Sonntagsfragen

Kloeppel: ‚Momente, in denen mir der Atem stockte‘

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Der RTL-News-Anchor moderierte am 11. September 2001 die Nachrichten-Sondersendung und bekam dafür später den Grimme-Preis.

Herr Kloeppel, zehn Jahre nach 9/11 – wie weit ist dieser Tag heute von Ihnen entfernt oder anders gefragt: Wie nah sind die Ereignisse noch?
Es ist viel Zeit vergangen – 3650 Tage. Aber dieser eine Tag war ein Solitär für uns alle, man wird ihn nie vergessen. Jeder von uns weiß noch genau, was er an diesem Nachmittag gemacht hat, was man dachte beim ersten Anblick der Bilder aus New York, wen man als Erstes nach den Ereignissen angerufen hat. Mir ist der 11. September 2001 noch sehr präsent.

Ich wollte es gerade sagen: Wir alle wissen, was wir getan haben, als wir von den Anschlägen hörten. Sie kamen am Morgen aus dem Ausland zurück …
Ich bin um sechs Uhr morgens in Frankfurt gelandet, aus Kambodscha kommend, wo ich eine Reportage gedreht hatte. Ich bin nach Hause gefahren, habe geduscht, etwas gegessen und gegen zwölf oder halb eins ins Büro gekommen. Um 14.45 Uhr – als das erste Flugzeug ins World Trade Center einschlug – hatte ich den Fernseher zwar an, aber nicht auf CNN. Eine Kollegin sah als erste die Bilder, ich schaltete zu CNN und mir war sofort klar, dass es sich hier um ein ungewöhnliches Unglück handelte. Ich sah die Rauchwolke aus dem Nordturm quellen, und nach kurzer Abstimmung mit meinem Redaktionsleiter lief ich sofort in die Maske, da wir mit Breaking News auf Sendung gehen wollten. In der Maske habe ich auf Bildern von CNN dann das zweite Flugzeug einschlagen sehen – und mir wurde schlagartig bewusst, welche Dimension das alles bekommt. Dann ging alles ganz schnell – wir konnten jetzt nicht mehr auf den nächsten Werbebreak warten. Also rannte ich runter ins Studio und ging auf Sendung. Das Studio habe ich dann die nächsten siebeneinhalb Stunden auch nicht mehr verlassen.

Ihnen war also sofort klar, dass es sich um ein zweites Flugzeug handelte? So mancher dachte zunächst an eine Wiederholung …
Das war mir binnen weniger Sekunden klar, weil ja der eine Turm bereits brannte, als das Flugzeug auf den anderen Turm zusteuerte. Auch die Kommentatoren von CNN haben das schnell korrekt eingeordnet. So ging ich dann also auf Sendung – hatte die Bilder zuvor auch nur ein oder zwei Mal gesehen und musste sie zunächst auch für mich selbst sortieren. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr als unsere Zuschauer und so begann ich das Gesehene irgendwie zu kommentieren …

Haben Sie sich an diesem Nachmittag und Abend teilweise überfordert gefühlt?
Überfordert ist das falsche Wort – ich war extrem gefordert. Wir wussten, dass wir schreckliche Bilder zeigen. Wir wussten, was wir unseren Zuschauern damit zumuten: Eindrücke, die unfassbar waren und sind. Meine Aufgabe war es also, das irgendwie begreifbar und verständlich zu machen. Wir haben versucht, mit der Erfahrung unserer Redaktion das eigentlich Unmöglich erscheinende dem Zuschauer nahezubringen und einzuordnen. Aber natürlich gab es auch bei mir Momente, in denen mir wirklich der Atem stockte.

Zum Beispiel?
Als der erste Turm, und wenig später auch der zweite, einstürzte. Das waren Momente, in denen ich diese Monströsität und Endgültigkeit begriff.

