Eine Primetimesoap nach Definition, aber keine, die besonders überzeugend ist. Ein Blick auf ABCs neue Serie mit Rachegelüsten.
ABC und seine Primetimesoaps. Es ist eine Geschichte, die eigentlich nur durch die anhaltenden Erfolge von «Desperate Housewives» und «Grey's Anatomy» am Leben gehalten wird. Die Versuche, den Erfolg der beiden Serien zu kopieren, gingen in den vergangenen Jahren nicht nur in Grund und Boden, sondern wurden auch noch mit schlechten Kritiken bombardiert. In diesem Herbst versucht ABC sich an einer weiteren Edelsoap. «Revenge» soll den Anzugträgern in den ABC-Büros die Hoffnung geben, dass das Genre im Broadcast-Fernsehen noch nicht ausgestorben ist; und die Zuschauer sollen erfahren, dass nicht jedes neue Soapdrama unbedingt schlecht sein muss. Mit «Revenge», welches lose auf «Der Graf von Monte Cristo» basiert, müssen die Beteiligten sich aber fragen, ob sie sich einen Gefallen getan haben. Denn die neue Serie spiegelt die Definition einer Primetimesoap wieder, bietet nichts Neues und nur Altbekanntes, und hat das Problem, dass sie in der falschen Zeit ausgestrahlt wird.
«Revenge» erzählt die Geschichte der jungen Emily Thorne (Emily VanCamp), die in die New Yorker Hamptons zieht, und schnell Freundschaft mit der Grayson-Familie schließt, die als Einfluss der kleinen, aber reichen Strandgemeinde gesehen werden kann. Keiner ahnt jedoch, dass Emily nicht die unschuldige junge Frau ist, für die sie alle halten. Denn Emily Thorne war nicht immer Emily Thorne. Als Kind hatte sie ein nahezu perfektes Leben mit einem liebenden Vater in den Hamptons, doch dieses Leben wurde von Grund auf zerstört, nachdem ihr Vater eines Verbrechens angeklagt wurde, welches er nicht begangen hat. Nach Jahren im Pflegesystem, im Jugendgefängnis, und nachdem ihr Vater im Gefängnis starb, begibt Emily sich zurück an den Ort, wo alles begann, um sich an den Personen zu rächen, die für den Tod ihres Vaters verantwortlich sind. Im Zentrum ihrer Rache: die Grayson-Familie, mit Victoria (Madeleine Stowe) und Conrad Grayson (Henry Czerny) auf der Zielscheibe.
«Revenge» ist die Definition einer ABC-Primetimesoap. Wie es zu erwarten war, hat die Serie einen großen Cast, ausgereifte Nebenschauplätze in den Storys, genügend Drama, um gleich ein halbes Dutzend Daily Soaps für ein weiteres Jahr über die Runden zu bringen, und eine entzückende Hauptdarstellerin, die zugleich das Voiceover der Serie liefert. Man könnte meinen, dass «Revenge» die perfekte Primetimesoap sein könnte. Doch man sollte besser keine hohen Erwartungen an die Serie haben. Denn «Revenge» ist die buchstäbliche Definition einer ABC-Primetimesoap, was bedeutet, dass das neue Drama nicht viel Neues zu bieten hat. Nein, «Revenge» ist nur ein weiterer Versuch, das Genre in der Primetime auf festem Boden zu bekommen, nachdem es in den vergangenen Jahren nicht funktioniert hatte. «Eastwick» scheiterte daran, dass es seinen Hexenplot nicht ernst nahm und stattdessen die Serie mit zu vielen romantischen Plots füllte. «Happy Town» scheiterte daran, dass es seine Geschichte um einen Serienkiller nicht ernst nehmen wollte und stattdessen die Serie mit zu vielen klischeebeladenen Kleinstadtmomenten füllte. «Revenge» könnte nach einer kurzen Weile genau das gleiche Problem haben: Auf den Racheplot wird kein Wert gelegt, weil die Autoren lieber mit den schon bekannten Elementen eines Vor- und Kleinstadtdramas spielen wollen, und den (weiblichen) Zuschauern romantische Geschichten geben, damit eine Verbindung zu den Charakteren aufgebaut werden kann. Wie es sich halt für eine Soap gehört.
