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Doch was die Familienserie in ihren neun darauffolgenden Episoden zu bieten hatte, konnte man als erfahrener TV-Zuschauer kaum ahnen. Speziell nach dem Piloten, welcher den Anschein hatte, als hätten die Autoren das Storyboard einer kompletten Staffel verwendet. Das führte dazu, dass die erste Stunde vollkommen überladen mit Geschichten war, und den Zuschauern keine Chance gab, die Charaktere näher kennen zu lernen. Zusätzlich gab es in der Fülle von Geschichten auch keine Möglichkeit, die Welt und Gefühle der Gehörlosen in die Serie unterzubringen. «Switched at Birth» hatte von Grund auf eine fantastische Idee, indem die Serie sich mit der Randgruppe der Gehörlosen beschäftigt und diese als Hauptcharaktere in einer Dramaserie darstellt (was von allein schon ein Novum im amerikanischen TV ist), doch hatte man nach dem Piloten nicht das Gefühl, dass «Switched at Birth» eine außergewöhnliche Serie sein wird. Stattdessen war die Serie nur ein weiteres Familiendrama im Meer von Familiendramen, welches nicht durchschnittlicher hätte sein können.
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Der komplette Cast ist es auch, welcher seine Charaktere authentisch darstellen kann, ohne mit Übereifrigkeit die Gehörlosenwelt darzustellen, oder übertrieben zu wirken. Vanessa Marano, deren Rolle im frühen Stadium der Staffel noch leicht nervige Züge hatte, machte dabei die größte und positivste Entwicklung durch und gilt inzwischen als junge Darstellerin, auf die man ein Auge geworfen haben sollte. Selbiges gilt auch für Katie Leclerc, die mit «Switched at Birth» zum neuen TV-Star aufsteigen könnte. Beide Darstellerinnen ergänzen sich wunderbar, und ihre Charaktere sind auch noch nach zehn Episoden hoch interessant; haben vor allem eine Entwicklung innerhalb der Seriengeschichte durchgemacht, die für TV-Autoren beispielhaft sein sollte. Immerhin ist es nicht für gewöhnlich zu nehmen, dass in Familiendramen zwei Charaktere in ihren Teenagerjahren innerhalb von zehn Episoden eine rasante Entwicklung hinnehmen, ohne dass es sich anfühlt, als wäre es zu viel des Guten – das genaue Gegenteil, was im Piloten zu sehen war.
«Switched at Birth» ist Qualität in Serie. Für viele Zuschauer sicherlich überraschend, wenn man bedenkt, auf welchem Sender die Serie läuft. Doch das Publikum hat die Qualität schnell erkannt und machte «Switched at Birth» zum erfolgreichsten Serienstart in der Geschichte von ABC Family. Nicht umsonst wurde die Staffel gleich um üppige 22 Episoden verlängert, was die Episodenzahl der Premierenstaffel auf extraorbitante 32 Episoden bringt. Im Januar 2012 kehrt die Serie auf die Bildschirme zurück. Bis dahin haben die Autoren genügend Zeit, um die Staffel so vorzubereiten, dass die Qualität der letzten acht Episoden auch gehalten werden kann.
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Zu guter Letzt ist auch die Chemie der Darsteller deutlich spürbar, was dem tadellosen Schauspiels des Casts zu verdanken ist. Einzig Schwierigkeiten macht nur D.W. Moffett in der Rolle von John Kennish. Sein Egoismus führte zu einigen augenrollenden Momenten und sein Verhalten als Frontrunner der Geschehnisse und Entscheidungen innerhalb der Familien lässt ihn häufig als Arschloch dastehen. Das kann vor allem für Zuschauer nervend sein, die Moffett in einem sehr ähnlichen Charakter zuvor in «Friday Night Lights» sahen. Es wäre von Vorteil, wenn die Autoren Moffett in der Zukunft die Möglichkeit geben, aus diesem Rollenfach auszutreten, bevor seine Rolle mit der Zeit zu übertrieben wirkt.
Nach all den lobenden Worten sollten die Autoren jedoch auch einen Weg finden, um die typischen Kinderkrankheiten in Sachen Kontinuität auszumerzen. Einige Storys machten den Eindruck, als wären sie in die Episoden hineingeworfen worden, weil es an Material für eine volle Stunde fehlte. Besonders Bays erste Romanze mit Ty, der nach fünf Episoden gen Militär verschwand, war in den darauffolgenden Episoden vollkommen vergessen; besonders nachdem Bay und Emmett als ein Paar zusammengebracht wurden – als hätte es nie die Beziehung zwischen Bay und Ty vor zwei Episoden gegeben. Selbiges gilt für Reginas Wunschtraum, einen eigenen Friseursalon eröffnen zu wollen – eine Geschichte, die zur Zeit nicht recht ins Geschehen hineinpassen will. In der Hinsicht haben die Autoren also noch einiges an Arbeit vor sich, doch «Switched at Birth» zeigte, dass der erste Eindruck einer Serie auch falsch sein kann. Nicht umsonst ist das neue Familiendrama neben MTVs «Teen Wolf» der Überraschungserfolg der Sommersaison.