Sie machten eine Sendung, die nicht nur von Kritikern hoch gelobt wurde – Sie wurden auch mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Kann einen so etwas stolz machen?
Nicht stolz – ich habe an diesem Tag die Arbeit gemacht, die auch von mir erwartet wird. Unsere Redaktionen und alle in Produktion und Technik haben an diesem Tag ihr Bestes gegeben. Kollegen aus allen Bereichen wurden zusammengezogen, um die Berichterstattung an diesem Tag auf die Beine zu stellen. Wir haben versucht, den Zuschauern zu erklären, was in den USA passiert und welche Auswirkungen das Attentat haben kann. Dafür haben wir zahlreiche Kollegen aus aller Welt zugeschaltet. Ich selbst habe mich als eine Art Mediator; ich musste die Fernsehbilder deuten, erklären und einordnen, und ich musste gleichzeitig berücksichtigen, wie diese Bilder auf die Zuschauer wirken.

Die Berichterstattung zu 9/11 wird in Deutschland immer auch mit Ihnen verbunden. Kaum jemand kann sagen, wer bei N24 oder in der ARD moderiert hat. Wieso ist das so?
Das müssen andere beurteilen – ich habe das Programm der Kollegen auch gar nicht verfolgen können an diesem Tag. Aber ich denke, die besondere Wahrnehmung hängt schon damit zusammen, dass wir so schnell reagiert haben. Uns war auch klar: Immer mehr Menschen werden einschalten, wollen sehen, was passiert ist. Also haben wir die prägenden Bilder wieder und wieder gezeigt. Für die Art dieser Zusammenfassung erhielt auch unser Regisseur Volker Weicker einen Grimme-Preis. Ich möchte ganz klar sagen: Diese Sendung war keine Einzelleistung von Peter Kloeppel, ohne unser Team wäre ich verloren gewesen. Die Redaktion lieferte damals eine Spitzenleistung ab.

Mit dem Ausmaß der Folgen des 11. Septembers konnten aber wohl selbst Sie als Nachrichtenprofi an diesem Tag noch nicht rechnen?!
Ich habe schon nach einigen Minuten die Ahnung gehabt, dass die amerikanische Regierung einen Angriff auf Symbolbauten wie das World Trade Center oder das Pentagon nicht einfach hinnehmen wird. Die Frage war nur: Wie und gegen wen wird man sich zur Wehr setzen? Wie sollen die Schuldigen gefunden werden? Nach wenigen Tagen kristallisierte sich immer mehr heraus, dass die Spuren nach Afghanistan und zu Bin Laden führten. Da wurde mir dann auch klar, dass ein einzelner Militärschlag nicht reichen wird, um Al Qaida zu zerschlagen.

Sie hätten es also als nicht unwahrscheinlich erachtet, wenn ich Ihnen im September 2001 berichtet hätte, dass wir auch 2011 noch über Terror und über die Nachwirkungen in Afghanistan sprechen?
Ganz ehrlich, ich hätte nicht damit gerechnet, dass der Terroranschlag solch weitreichende Auswirkungen hat. Ich hätte vor allem nicht vermutet, dass zehn Jahre später noch deutsche Soldaten in Afghanistan kämpfen und dazu noch eine große Zahl an Amerikanern. Bis Ende 2002 hätte ich es auch nicht für möglich gehalten, dass man auf Grundlage der Anschläge auf das World Trade Center einen Krieg gegen den Irak beginnt.

Als ich am 11. September 2001 abends ins Bett ging, tat ich das mit einer Mischung aus Entsetzen, Unsicherheit, dem Gefühl, das alles gar nicht begreifen zu können. Wie erging es Ihnen, als Sie abends dann nach Hause fuhren?
Nach der Sendung, gegen 22.30 Uhr, ging ich in die Redaktion zurück, und natürlich haben wir dann noch im Team über das gesprochen, was in den vergangenen Stunden passiert war. Die Gefühle, die Sie hatten, hatte ich auch. Mir war klar, dass alles noch nicht zu Ende sein wird – ich wusste: in den kommenden Tagen kommt noch viel Arbeit auf uns zu. Natürlich war ich nach dem Arbeitstag aber auch erschöpft. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich an diesem Abend gut eingeschlafen bin, der Erschöpfung wegen ist das aber gut möglich.

