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Seit mehr als einem Jahr ist bekannt, dass Günther Jauch im Ersten einen Polit-Talk bekommt. Jahre zuvor waren Verhandlungen gescheitert, die Jauch als Nachfolger von Sabine Christiansen installieren sollten. Damals schien eine Zusammenarbeit in weiter Ferne, die nun doch realisiert wird. Und dies auf dem wohl begehrtesten Sendeplatz im deutschen Fernsehen: am Sonntag um 21.45 Uhr nach dem «Tatort», den Woche für Woche fast immer mindestens acht Millionen Bundesbürger einschalten – und damit acht Millionen potenzielle Zuschauer für die Talkshow «Günther Jauch» im Anschluss sind.
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In der ersten Sendung zum zehnten Jahrestag nach den Anschlägen vom 11. September 2001 sind Ansätze erkennbar, wie diese Evolution aussehen soll: Zu Beginn nicht nur inhaltlich, sondern insbesondere visuell. Denn die tolle Kulisse – im Gasometer, einem ehemaligen Gasspeicher des Berliner Stadtteils Schöneberg – beeindruckt gleich nicht nur in den Kamerafahrten aus der Totale, sondern auch durch Effekte: Bei Jauchs Anmoderation werden im Hintergrund die Bilder der zerstörten Türme als Silhouette an die kupfernen Stahlwände des Gasometers geworfen. Der erste Einspieler, der das Schicksal einer Augenzeugin der Anschläge dokumentiert, wird mit einem ähnlich imposanten Effekt eingeleitet. Auch der Vorspann der Show gelingt.
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Jauchs Gäste lesen sich zunächst ungewöhnlich für einen politischen Talk: Mit Peter Struck ist nur ein zur Zeit des 11. September aktiver Parteipolitiker eingeladen, die weiteren Gäste sind Literaturkritierin Elke Heidenreich, Axel Springer-Vorstand Mathias Döpfner, US-Kenner und Fußballtrainer Jürgen Klinsmann und Afghanistan-Experte Jürgen Todenhöfer. Die beiden letzteren erweisen sich als fruchtbare Teilnehmer der Diskussion: Der eine als jahrelanger Kenner der amerikanischen Lebensweise und dem Alltag des typischen US-Bürgers, der andere als Beobachter des Afghanistan-Kriegs und der Bevölkerung, die darunter zu leiden hat. Klinsmann und Todenhöfer liefern interessante und bisweilen teils neue Einsichten, Döpfner und Struck dagegen weniger, denn sie verteidigen ihre Ansichten, die sie auch früher vertreten haben.
Jauch kann ihnen dabei nicht viel entlocken, hält sich ungewöhnlicherweise in der Debatte sehr zurück und lässt die ansonsten von ihm bekannte Schlagfertigkeit – bis auf seltene Ausnahmen – vermissen. Bei einem TV-Profi wie Jauch darf davon ausgegangen werden, dass dies Absicht war. Vielleicht, um auf diesem noch unbekannten Terrain keine Gefahren einzugehen, keine Fehler zu machen, um die Erwartungen nicht vollends zu enttäuschen. Damit verpasst Jauch aber auch die Chance, gleich in der ersten Sendung ein Zeichen gegen den oft so konventionalisierten Talk-Alltag zu setzen. Von Evolution ist nicht viel zu spüren; es bleibt zu hoffen, dass der neue ARD-Mann seine Zurückhaltung künftig ablegt, sich einmischt, die eigene Meinung bis zu einem vertretbaren Punkt einbringt. Denn genau dies erwarten die Zuschauer von Jauch.
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Es bleibt festzuhalten, dass die erste Sendung von «Günther Jauch» unterhaltsam und anlässlich des Themas teils bewegend war. Leider aber aufgrund der Inhaltsfülle und damit verbundenen Überfrachtung nicht informativer oder erkenntnisreicher als andere Diskussionen zu 9/11. Die tolle Kulisse und die unkonventionellen visuellen Effekte sowie Kamerafahrten waren ein Pluspunkt, Jauchs intendierte Zurückhaltung ein negativer Aspekt. Gast Peter Struck bescheinigte seinem Gastgeber am Ende der Sendung: „Ich finde, dass Sie das gut gemacht haben.“ Und überraschenderweise ist es damit gerade ein Politiker, der die Sache prägnant auf den Punkt bringt: Jauch war gut. Aber längst nicht evolutionär.