Die neue Starz-Serie startet schleppend, birgt aber ungeheures Potential.
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«Boss» eröffnet sein Serienuniversum mit einer langen, wackligen Einstellung, in welcher der Chicagoer Bürgermeister Tom Kane (Grammer) von seiner Ärztin Dr. Ella Harris (Karen Altridge) in einem leerstehenden Schlachthaus erfährt, dass er an einer unheilbaren Krankheit leidet. Um weiterhin im Amt zu bleiben, entscheidet Kane, niemandem von der Krankheit zu erzählen – weder seiner Alibifrau Meredith (Connie Nielsen) und seiner entfremdeten Tochter Emma (Hannah Ware), noch seinem Stab um den politischen Berater Ezra Stone (Martin Donovan) und Assistentin Kitty O'Neill (Kathleen Robertson). Zusätzlich befindet Kane sich auch noch in einem privaten Konflikt mit Governor McCall Cullen (Francis Guinan) befindet, dessen Wiederwahl in drei Wochen er verhindern will. Dazu holt er sich Staatskämmerer Ben Zajak (Jeff Hephner) an Bord, der als Cullens Gegner in der Wahl antreten soll.
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Die Pilotfolge ist deshalb eine aufgeblasene Exposition der Saga um einen offenbar korrupten Bürgermeister, der unter seiner medizinischen Diagnose den Boden unter den Füßen verliert. Es gibt viele Krisen zu meistern für die Charaktere, und damit die Autoren diese während der acht Folgen umfassenden ersten Staffel im Blick behalten, wird jede erdenkliche Story vorbereitet, ohne diese wirklich auf einen Höhepunkt zu steuern. Als einzelne Folge betrachtet ist der Pilot deshalb etwas langweilig geraten und es liegt an den charakterlichen Zeichnungen, die Serie den Zuschauern schmackhaft zu machen.
Während die Geschichten der ersten Stunde also vor sich hinwälzen und den einen oder anderen Spannungsbogen für die nächste(n) Episode(n) hochschrauben, können die Charaktere und die Darstellungen der Schauspieler die Nachteile der langsamen Exposition vergessen machen. Kelsey Grammer gibt die Darstellung seines Lebens und kann heute schon die Dankesreden für seinen Golden Globe und den Emmy Award schreiben, während Martin Donovan den perfekten Verbündeten für seinen Bürgermeister gibt, der genauso korrupt und bösartig wirkt wie hilfsbereit und mitfühlend. Kathleen Robertson und Jeff Hephner wissen dagegen noch nicht, in welche Richtung ihre Charaktere gehen werden, doch sind sie genauso faszinierend, wie Charaktere in einer dramatischen und kantigen Kabelserie sein sollen. «Boss» ist dadurch ein starkes Charakterdrama, welches jetzt noch nicht unbedingt eine hundertprozentig starke Geschichte aufbietet, doch «The Wire» hatte in der Anfangsphase der ersten Staffel dasselbe Problem und gilt heutzutage als die beste Serie aller Zeiten.
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Die Qualitäten sind definitiv vorhanden und sollte die Geschichte der kompletten Staffel genauso episch werden, wie es die schon in ihrem Ausmaß epische Exposition ist, wird «Boss» spätestens in seiner zweiten Staffel ein unvergessliches TV-Highlight. Der Geschäftsführer Chris Albrecht hat die Qualitäten der Serie offenbar schon erkannt und nicht umsonst «Boss» schon frühzeitig für eine weitere Staffel verlängert. Und nach «Crash» gibt es endlich auch ein Drama für Starz, welches nicht nur nach Erfolg aussieht, sondern auch eines sein kann, wenn die Produzenten es denn wollen.