Tech-Geruchskino-Trend auf sie einbricht. Ist ja nicht so, als hätte Robert Rodriguez 2003 mit «Spy Kids 3D: Game Over» nicht bereits einen anderen Boom vorhergesehen…