Ein TV-Kommissar a.D. eröffnet mit seinem Drehbuchautor eine Detektei – ZDFneo zeigt im Rahmen des „TVLab“ neuen Serienpiloten.
Es ist kaum ein halbes Jahr vergangenen, seit WDR-Intendantin Monika Piel im Februar im Rahmen der ARD-Intendantenrunde verlauten ließ, dass Das Erste sich von der Utopie verabschieden müsse, junge Zuschauer zu erreichen. Als „jung“ definierte Piel Personen unter 50 Jahren; Personen unter 30 Jahren könne man sowieso nur noch im Internet antreffen oder über Radiosender wie 1Live ansprechen. Ein Welle selbstgerechter Rezipientenentrüstung folgte der Welle selbstgerechter ARD-Abrüstung, während der digitale Jugendsenderableger ZDFneo des öffentlich-rechtlichen Pendants ZDF mit einem Marktanteil von 0,3 Prozent in der Bevölkerung der 14- bis 49-Jährigen fröhlich das klägliche Lied des gescheiterten Spartensenders zu trällern schien: Ein eigener Jugendsender kann auch keine Lösung sein.
Doch so einfach ist es nicht, denn trotz aller Kritik seitens des Privatfernsehens („Die nehmen uns die Zuschauer weg“) und des Feuilletons („Die verschwenden Gebührengelder“) kann der nicht einmal zwei Jahre alte Digitalsender bereits beachtliche Erfolge verbuchen. Ein messbarer Marktanteil eines von einem Großteil der deutschen Bevölkerung nicht zu empfangenen Senders und die Entwicklung einer Reihe interessanter neuer Formate sind nicht von der Hand zu weisende Triumphe. Und jetzt auch noch das: „Schau doch, was du willst!“ schmettert das experimentelle „TVLab“ allen Zweiflern, Kritikern und Nörglern entgegen und präsentiert eine Woche lang zehn Piloten von marktreifen Serien, Magazinen und Reportagen, die nur darauf warten, vom Zuschauer gesehen und anhand unterschiedlicher Parameter online bewertet zu werden. Das Gewinnerformat wird produziert und fester Bestandteil des ZDFneo-Programms.
Doch wird hier mit bloßer Zuschauerbeteiligung kokettiert oder bietet ZDFneo neuen und innovativen Formaten wirklich eine Chance? Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Artikels befindet sich das fiktionale Format «Scharfe Hunde» auf Platz Eins der Punkteskala – die Handlung: Der Schauspieler Marc Blume, der zehn Jahre lang den Fernsehkommissar Matze Beck in der gleichnamigen Krimiserie verkörperte, steht plötzlich ohne Auftrag auf der Straße, ersetzt durch eine jüngere und vor allem weibliche Kollegin – der Quote wegen. Das kratzt nicht nur an der Ehre von Blume, sondern wirkt sich auch negativ auf seine finanzielle Situation und Lebensqualität aus: Kein Chauffeur, kein Luxusleben und vor allem keine halbseidenen Damen ob des Promistatus‘ wegen scheinen keine akzeptablen Zukunftsaussichten zu sein. Der Schauspieler erhält darüber hinaus auch keine Rollenangebote mehr, denn zu sehr ist er im Charakter des Matze Beck gefangen. Doch Blume wäre nicht Blume, wüsste er sich nicht zu helfen: Warum sein Geld nicht mit dem verdienen, was er jahrelang in Perfektion verkörperte?
Die Polizei ist von der Idee allerdings wenig begeistert, Blume ohne Ausbildung und Studium als Kommissar anzustellen, und auch die großen Worte kommen ohne Drehbuch nur sehr stockend über die Lippen des Fernsehkommissars a.D. Da ist es Blume gelegen, dass Matze Beck-Erfinder und Drehbuchautor André Lutz von den Produzenten ebenfalls gefeuert wurde, weil er den Serientod seiner Hauptfigur verhindern wollte. Blume beschließt, dass er gemeinsam mit Lutz eine Detektei eröffnen wird, wenn er schon nicht in den Polizeidienst eintreten darf – davon ist Lutz allerdings wenig begeistert. Schlussendlich kämpfen sich Thomas Heinze («Der Wixxer») als Blume und Matthias Matschke («Pastewka») als Lutz dann aber doch durch ihren ersten Fall, der mit großer Fernsehunterhaltung zwar wenig zu tun hat, aber das Potential einer wunderbaren Serie erahnen lässt: Die fehlende Coolness des sonst so wortgewandten Fernsehkommissars und die Frage, woher der konventionelle Einzelgänger Lutz all die Jahre über die Ideen für den beliebten Charakter des Matze Beck nahm, dürften viele Folgen lang Freude bereiten.
Wenngleich erste Assoziationen mit dem «Letzten Bullen» auf der Hand liegen, entwickelt sich das Format in eine gänzlich andere Richtung, denn der Protagonist ist im realen Leben kein Vorzeigemacho und ohne Drehbuch gänzlich aufgeschmissen. Dass das Format keiner Erfolgsserie nacheifert und die Idee vor Individualität strotzt, gefällt – da sind einzelne Ungereimheiten im Drehbuch und die noch etwas zu platte Charakterisierung Blumes zu verzeihen. Im Hinblick auf die Qualität gibt es für einen Piloten wenig zu kritisieren, denn die vereinzelt vorkommenden holperigen Dialoge und Handlungssprünge werden im Falle einer Serienproduktion eh ausgemerzt werden. Punktum: ZDFneo hat nicht nur einen neuen Weg gefunden, die Zuschauer an der Programmbestimmung teilhaben zu lassen, sondern gibt Regisseuren und Produzenten eine tolle Chance, neue Ideen zu verwirklichen. Sollte das Gewinnerformat auch noch ein Erfolg werden, dürften derartige Pilotwochen wie die des „TVLabs“ in Zukunft wohl öfter zu sehen sein – vielleicht nicht nur im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Der Krimicomedy «Scharfe Hunde» zumindest wäre der Erfolg gegönnt – doch da draußen wartet noch viel mehr.