Robert Iger, der CEO der Walt Disney Company, verlässt seinen Posten. Anlässlich dieser Meldung blickt unser Kinokolumnist auf die äußerst arbeitsame "Regentschaft" dieses Mannes zurück.
Ein kleiner Schrecken fuhr letzten Samstag durch das Königreich der sprechenden Mäuse und Enten, der trällernden Märchen-Prinzessinnen und des schlechtesten Piraten, von dem so mancher Vertreter der britischen Royal Navy je gehört hat: Robert Iger, Präsident und CEO der Walt Disney Company, gab bekannt, seine Position bei Disney nur noch bis zum 31. März 2015 auszufüllen. Danach wird ein noch zu bestimmender Nachfolger in seine großen Fußstapfen treten müssen.
Iger ist gewiss nicht der prominenteste Manager Disneys. Selbstredend blieben einem die Firmengründer Walt und Roy Disney prägend im Gedächtnis. Und Igers direkter Vorgänger im Amt des Chief Executive Officers sollte vielen in Sachen Hollywood bewanderten Menschen in Erinnerung geblieben sein: Michael Eisner war eine äußerst öffentlichkeitswirksame Persönlichkeit. Und unter Branchenkennern sowie Disney-Fans wird sein Wirken äußerst kontrovers diskutiert. Einerseits baute Eisner zusammen mit Frank Wells und Jeffrey Katzenberg Disney überhaupt erst zu dem Unterhaltungsgiganten auf, wie wir ihn heute kennen. Ende der 70er bis Anfang der 80er steuerte Disney auf einen bodenlosen Abgrund zu, die Themenparks waren Schatten ihrer selbst und in Hollywood spielten die Disney-Studios nur noch eine Nebenrolle. Das Dreiergespann Eisner-Wells-Katzenberg machte Disney zukunftsfähig. Die Zeichentricksparte wurde mit Filmen wie «Arielle, die Meerjungfrau» und «Der König der Löwen» zu neuen Höhen geführt, das Label Touchstone Pictures brachte dem Konzern zahlreiche Erfolge in der Kinounterhaltung für Jugendliche und Erwachsene («Der Club der toten Dichter», «Con Air», «Armageddon» und vieles mehr) und die Themenparks wurden von ihrem staubigen 70er-Flair befreit. Doch nach Frank Wells vorzeitigem Tod in eine Hubschrauber-Unglück und Katzenbergs stürmischen Weggang von Disneys (aus Wut darüber, dass er nach Wells Tod nicht befördert wurde) verlor Eisner nach und nach sein Geschick.
Zu Beginn des letzten Jahrzehnts war der einstige Retter des Disney-Konzerns sein Unglücksbringer. Michael Eisner förderte die Produktion kostengünstig umgesetzter, auf ein anspruchsloses Kinderpublikum zugeschnittener Fortsetzungen von Disney-Klassikern, was Disney einen herben Image-Verlust einbrachte. Er führte medienwirksame Kleinkriege mit den Brüdern Harvey & Bob Weinstein, deren Filmstudio Miramax dem Disney-Konzern eine gewaltige Film-Bibliothek an Oscar-Gewinnern wie «Pulp Fiction», «Der englische Patient» oder «Shakespeare in Love» zuführte. Außerdem brachte er die Politik des Disney-Konzerns in die Schlagzeilen, indem er dem Disney unterstellten Miramax-Label den Vertrieb von Michael Moores Bush-kritischer Dokumentation «Fahrenheit 9/11» untersagte. Eisner führte die Regel ein, dass Disney-Serien nicht mehr als 65 Episoden haben dürfen, sehr zum Ärger der Fans. Und wohl Eisners schwerwiegendster Fehltritt: Er vergiftete die Geschäftsbeziehung zwischen Disney und den Pixar Animation Studios. Pixar drohte, nach Ablauf des Vertriebs-Deals mit Disney einen neuen Geschäftspartner zu suchen, weshalb sogar Walt Disneys Neffe Roy E. Disney gemeinsam mit Disney-Fans eine Initiative gründete, Eisner aus seinem Amt zu drängen.
