Eine Fernsehproduktion ist sicherlich nicht das Erste, was einem in den Sinn kommt, wenn man das ehemalige GASAG-Gelände im Berliner Ortsteil Schöneberg betritt. Das Areal setzt sich inzwischen hauptsächlich aus denkmalgeschützten Altbauten und Gebäuden der Technischen Universität Berlin zusammen. Überragt wird alles jedoch von dem schon von weitem gut sichtbaren und seit Mitte der 90er Jahre ebenfalls unter Denkmalschutz stehenden Gasometer. Der außer Betrieb genommene Gasbehälter ist mit seinem fast 80 Meter hohen, markanten Stahlgerüst heute ein Wahrzeichen Schönebergs. In der Tat kann man dem Bauwerk und dem der Reichstagskuppel nachempfundenen Veranstaltungsraum in seinem Innern einen gewissen Charme nicht absprechen. Hierhin haben die ARD und ihr Neuzugang Günther Jauch zur Pressekonferenz geladen.
Und das natürlich nicht ohne Grund, finden doch ab dem kommenden Sonntag von genau diesem unter großem Aufwand fernsehtauglich gemachten Ort aus die Liveübertragungen der neuen politischen Gesprächsrunde der ARD statt. Damit stockt das Erste Deutsche Fernsehen sein Angebot an Talksendungen auf fünf Stück pro Woche auf. Man wolle dem bei den Zuschauern so beliebten Meinungsaustausch und der kontroversen Debattenkultur im Fernsehen zusätzlichen Raum geben, hieß es von Seiten des auf der Pressekonferenz ebenfalls anwesenden ARD-Programmdirektors Volker Herres. Doch was hat «Günther Jauch» im Einzelnen zu bieten, das einen weiteren Polittalk tatsächlich rechtfertigt?
Die Erwartungen an die Produktion sind in den vergangenen Wochen und Monaten stetig gestiegen, woran die ARD zweifellos die Mitschuld trägt. Mit den andauernden hartnäckigen Bemühungen um Günther Jauch, auch nach den zunächst gescheiterten Verhandlungen im Jahr 2007, sowie der mit Vertragsabschluss einhergehenden teilweisen Umstrukturierung des Abendprogramms im Ersten haben die Verantwortlichen des Senderverbunds unmissverständlich klar gemacht, wie viel ihnen an ihrer neuen Gesprächssendung liegt. Nicht umsonst bekam Jauch, der für seine neue Aufgabe nach 20 Jahren die Moderation von «stern TV» abgegeben hat, den beliebten und reichweitenstarken Sendeplatz am Sonntagabend spendiert, an dem zuvor Anne Will ihre Gäste empfangen durfte. Diese muss sich nun mit dem späten Mittwochabend begnügen, kann zum Ausgleich jedoch über 15 Minuten mehr Sendezeit verfügen.
Auch die restlichen Talks im Ersten blieben nach der Sommerpause größtenteils nicht verschont. Frank Plasberg debattiert nun montags «hart aber fair», während Reinhold Beckmann seine Gäste zu später Stunde am Donnerstag empfängt. Lediglich Sandra Maischberger durfte ihren Sendeplatz behalten. Darüber hinaus wurde im Zuge dieser Veränderungen auch der Beginn der «Tagesthemen» vereinheitlicht. Die Nachrichtensendung läuft somit montags bis donnerstags jeweils ab 22.15 Uhr. Eine solch umfassende Umstellung hat das Erste Deutsche Fernsehen lange nicht erfahren.
Dieses ganzen Aufwands zum Trotz nutzten Günther Jauch, Volker Herres und NDR-Intendant Lutz Marmor ihre Pressekonferenz nun jedoch insbesondere dafür, die in der Branche und bei den Fernsehzuschauern aufgebaute Erwartungshaltung zu dämpfen. Man dürfe keine Neuerfindung des deutschen Fernsehens erwarten, so Marmor. Geplant sei eine „Evolution und keine Revolution“, ergänzte Jauch selbst unter wiederholter Betonung, dass der Sendeplatz am Sonntagabend in seinen Augen kein Ort für experimentelles Fernsehen sei. Daher wird sein Polittalk entgegen einiger Vermutungen eher klassisch daherkommen. Man wolle die Zuschauer nicht vergraulen, sondern vielmehr an Altbewährtem festhalten. Einschneidende Neuerungen des Formats sind demnach vorerst nicht zu erwarten. Abseits des Produktionsstandorts, von dem der Fernsehzuschauer allerdings natürlich, abgesehen von der doch recht gewöhnungsbedürftigen Akustik, nicht allzu viel mitbekommen wird, ist die größte Besonderheit wohl schon, dass Jauch zwei „Talkinseln“ zur Verfügung stehen. Eine für die herkömmliche Runde und eine für von jener abgeschottete Unterhaltungen mit einzelnen Gästen. Bei weitem jedoch auch keine frische Idee.
