Der vielseitige Regisseur Steven Soderbergh versammelt ein Star-Ensemble, um in einem soghaften Thriller die Folgen einer weltweiten Epidemie nachzuzeichnen.
Der Mensch berührt sein Gesicht durchschnittlich drei bis vier Mal in der Minute. Dazwischen fasst er Haltestangen in U-Bahnen und Bussen an, Türklinken, Gratis-Erdnüsse in Bars, Münzgeld und, und, und… Somit bilden sich ganz rasant Brandherde für hoch ansteckende Krankheiten. Schneller als Viren verbreitet sich in unserer multimedialen Gesellschaft nur noch eins: Angst. In «Contagion» nimmt sich der vielseitige Regisseur Steven Soderbergh exakt diesen Erkenntnissen an. Soderbergh hat bekanntlich ein Händchen für Filme mit großem Ensemble (man denke nur an die «Ocean’s»-Trilogie), und diese Stärke spielt er auch in seinem neusten Werk aus.
Ähnlich wie zuvor «Traffic» und «Voll Frontal» sowie der von Soderbergh produzierte «Syriana» verzichtet auch «Contagion» auf klar definierte Protagonisten. Stattdessen zeichnet «Contagion» den Verlauf einer weltweiten Epidemie, die zahllose Tote fordert. In mehreren, sich kreuzenden Handlungsverläufen, zeigt der Thriller, wie sich dies auf unterschiedliche Einzelpersonen auswirkt. Zu diesen zählt unter anderem Beth Emhoff (Gwyneth Paltrow), eine Geschäftsfrau aus Chicago, die nach einem Aufenthalt in Hong Kong an den Folgen der bis dahin unbekannten Krankheit stirbt. Ihr Mann Mitch (Matt Damon) wird daraufhin unter Quarantäne gesetzt, weshalb er sich vorerst nicht um seine Kinder kümmern kann. Unterdessen verbreitet der von Verschwörungstheorien besessene Blogger Alan Krumwiede (Jude Law) auf seiner populären Webseite die ersten hetzerischen Wahrheiten über das noch junge Krankheitsphänomen – sehr zum Ärger zahlreicher staatlicher Institutionen und den Vertretern alter Medien.
Derweil übernehmen Dr. Ellis Cheever (Laurence Fishburn) von der Gesundheitsbehörde CDC und Dr. Leonora Orantes (Marion Cotillard) von der Weltgesundheitsorganisation die Leitung der Untersuchungen über die neue Epidemie. Sie versuchen den Ursprung der Krankheit herauszufinden und somit Daten zu sammeln, anhand welcher der Virus besser eingeschätzt und bekämpft werden kann. Zu Dr. Cheevers Team gehört unter anderem Dr. Erin Mears (Kate Winslet), die sich im Großraum Minneapolis mit der Verbreitung der Krankheit beschäftigt. Die CDC-Forscherin Dr. Ally Hextall (Jennifer Ehle) sucht dagegen hoffnungslos nach einem Impfstoff und delegiert ohne größere Rücksprache mit ihren Vorgesetzten Arbeit an einen befreundeten Professor (Elliot Gould), dessen Arbeit geringeren Sicherheitsvorstellungen entspricht, jedoch deutlich findiger ist…
Obwohl «Contagion» mit zahlreichen namhaften Schauspielerinnen und Schauspielern besetzt ist, ist Soderberghs jüngstes Werk kein Schaulaufen der Stars. Die Darsteller ordnen sich allesamt der Geschichte und vor allem der Atmosphäre des Films unter, und so sticht kein Mitglied des Ensembles besonders hervor, sei es positiv oder negativ. Möchte man unbedingt eine Schwachstelle ausfindig machen, so könnte man anmerken, dass Jude Law seinen freien Journalisten etwas zu weinerlich darstellt. Alan Krumwiede soll zwar eine anstrengende Figur sein, doch das bedeutet nicht, dass es förderlich ist, wenn man ihm als Zuschauer schon allein wegen seiner dauernd aufgeregten Stimme eine reinhauen möchte. Ansonsten ist «Contagion» hinsichtlich seiner Schauspielleistungen überaus solide, alle Darsteller halten die authentische, beklemmende Stimmung des Films aufrecht.
