Mit dem furiosen Finale der ersten Staffel wurden die Karten unter hohem Risiko völlig neu gemischt. Wie gut funktioniert die neue Charakterkonstellation?
Im Herbst 2010 startete mit «Nikita» eine neue Serie in den USA, die irgendwie auf dem falschen Sender gelandet sein musste. Inmitten von frauenaffinen Teeniesoaps fand sich eine waschechte, zuweilen regelrecht kompromisslose Actionserie mit starken Figuren, hohem Tempo und furchtlosen Twists. Das zeigte sich auch im Finale der ersten Staffel, das das Grundgerüst, auf dem die Serie aufbaute, endgültig einriss und es nötig machte, die Figuren komplett neu zu organisieren. Das alte Schema von zwei starken Frauen, die gemeinsam eine skrupellose Geheimorganisation zu Fall bringen wollen, hatte schon nach einem Jahr ausgedient.
So lobenswert es auch ist, wenn eine Serie statt nach dem immerselben Schema F eine Episode nach der anderen abzuhaken seine Figuren ständig neu positioniert: Gerade ein großer Umsturz wie ihn «Nikita» im Staffelfinale wagte, kann auch nach hinten losgehen. Figuren, die für das Konzept der ersten Staffel geschaffen wurden, funktionieren nicht mehr, anderen ist die Motivation genommen, die sie zuvor angetrieben hatte und wenn eine atemberaubende Wendung auf die andere folgt leidet auch schnell einmal die Glaubwürdigkeit der Serie. Und hier muss man den kreativen Köpfen hinter «Nikita» abermals ein großes Lob aussprechen: Sie umschiffen diese Gefahren nicht nur exzellent, sondern haben den Umbruch bislang sogar nutzen können, das Potential einiger Figuren noch besser auszuschöpfen.
Mit Stories und insbesondere den beiden Hauptfiguren Nikita und Alex überzeugte die Serie schon in der ersten Staffel und konnte damit über die ein oder andere Schwachstelle hinwegtäuschen. Für die Charaktere Birkhoff und Amanda blieb nicht gerade viel Screentime übrig, sie verblieben eindimensional und ihre Rolle in der Dramaturgie ziemlich undefiniert. Gerade bei Melinda Clarke, die Amanda mimt, war dies eine regelrechte Verschwendung. Beide haben nun neue Aufgaben bekommen und beide agieren in der zweiten Staffel in einem Umfeld, das sie voll zur Geltung kommen lässt mit dem positiven Nebeneffekt, dass die Serie durch sie gleichzeitig an Witz auf der einen Seite und an spürbarer Gefahr durch die Gegenspieler gewinnt.
«Nikita» bleibt damit ein Positivbeispiel für eine Serie, die es sich traut, ihre Zuschauer zu fordern und gleichzeitig von Machern geführt wird, die keinen falschen Respekt vor dem eigenen Sender zollen. Dies deutete Hauptdarstellerin Maggie Q in Interviews an, in denen sie betonte, dass die Serie nicht auf Druck von oben von ihrer kreativen Linie abweichen würde. Der Sender jedenfalls scheint sich sein quotenschwaches und auf den schwierigen Freitag verlegtes Prestige-Projekt auch in der zweiten Staffel einiges kosten zu lassen, wie zum Beispiel ein Blick auf die Fülle der Statisten zeigt, die "Division" weiterhin bevölkern. Bei nicht wenigen Serien sieht man beginnende Sparmaßnahmen schließlich als erstes darin, dass Büros und Straßen plötzlich ständig menschenleer sind.
Wie es um die Zukunft der Serie bestellt ist, weiß derzeit vermutlich niemand. Abgesehen von «Vampire Diaries» steht bei The CW derzeit jede einzelne Serie auf der Kippe. Und da für das kleine Network die direkten Quoten nicht zuletzt dank des kürzlich zustande gekommenen Vertrages mit dem Streaming-Dienst Netflix auch eine immer unbedeutendere Rolle spielen, bleibt wohl nur das Warten auf den nächsten Mai und die Hoffnung, dass sich auch endlich ein deutscher Sender das derzeit wohl größte Actionserien-Juwel des US-Fernsehmarktes sichert.
