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TVLab: Schluss mit Versuchskaninchen!

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Das wohl größte TV-Experiment des Jahres geht seinem Ende zu: Quotenmeter.de zieht ein Zwischenfazit zu «TVLab» bei ZDFneo und analysiert, welche Formate eine Zukunft auf dem Bildschirm haben.

Nun ist es also fast vorbei, das «TVLab» bei ZDFneo. Zehntausende Votes sind bereits eingegangen; vier Favoriten haben sich bis Donnerstagnachmittag herauskristallisiert. Diese vier stellen sich nun dem Urteil bei Quotenmeter.de und einer Einschätzung, welche dieser Sendungen das Fernsehen künftig wirklich braucht.

«Bambule», das selbsternannte Großstadtmagazin, lässt Sarah Kuttner der Frage nachgehen, wie die orientierungslose Generation der 20- bis 40-Jährigen Anhaltspunkte in ihrem Leben findet – beispielsweise hinsichtlich der Frage nach eigenen Kindern. «Bambule» kommt dabei Kuttner-typisch frech und gewitzt daher, ist aber doch ein wenig zu stark auf cool getrimmt. Das Problem ist aber nicht letzteres, sondern das Gefühl, dass man das alles schon einmal irgendwie und irgendwo gesehen hat, die beteiligten Protagonisten meist nicht mehr als zwei schlaue Gedanken loswerden und das gesamte Format pseudopädagogisch wirkt. Innovativ ist hier relativ wenig – und dies soll ja gerade ein Markenzeichen der «TVLab»-Sendungen sein. Interessant ist die Sendung dennoch; ein großer Pluspunkt ist zudem die mehrminütige Rubrik mit Maria Knothe, die das Konzept der Sendung intradiegetisch ad absurdum führt: Sie stellt – entgegengesetzt zu Kuttner – keine tiefgründigen Lebensfragen, sondern beschäftigt sich mit dem Nonsens-Problem „Schlafmangel bei Politikern“. Dieser wunderbare Gegensatz lockert die Sendung gegen Ende deutlich auf und macht schließlich Lust auf mehr.

«German Angst» ist einer der Voting-Favoriten und klärt in seiner ersten Folge über Muslime auf – und die Vorurteile, die wir gegenüber ihnen hegen. Das Format teilt sich dabei auf: Einerseits in Begegnungen und Gesprächen mit Muslimen wie dem Comedian Murat Topal, andererseits in Straßenumfragen, bei denen Moderator Micky Beisenherz den ausländerfeindlichen Proll mimt und Vorurteile von sich gibt, um eine Reaktion der wirklich interviewten Passanten zu bekommen. Stimmen Sie den gespielten Tiraden zu oder sind sie den Muslimen freundlich gesonnen? Diese Umfragen gab es auf eine solche Weise im deutschen Fernsehen bisher nicht; sie sind erfrischend und aufgrund des komödiantischen Könnens von Beisenherz auch durchgehend komisch, wenn auch sehr plakativ. Leider fällt der Rest der Sendung dagegen etwas ab, bietet Standard-Kost zur Integrationsdebatte, die beispielsweise zuletzt bei «Entweder Broder» deutlich interessanter aufgegriffen wurde.

Das Filmmagazin «Moviacs» huldigt der cineastischen Kultur und spart in seiner ersten Sendung nicht mit Reminiszenzen an Kult-Klassiker wie «Star Wars». Es ist zudem kein Wunder, dass der Lieblingsfilm des Moderators Donnie O’Sullivan zufällig «Zurück in die Zukunft» ist. «Moviacs» könnte für das Genre Film werden, was «MTV Game One» für die Videospiele ist: ein ernstzunehmendes Sprachrohr der jungen Cineasten-Generation. Negativ fällt im Piloten auf, dass die besprochenen Filme entweder übertrieben in den Himmel gelobt oder zu stark kritisiert werden – selbst das überall hochgelobte «Midnight in Paris» von Woody Allen. Ein Patzer, dass gerade Owen Wilson hier als eindimensional charakterisiert wird. Gut ist, dass in den Kritiken beide Moderatoren zu Wort kommen, wobei akustisch negativ auffällt, dass deren Stimmen sich ähneln und teils schwierig unterscheidbar sind. Hervorragend, und leicht an «Game One» erinnernd, sind dagegen die Studio-Anmoderationen von Bokelberg und O’Sullivan sowie das Interview mit Matthias Schweighöfer. Die Dialoge zwischen den Moderatoren sprühen zeitweise vor Originalität und machen «Moviacs» zu einem sehr sehenswerten jungen Filmmagazin mit einem Schuss Selbstironie – ein solches hätte die Fernsehwelt ohnehin dringend nötig. Bitte fortsetzen!