Im Vordergrund stehen aber, wie erwähnt, die Handlung und Stimmung dieses dramatischen Thrillers. Da Soderbergh und Drehbuchautor Scott Z. Burns («Das Bourne Ultimatum») auf eine mosaikartige Erzählweise setzen, entfernt sich «Contagion» von der üblichen Dramaturgie solcher Katastrophenthriller. Wendungen, seien es Fortschritte oder Rückschläge im Kampf gegen die Krankheit, kommen erfreulich unvorhergesehen und werden von Soderbergh undramatisiert eingefangen. Figuren, die um ihr Leben bangen, Krisensitzungen staatlicher Behörden, Familienkrisen – nie drängt sich die Inszenierung auf und stellt diese Momente als weltbewegende Ereignisse dar. Die Regie, obwohl merklich durchdacht, bleibt kühl und distanziert, zuweilen lässt sie den Zuschauer den Aufbau einer großen Wende erahnen, nur um dann doch unbeirrt den Kurs zu halten.
Das führt letztlich dazu, dass die Sehgewohnheiten sonstiger Hollywood-Katastrophenfilme von «Contagion» ganz beiläufig außer Kraft gesetzt werden. Soderbergh erzeugt in seinem Film keine klassische Spannung der Marke „Wie wird unser Held dem Übel entkommen?“, sondern saugt den Zuschauer mit der unaufgeregten, dennoch klaustrophobischen Grundstimmung in die Handlung hinein. Es gibt keine Sequenzen, die den Betrachter erwartungsvoll im Kinosessel herumrutschen lässt, «Contagion» erzeugt stattdessen seine Glaubwürdigkeit Anspannung beim Betrachter. „Die Frage ist nicht ob, sondern wann“, heißt es sinngemäß im Abspann, und dieses paranoide Gefühl kann Soderbergh mit seinem wissenschaftlich plausiblen Thriller von den ersten Minuten an vermitteln. Dazu tragen auch die Randbemerkungen über Massenpsychologie und gesellschaftliche Befindlichkeiten bei.
So zweifelt in einer Pressekonferenz ein Journalist die Glaubwürdigkeit der Gesundheitsbehörden an, nachdem sich vor wenigen Monaten die Panikmache um die Schweinegrippe als völlig übertrieben dargestellt hatte. In einer anderen Szene beklagt Kate Winslets Figur, dass wissenschaftliche Befunde über Krankheitserreger den Menschen kalt lassen, während schlechte Spezialeffekte im Kino den Leuten Schauer über den Rücken jagen. Derartige treffende Beobachtungen lassen sich in «Contagion» zuhauf finden, und sie machen das intelligente, lebensnahe Skript noch realer, und somit noch erschreckender.
Die Unaufgeregtheit von Soderberghs Inszenierungsstil hebt «Contagion» allerdings nicht nur löblich vom Genre-Durchschnitt ab, sondern hindert ihn gleichzeitig auch daran, zu einem unsterblichen Genreklassiker aufzusteigen. Soderbergh versäumt es leider, zum Schluss die „Fieberkurve“ weiter anzuheben und seinen gewichtigen Thriller mit einigen nachhaltigen, einprägsamen Momenten zu versehen. So ist «Contagion» zwar durchgehend sehr gut, es mangelt ihm aber an einem letzten Schliff Genialität, der ihn zu einem Film macht, über den man mitreden will. Dabei gibt es, wenn man genauer hinsieht, einige interessante Diskussionspunkte in «Contagion», bei denen Regie und Drehbuch jedem einzelnen die Wertung überlassen.
Fazit: Mit einem großen Ensemble talentierter Darsteller und einer durch ihren Mangel an Überdramatisierung besonders beklemmenden Handlung ist Steven Soderbergh ein Thriller zum Thema Epidemie gelungen, der trotz kleinerer Schönheitsfehler eine erstaunliche Sogwirkung entwickelt.