Birkhoff und Amanda - zwei Figuren, deren Notwendigkeit sich in der ersten Staffel nur schwer fassen ließ. Ersterer der Computernerd, dessen einzige interessante persönliche Verbindung zu Nikita selbst bestand, diese sich aber quasi nie begegnen konnten. Und letztere die eiskalte Folter-Lady, die leider auch genau darauf reduziert wurde, wenn sie einmal nicht durch wochenlange Abwesenheit glänzte. Nun sind beide dort angekommen, wo sie hingehören: im Zentrum der Macht - auf verschiedenen Seiten.
Als reicher wie unwilliger Hausherr für den Widerstand hat Birkhoff nun endlich eine Rolle, die ihm wie maßgeschneidert ist. Er kann seine Überheblichkeit ausspielen, die auf dem persönlichen Level des Widerstands viel glaubhafter ist als in der kalten Maschinerie der "Division", mit seinem Reichtum prahlen und dann doch wieder den Nerd spielen. Birkhoff lockert das Szenario der zweiten Staffel humorvoll auf ohne unpassend oder erzwungen zu wirken. Mit dieser Entwicklung ist dann auch zu verschmerzen, dass sein Überlaufen im ersten Staffelfinale nicht gerade der glaubhafteste Twist der Serie war.
Mit der Revolte gegen Percy übernimmt Amanda nun die Führung der "Division", was beiden Seiten im Wechselspiel ausgesprochen gut tut. Amanda hat nun deutlich mehr Screentime und gibt eine deutlich skrupellosere Führungspersönlichkeit ab als Percy, der - auch wenn das rückwirkend ein wenig revidiert wurde - zuweilen schon fast wie ein glückloser Versager wirkte. Amanda zögert nicht, ohne mit der Wimper zu zucken, eigene Agenten zu opfern, wenn es dem höheren Ziel dient. Das lässt die gesamte Institution nun viel gefährlicher erscheinen. Noch interessanter wird Amanda dadurch, dass sie "Oversight", die eigenen Vorgesetzten ins Visier nimmt. Ihre Kombination aus Machthunger, Skrupellosigkeit und Unberechenbarkeit dürfte noch für einige spannende Geschichten sorgen.
Aber auch mit den anderen Hauptcharakteren wurde vieles richtig gemacht. Während Nikita und Michael im Prinzip noch nach einem ähnlichen Muster agieren wie in der ersten Staffel, wurden Alex und Percy völlig neu aufgestellt und stellen die derzeit vielleicht interessantesten Figuren dar. Das ist besonders bei letzterem bemerkenswert, lebt Percy doch seit Staffelbeginn in einem winzigen gläsernen Gefängnis. Umso eindrucksvoller ist seine schleichende, aber ungeheuer geschickte Rückkehr zur Macht erzählt, beginnend mit einem Tee über einen Anzug bis zur gezielten Manipulation der Menschen außerhalb seiner vier Wände. Besonders was Alex betrifft, deren Situation schon fast abenteuerlich komplex ist. Doch auch genau das greift die Serie in Alex' Begegnung mit ihrem Jugendfreund Yuri, der ihr die Absurdität ihrer eigenen Situation vor Augen führt, in der jüngsten Folge auf. Es ergibt sich die bislang wohl beeindruckendste Charakterszene der Staffel.
Auch wenn «Nikita» noch nicht wieder das Tempo geht, mit dem es die erste Staffel abgeschlossen hat, das Material zu einigen weiteren furiosen Showdowns ist da. Gerade die letzte Folge deutet an, was die wenigen treuen Zuschauer wohl erwarten wird: Amanda und Percy streben nach mehr Macht, Alex gerät in die psychischen Fänge von "Division" und Ryan steht vor einem erzwungenen Pakt mit dem Feind. Gut, dass man sich bei «Nikita» sicher sein kann, dass die Auflösungen all dieser Spannungsbögen nicht so weit hinaus gezögert werden, dass ihnen die Einstellung der Serie zuvor kommt.