Die Serie startet gleich mit einer handvoll Geschichten, von denen mindestens die Hälfte irrelevant wirken, sowie mit einer Horde von Charakteren, von denen mehr als die Hälfte überhaupt nichts mit der Story um Emily zu tun hat. Das ist schon das erste Anzeichen dafür, dass «Revenge» weitaus mehr zu bieten haben wird, als der Serientitel verspricht, jedoch nicht im positiven Sinne. Ob alles jedoch für das große Ganze wichtig sein wird, ist eine Frage, die es von den Autoren schnell zu beantworten gilt. Obwohl die Autoren sich in der Pilotfolge großzügig mit Emily beschäftigten und mit Hilfe von Flashbacks ihre Hintergrundgeschichte erklärten, gibt es wirklich keinen Grund, warum «Revenge» jetzt als Rettung des Genres daherkommen soll. Oder ob die Serie wirklich die Soap sein will, die sie verspricht zu sein. Wird «Revenge» die Linie des Racheplots gehen, und Woche für Woche einen minimalistischen Thriller bieten, der zeigt, wie Emily ihre Pläne durchführt, und warum die Personen in Emilys Kreuzfeuer ihre Rache überhaupt verdienen? Oder wird es schon nach wenigen Episoden Umwege in den Geschichten gehen, weil eine volle Staffel mit verschiedenen Handlungen gefüllt werden muss, um so die eigentliche Rache an den Graysons bis zum Staffelfinale zu schleppen? Hier hat es immerhin den Vorteil, dass der Racheplot wirklich nicht geeignet für eine langlebige Serie ist und nach einer halben (oder kompletten) Staffel aufgelöst werden sollte, um nicht lächerlich zu wirken. Ein schnell erzählter Plot also, oder?
In darstellerischer Hinsicht gibt es auch keine Überraschungen. Emily VanCamp ist definitiv das schnuckelige Mädel, welches ihre eigene Serie verdient hat, doch ihr manchmal roboterartiges Spiel in der Premiere machte es schwer, ihren Charakter zu mögen. Gleiches gilt auch für den Rest des Cast, mit Ausnahme von Madeleine Stowe. Während die «12 Monkeys»-Darstellerin mit ihrem antagonistisch angehauchten Charakter noch überzeugen kann, bekommt man beim Rest des Casts den Eindruck, als würden sie ihre Rollen viel zu ernst nehmen, Was letztendlich auch das Problem des Drehbuchs von Mike Kelley («Swingtown») ist: «Revenge» ist zu düster, um locker zu wirken; die Charaktere sind zu sehr ernste Mienen, um mit einem Witz die bedrückende Stimmung aufzuweichen.
Wenn es den Autoren gelingt, ihre Serie nicht in jeder Minute bierernst zu nehmen, könnte «Revenge» durchaus unterhaltsam sein. Bevor das jedoch geschehen kann, muss an den vorhersehbaren Plots gearbeitet werden, sowie an den einzelnen Verbindungen zwischen den Charakteren. In der heutigen Zeit des Fernsehens ist es wichtig, die Zuschauer schnell an die Serie zu binden – was nur erfolgreich ist, wenn man als Autor das Handwerk des Schreibens versteht und auf die unwichtigen Storys verzichtet. Es hilft keinem, wenn der Anfang und das Ende einer interessanten Geschichte wirklich lohnenswert klingen und solide aussehen, wenn der komplette Mittelteil an Langeweile kaum zu übertreffen ist. So ist es auch mit der Pilotfolge von «Revenge»: Die ersten und letzten Szenen sind interessant genug, um eine spannende Primetimesoap zu garantieren, doch der Mittelteil mit den Liebeleien der Charaktere und den sekundären Plots fühlt sich an, als hätte man keine bessere Geschichte für die erste Episode gefunden.