2005 wurde Iger zum CEO des Disney-Konzerns ernannt und begann auf Anhieb, die Scherben der Ära Eisners aufzusammeln. Gemeinsam mit Steve Jobs handelte Iger eine freundschaftliche Übernahme der Pixar Animation Studios aus. In Folge derer wurde die Erfolgsschmiede von Filmen wie «Toy Story» und «Findet Nemo» fester Bestandteil des Disney-Konzerns. Iger versprach auch, die von Michael Eisner geschlossenen Zeichentrickstudios wiederzueröffnen, an der viele Fanherzen hängen. Im gleichen Zuge beendeten Iger und der nun auch zum kreativen Überwacher der Disney-Trickstudios ernannte John Lasseter die Produktion der DVD-Fortsetzungen von Disney-Kinofilmen. All diese Entscheidungen garantierten Iger hohes Ansehen bei eingeschworenen Disney-Liebhabern. Und auch außerhalb der Filmwelt bemühte sich der frühere Präsident des Fernsehsenders ABC, Eisners umstrittensten Beschlüsse zum Besseren umzukehren. Der von Themenpark-Kennern verlachte und Besuchern ignorierte Freizeitpark Disneys California Adventure sollte eine milliardenschwere Umgestaltung erfahren, zudem kaufte er von NBC Universal die Rechte an Oswald the Lucky Rabbit zurück. Oswald war der geistige Vorläufer von Micky Maus und Walt Disneys erster Zeichentrickheld, den er allerdings aufgrund versteckter Vertragsklauseln an seinen damaligen Vertriebspartner verlor.
Zu den letzten großen Coups Igers gehörte die Übernahme des Comicgiganten Marvel. Er kündigte an, auch in Zukunft nach weiteren Lizenzen zu suchen, die Disney erwerben könnte. Hartnäckig halten sich Gerüchte, er wolle George Lucas, mit dem er ein freundschaftliches Verhältnis pflegen soll, die Rechte am «Star Wars»-Universum abkaufen. Und vor wenigen Wochen gab er bekannt, James Camerons «Avatar» in die Disney-Themenparks einzugliedern. Und exakt hier wird es für mich interessant: Könnte es sein, dass Iger rechtzeitig abdankt? Wie schon Michael Eisner vor ihm, machte sich Iger dadurch beliebt, dass er die Fehler seines Vorgängers ausbügelte. Eisner verlor irgendwann die Kontrolle über seinen Führungsstil der Disney Company. Iger könnte das gleiche widerfahren, sollte er nicht rechtzeitig abdanken. So ist der gebürtige New Yorker ein extremer Franchise-Fanatiker. Immer wieder wiederholt er, dass sich etwas für Disney nur dann lohnen würde, könnte man daraus eine multimediale Marke schöpfen. Pixar, die Disney-Prinzessinnen, «Pirates of the Caribbean», Marvel. In solchen Fällen gelang es. Aber zu Gunsten dieser Markenformierung drosselte Iger auch die Produktion kleinerer Filme, den Output des Erwachsenen-Labels Touchstone Pictures und forcierte Kinoreihen, die niemals über den ersten Teil hinauskamen (z.B. «Duell der Magier»).
Wohl jeder in der Unterhaltungsbranche überschreitet eines Tages seinen Zenit. Noch genießt Robert Iger die Gunst der meisten Industriekollegen und der gerne auch mal überkritischen erwachsenen Disney-Fans. Als ich davon hörte, er wolle 2015 zurücktreten, war ich angesichts seiner wertvollen Leistungen für die von mir so geliebten Disney-Studios geschockt. Aber andererseits… es hat so den Anschein, als wäre sich Iger im Gegensatz zu Michael Eisner seiner Grenzen bewusst.
Und hey: Ich habe jetzt noch ein paar Jahre Zeit, Disney auf mich aufmerksam zu machen. Wenn ich in den nächsten Wochen also nur noch ultrakurze Kolumnen veröffentlichen sollte, dann bitte ich um Vergebung. Es könnte sein, dass ich dann an meinem Empfehlungsschreiben arbeite. Wer hat da noch Zeit für eine Kinokolumne?