Zumindest der Politikbegriff wird bei «Günther Jauch» weit gefasst, sollen doch auch hier eher generell aktuelle Themen, welche Gegenstand gesellschaftlicher Diskussionen sind, im Mittelpunkt stehen und mit entsprechenden Gesprächspartnern beleuchtet werden. Ohnehin werden die Themenfindung sowie die entsprechende Gästeauswahl sehr flexibel und offen erfolgen. „Fernsehen funktioniert in keinem Bereich komplett planbar“, konstatierte Jauch. Schließlich müsse auf aktuelle Geschehnisse stets reagiert werden. Somit könne sich auch das für die erste Ausgabe der Talkshow vorgesehene Thema trotz dafür laufender Vorbereitungen gegebenenfalls noch ändern. Sollte dies jedoch nicht der Fall sein, erwartet die Zuschauer passend zum Datum eine Gesprächsrunde zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Mit Marcy Borders, die aus einem der Türme des World Trade Centers rechtzeitig entkommen konnte und vor allem durch das in diesem Kontext geschossene Foto mit dem Titel „Die Staub-Lady im gelben Kostüm“ bekannt geworden ist, wurde auch schon ein erster Gast kommuniziert.
Die Gefahr einer Themen- oder Gästekollision sehe man trotz der Fülle an Gesprächssendungen nicht, legte ARD-Chefredakteur Thomas Baumann den Anwesenden nahe. Die einzelnen Redaktionen würden zwar autark arbeiten, sich jedoch auch untereinander abstimmen. Sollten verschiedene Redaktionen sich mit der gleichen Problematik beschäftigen wollen, müsse geprüft werden, ob diese genügend hergibt, um in mehreren Sendungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten beleuchtet zu werden. Große, die öffentlichen Diskussionen dominierende Themen seien dafür regelrecht prädestiniert und würden in einer einzelnen Diskussionsrunde sogar viel zu kurz kommen. Jauch habe derweil kein Vorrecht auf die spannendsten Themen.
Doch genügten für all das nicht dennoch vier Polittalks? Warum genau musste nun noch ein fünfter aus dem Boden gestampft werden? Zumal die Kosten für «Günther Jauch» mit 4500 Euro pro Sendeminute die der anderen noch einmal um ein gutes Stück übersteigen. Eine befriedigende Antwort auf diese Fragen blieb die Pressekonferenz jedenfalls schuldig. Man wolle dem Zuschauer schlichtweg ein noch breiteres Spektrum an informativen und meinungsbildenden Gesprächsformaten bieten, die sich aufgrund der unterschiedlichen Konzepte und Moderatoren vor allem durch eine enorme Vielfalt auszeichnen würden. So habe man noch mehr Möglichkeiten, sich aus diesem umfangreichen Angebot je nach Vorlieben den persönlichen Favoriten herauszupicken. Auch eine Nachfrage mit Hinweis auf eine kürzlich veröffentlichte Studie der Otto Brenner Stiftung, welche die Monotonie heutiger Talkshows kritisierte und deren Zenit schon längst überschritten sah, wurde von Herres mit Verweis auf die fast durchgehend guten Quoten der Polittalks abgetan.
Die Frage ist nur, wie lange diese Popularität bei einem Überangebot an politischen Gesprächsrunden und deren festgefahrenen Formen tatsächlich noch anhält. Denn wie die Pressekonferenz bewiesen hat, wird auch «Günther Jauch» konzeptionell nichts wirklich Neues zu bieten haben. Doch vielleicht genügt ja tatsächlich schon ein begnadeter, talentierter und vor allem nach wie vor enorm beliebter Moderator wie Jauch, um frischen Wind in das Format zu bringen. Spannend bleibt seine Verpflichtung allemal. Auch er selbst sieht seine vorerst auf drei Jahre ausgelegte Aufgabe als neue Herausforderung, äußerte er doch trotz seiner gewohnt gelassenen Art mehrmals seine leichte Aufregung. Sicherlich auch, da er durch die Produzentenrolle seiner eigenen Firma i&u TV eine zusätzliche Verantwortung trägt. Erst mit der Zeit würde er in der Diskussionsführung und der Strukturierung einer 60-minütigen Livesendung wohl sicherer werden. Er hoffe jedoch, schon jetzt wichtige Akzente setzen zu können. Ob dies am Ende auch wirklich gelingt, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen.
«Günther Jauch» ist ab dem 11. September immer sonntags um 21.45 Uhr im Ersten zu sehen.