Sie haben für RTL eine Reportage gedreht, waren dafür auch in den USA, am Ground Zero. Wie haben Sie den Ground Zero heute erlebt?
Wir porträtieren mit dieser Reportage Menschen, die unmittelbar von den Anschlägen betroffen waren. Menschen, die ihre Geschichte stellvertretend für andere erzählen. Am Ground Zero trafen wir einen Vater, der am 11. September 2001 seinen Sohn verlor. Einen jungen Broker, der im 105. Stock des World Trade Centers arbeitete. Er rief seinen Vater kurz nach dem Einschlag an, sagte ihm, dass er nun versuchen würde, aus dem World Trade Center herauszukommen. Das war das letzte, was von ihm bekannt ist. Man hat ihn niemals gefunden, die Eltern konnten nie Abschied nehmen, es gab kein Begräbnis. Wir haben den Vater mit einem Forensiker zusammengebracht, der sechs oder sieben Jahre lang täglich daran gearbeitet hat, Spuren von Opfern zu finden. Wir haben aber auch mit einem Fluglehrer gedreht, in dessen Flugschule der Terrorist Ziad Jarrah das Fliegen gelernt hat. Ich war nach 9/11 oft an Ground Zero; heute ist die Gegend dort viel belebter als zum Beispiel noch vor fünf Jahren, New York wird neues Leben eingehaucht.

Wie wichtig ist den Betroffenen der Jahrestag? Mit welchen Gefühlen begegnen sie ihm?
Die meisten Amerikaner begegnen ihm mit großer Trauer. Sie wissen, wie viele Menschen damals ums Leben kamen und wie viele Soldaten inzwischen bei Einsätzen im von Präsident Bush erklärten "Krieg gegen den Terrorismus" gefallen sind. Auf die USA kam nach dem 11. September eine unglaubliche Belastung zu. Es ist also sicherlich kein Tag, an dem gesagt wird: „Was vor zehn Jahren passierte liegt hinter uns, wir schauen nur noch nach vorne." 9/11 ist und bleibt ein tiefes Trauma für die USA.

Sie waren für Ihre Reportage auch in Afghanistan. Wie empfanden Sie die Lage dort?
Wir waren bei deutschen Soldaten in Kunduz, haben aber auch eine junge Frau in Kabul getroffen. In der Hauptstadt herrschte Aufbruchstimmung, wenngleich wir uns immer bewusst waren, wie unsicher die Lage dort ist. Die junge Frau ist politisch engagiert – vor zehn Jahren wäre das unmöglich gewesen. Die deutschen Soldaten, mit denen wir sprachen, haben den Willen und den Wunsch, dem Land und der Bevölkerung zu helfen. Sie merken aber auch täglich, wie schwierig das ist. Man kann einem Volk nicht einfach so eine Demokratie verordnen. Trotzdem haben viele Soldaten dort die Hoffnung, dass sie langfristig etwas bewirken können.

Wenige Tage nachdem Sie bei den Soldaten drehten, gab es einen Anschlag …
Wir hatten Ende Mai einen Tag lang mit einer Fallschirmjäger-Kompanie auf Patrouille gedreht, sind kurz danach wieder zurück nach Deutschland gereist. Drei Tage nach unserem Dreh ist genau diese Kompanie in eine Sprengfalle geraten. Ein Hauptmann, mit dem wir auch gedreht und interviewt hatten, wurde dabei getötet. Er war wie alle anderen auch in einem gepanzerten Fahrzeug unterwegs, aber die Wucht der Explosion war zu stark. Das war ein extrem bedrückendes Gefühl für mich, meinen Co-Autoren Michael Ortmann und Kameramann Winfried von Wilmsdorff. Wir wussten, dass es gefährlich ist, wenn wir in Afghanistan unterwegs sind – aber man hat immer die Hoffnung, dass schon nichts passieren wird, wenn man dort gerade filmt. Es war ein Schock für uns alle.

Vielen Dank für das Interview, Herr Kloeppel.

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