«Teddy’s Show» mit YouTube-Star „Teddy“ Teclebrhan ist Comedy auf der Bühne mit Einspielern. Der begabte Künstler liefert fast die gesamten 30 Minuten über ein lustiges, unterhaltsames Programm und dabei hervorragender Weise eine subtile Medienkritik: Wenn er als Castingshow-Kandidat in einem Einkaufszentrum seine (verständlicherweise sehr begrenzten) Gesangsfähigkeiten an Leuten testet, so illustriert Teddy die echten Kandidaten bei «DSDS» und Co., die sich maßlos überschätzen und in den entsprechenden Sendungen bloßgestellt werden. Und wenn er als angeblicher neuer US-Starsänger Cohan seinen ersten Besuch in Deutschland abstattet, um dort gespielte Freundlichkeit und Liebe zum Land vorzuspielen, so erinnert dies an die zahlreichen Superstars, die auswendiggelernte Freundlichkeitsphrasen herunterleiern, um sich beim jeweiligen Publikum anzubiedern. «Teddy’s Show» hat viele Facetten zu bieten; die Clips mit den von Teddy gespielten Figuren erinnern an Hape Kerkelings frühe Stücke und zeigen einen Künstler, der unverbraucht und mit frischen Ideen die Fernsehlandschaft aufmischen könnte. Kleines Manko: Der Gesangspart mit einem Gast ist mit zehn Minuten deutlich zu lang ausgefallen. Dennoch hat das Format die Erwartungen erfüllt – und sollte in Serie gehen, selbst wenn es beim «TVLab» letztlich nicht gewinnt!

Von den restlichen Magazinen, die aktuell abgeschlagen auf den hinteren Plätzen des Votings rangieren und nur noch geringe Chancen auf den Sieg haben, war die einzige fiktionale Produktion «Scharfe Hunde» ebenfalls sehenswert – aber zu teuer für ZDFneo, sodass eine Fortsetzung ohne den Gesamtsieg beim «TVLab» ausgeschlossen ist. Die Straßencomedy «Bullshit» ist nicht originell genug, stellenweise langweilig und hat einige qualitativ bessere Vorbilder, besticht auf der anderen Seite aber auch durch einige genial-witzige Einfälle. Hervorzuheben ist hier der hervorragende Martin Fromme, der in «Stromberg» eine großartige Gastrolle spielte. Das Reisemagazin «neoXplorer» ist zwar konzeptuell ungewöhnlich und gut produziert, dürfte aber einfach zu unspektakulär gewesen sein: Ein Reisemagazin ist nicht zwingend das erste TV-Genre, das die ZDFneo-Zielgruppe anspricht. Radiomoderatorin Caro Kornli blieb mit dem eher langweiligen «Wie geil ist das denn?» hinter den Erwartungen zurück; das Konzept dürfte zudem nicht für mehr als ein paar Folgen tragen.

Letztlich brachte das «TVLab» viele gute Formate auf den Bildschirm, von denen die Mehrzahl gut unterhielt und eine Fortsetzung verdient hätte. Hervorzuheben sind insbesondere «Teddy’s Show» und «Moviacs», die unbedingt weiterproduziert werden sollten. Auch eines der beiden Gesellschafts-Magazine «German Angst» und «Bambule» dürfte in Serie gehen. Verabschieden müssen wir uns schließlich wohl von ebenfalls guten Formaten, die aber wegen fehlender Originalität oder stellenweisen Längen beim Publikum nicht ankamen – wie «Bullshit» und «Scharfe Hunde». Dennoch bleibt ein höchst positives Fazit zum ersten «TVLab» zu ziehen, das einfach Spaß gemacht hat: Danke, ZDFneo, für teilweise großartiges, erfrischendes Programm. Gegen eine Fortsetzung des Fernsehlabors spricht nichts, solange das Gewinnerformat erfolgreich einschlägt und zum Markenzeichnen für den jungen Digitalsender wird. Denn darum geht es ja letztlich bei diesem Formatcasting…

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