Mit dem Start von «Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 2» geht eine Ära zu Ende. Zum Abschied folgen ehrliche Grußworte eines Ahnungslosen.
Vergangene Woche startete mit «Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 2» der achte und letzte Teil der «Harry Potter»-Kinosaga. Rund zehn Jahre sind vergangen, seit die Verfilmung des ersten Buchs dafür sorgte, dass die weltweite Begeisterung für Joanne K. Rowlings beliebte Schöpfung auch in der Kinowelt zu spüren ist. Nur, um diese Zeitspanne in Perspektive zu setzen: In der Zeit, die zwischen dem ersten und dem letzten «Harry Potter»-Kinofilm vergangen ist, fanden drei Bundestagswahlen statt. Deutsche Kinogänger haben ihre Eintrittskarten für «Harry Potter und der Stein der Weisen» noch mit D-Mark bezahlt. Seither hat Nintendo seinen erfolgreichen Nintendo 64 zu Grabe getragen, den eher erfolglosen GameCube veröffentlicht, mit der Wii die meistverkaufte Heimkonsole aller Zeiten auf den Markt gebracht und ihren Nachfolger vorgestellt. In der gleichen Zeitspanne habe ich mir die Qualifikation für die Oberstufe erarbeit, das Abitur bestanden und studiert. Kurzum: Zehn Jahre sind eine verflixt lange Zeit.
Wenn Filmjournalisten davon schreiben, dass Fans scharenweise ins Kino strömen, übertreiben sie üblicherweise. Im Fall von «Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 2» sind Übertreibungen nicht von Nöten. In den USA nahm das letzte Kinokapitel der Saga alleine am Starttag sensationelle 92,1 Mio. Dollar ein. «Transformers 3», der bisher am erfolgreichsten gestartete Film des Kinojahres, nahm am Startwochenende 97,8 Millionen Dollar ein. Potter übertraf somit den bisherigen Startrekord von «New Moon» um fast 20 Millionen. Auch in Deutschland eroberte sich Potter ganz konsequent den Titel des besten Starts des Kinojahres.
Dennoch nimmt nicht jeder an Harry Potters furiosem Abschied von der Filmwelt teil. Ich zum Beispiel. Nachdem mich das erste Buch der Serie schlichtweg nicht fesseln wollte, sah ich damals «Harry Potter und der Stein der Weisen» im Schulunterricht als Zeitvertreib kurz vor den Sommerferien. Auf Videokassette. Der Film ließ mich ähnlich kalt, wie seine literarische Vorlage. Die Potter-Mania nahm bekanntlich keinen Abbruch, und auf Anraten von Freundinnen, Bekannten und missionarisch veranlagten Fans, denen ich irgendwann mal über den Weg gelaufen bin, versuchte ich mich auch an einem der späteren Bücher. Ich habe es nicht weit geschafft. Vielleicht war es Band 3 – allein schon der Umstand, dass ich den Titel nicht mehr weiß, spricht wohl für sich. Die von Rowling geschaffene Zauberwelt und die in ihr lebenden Figuren konnten selbst beim besten Willen nicht mein Interesse schüren. Ich erkannte am zweiten Buch, das ich anlas, dass die Potter-Bücher durchaus eine schriftstellerische Qualität zu bieten haben. Daran lag es wirklich nicht. Es ließ mich einfach kalt.
Ich bin mit dieser Einstellung alles andere, als allein. Wahrscheinlich wird jeder Potter-Fan klagend von ignoranten Freunden berichten können, die beim Kinobesuch immer klagend aufstöhnten, wenn ein Trailer für den jüngsten «Harry Potter»-Film lief. Ja, ich gestehe, auch ich gehörte dazu. Und vor wenigen Wochen könnte ich während eines Kinobesuch tatsächlich sehr viele „Endlich ist der Scheiß zu Ende!“-Kommentare vernehmen. Ohne mich bei den Potter-Fans einschleimen zu wollen: Zu diesen Spöttern gehöre ich dann doch nicht. Trotzdem bin ich froh, dass die Kinoreihe ihr Ende nimmt. Aber aus viel unpolemischeren Gründen…
Ich freue mich für die Fans der Reihe, dass sie nach zehn Jahren einen ehrlichen und verdienten Abschluss erhalten. Dass der siebte Band auf zwei Filme gestreckt wurde, erschien bei der ersten Ankündigung bereits sehr raffgierig, doch den euphorischen Kritiken und überaus zufriedenen Zuschauerbefragungen nach zu urteilen, war dies wohl eine berechtigte, künstlerische Entscheidung. Dennoch kann man sich glücklich schätzen. Auch die «Twilight»-Reihe wird ein zweiteiliges Finale erhalten, «Der Hobbit» erhält nicht einen, sondern gleich zwei Filme, und es ist sicherlich nicht undenkbar, dass andere Serienschöpfer aufgrund des Kinoerfolgs einen unausgegorenen, weiteren Teil rausgerotzt hätten. «Harry Potter» endet im Kino dagegen ohne kommerzielles Anhängsel, die Kuh wird nicht so lange gemolken, bis nichts mehr von ihr übrig bleibt. Fans, die mit dem achten Film beziehungsweise dem siebten Buch unzufrieden sind, stellen eine absolute Minderheit dar. Man schaue bloß einmal ins «Star Wars»-Fandom, wo vor allem ältere Fans beim bloßen Gedanken an die Prequels oder die «Clone Wars»-Trickserie das kalte Grausen kriegen. Potter-Fans mögen es bedauern, dass nun Schluss ist, aber es ist Ende, auf das sie von anderen Fan-Communities neidisch sein können.
Genauso stolz müssen Potter-Fans auf die Verfilmungen sein. Den Satz „Die Bücher waren aber besser!“ hört man zwar auch im Bezug auf die «Harry Potter»-Adaptionen immer wieder, allerdings ist der Grundtenor generell sehr viel besser, als bei den meisten Literaturverfilmungen mit passionierter Anhängerschaft. «Der Herr der Ringe» natürlich ausgenommen. Doch beiden Filmreihen ist gemeinsam, dass sie von Menschen mit Passion für das Material verwirklicht wurden. Es hat schon seinen Grund, dass «Harry Potter» es bis in die achte Runde geschafft hat, während «Der goldene Kompass» enttäuschte Fans und zwei noch zu verfilmende Bücher zurückließ. Die siebenteiligen «Chroniken von Narnia» sollten für den Disney-Konzern eine (idealerweise jährliche) Kinotradition nach dem Vorbild Potters werden, doch nachdem die Kinoauswertung des zweiten Teils nicht den Ansprüchen des Studios genügte, landeten die weiteren Filmrechte bei 20th Century Fox. Seit dem ersten Film sind mittlerweile fünfeinhalb Jahre vergangen und es ist unsicher, ob eine vierte Adaption folgen wird. Die Liste lässt sich beliebig fortführen…
Während eine geplante Kinosaga nach der anderen den schmerzvollen Tod durch Zuschauerablehnung stirbt, erwies sich «Harry Potter» als ein verlässliches Aufputschmittel für die Kinowirtschaft. Teil 1 ist hierzulande mit 12,5 Millionen Besucher der erfolgreichste Film der vergangenen dreizehn Jahre und die fünf anschließenden Teile konnten jeweils mindestens sechs Millionen Besucher anlocken, was sie alle per Definition zu Über-Blockbustern machte. Von zwölf Millionen erst auf neun Millionen (Teil 2) zu stürzen und dann im Bereich von sechs bis acht Millionen herumzuirren, mag nach einem herben Verlust klingen. Doch über den Zuschauerschwund bei «Harry Potter» zu lästern ist ähnlich kurios, wie die steten Klagen über schwache «Wetten, dass..?»-Quoten. Denn der erfolgloseste «Harry Potter»-Film war mit 5,67 Millionen Besuchern noch immer der meistbesuchte Film des Kinojahres. Kein anderer Film konnte 2010 mehr Kinogänger anlocken. Seit dem Start der Reihe hat sich die Kinowelt halt geändert, Deutschland ist kinofauler geworden. Und dennoch erreichte Potter die Massen.
Deswegen bin selbst ich ahnungsloser Tor auch ein wenig traurig, dass das Ende einer Ära angebrochen ist. «Harry Potter» war eine wichtige Marke in der Kinolandschaft. Viele wollten diesen Erfolg nachahmen, keiner hat es geschafft. Jetzt, da der letzte Film gestartet ist, wird es langsam Zeit, dass eine neue Reihe in die Bresche springt und sich als universeller Zuschauermagnet erweist.
Bleibt nur eine ungeklärte Frage: Wie kann es sein, dass «Harry Potter» bislang, allem Kritikerlob zum Trotz, keinen einzigen Oscar gewann? Sogar ich muss, wenn ich bei Fernsehausstrahlungen kurz vorbeizappe, zugestehen, dass die Kinoreihe mit erstaunlichen technisch-handwerklichen Leistungen auftrumpft. Nun, es wäre heuchlerisch von mir, einen Oscar für das Drehbuch oder den besten Film zu verlangen, aber zumindest das Szenenbild, die Kostüme oder die Spezialeffekte hätten schon längst mit einem Goldjungen entlohnt werden müssen.
Naja, vielleicht wiederholt der britische Zauberjunge die Geschichte einer anderen, großen Fantasyreihe und sahnt Anfang 2012 alles ab, wofür er nominiert wurde. Dann ist auch wieder alles beim alten: Die Fans werden jubeln, sich für die bisherige Ignoranz entschädigt fühlen und auf die Konkurrenz herabblicken. Und ich habe bis dahin bestimmt meine ganze Sentimentalität für einen mir fremden Kosmos vergessen und frustriert den Fernseher anschreien. Etwas Selbsttreue sollte ja schon sein…