Eine Krimiserie wie 100 andere: Das neue CBS-Format mit «Without a Trace»-Star Poppy Montgomery.
Es gibt im amerikanischen Fernsehen jedes Jahr Serien, die zu Beginn mutlos und stereotypisch erscheinen; die selten bis gar nicht die Chance ergreifen, etwas völlig Neues zu erzählen; die überhaupt nicht mit ihren Charakteren herausstechen können. Es scheint dabei kein Zufall zu sein, dass vor allem das Krimigenre eine generische Serie nach der anderen liefert und dabei gerne mal vergisst, dass noch gefühlte hundert andere ähnliche Serien auf dem engen TV-Markt um die Zuschauergunst buhlen. Das neueste Beispiel in dieser Kategorie ist CBS' neue Copshow «Unforgettable» mit Poppy Montgomery, die als Samantha Spade in «Without a Trace» zum Liebling der Krimifans aufstieg, sowie mit Dylan Walsh, der in «Nip/Tuck» auf sich aufmerksam gemacht hat. Nach einer Handvoll Episoden ist zu sagen, dass «Unforgettable» den Titel der „ideenlosen Serie der TV-Season 2011/2012“ redlich verdient hat. Denn langweiliger kann das Genre auf dem Altherrensender CBS nicht herüberkommen.
«Unforgettable» begleitet die beiden New Yorker Detectives Carrie Wells (Montgomery) und Al Burns (Walsh), die zusammen mit ihrem Team aktuelle Mordfälle lösen. Der Twist der Serie liegt bei Carrie und ihrem hyperthymestischen Syndrom, einem autobiografischen Gedächtnis – sie kann sich an jeden Tag ihres Lebens seit ihrer Kindheit genauestens erinnern: wie das Wetter war, wie die Umgebung aussah, was wer gesagt hat. Carrie ist in der Lage, ihre Erinnerungen nach bestimmten Ereignissen und Elementen abzusuchen. Damit ist sie für die Mordabteilung des NYPD unverzichtbar, wenn sie während einer Mordermittlung regelmäßig in ihrem Kopf die Zeugenaussagen durchgeht und dabei Unregelmäßigkeiten entdeckt, oder einfach die kleinsten Details sieht, die sonst ein normaler Mensch immer übersehen oder schnell vergessen würde.
Das Thema ist definitiv interessant, wenn auch im deutschen Fernsehen schon längst behandelt worden. Die Sat.1-Serie «Der Elefant» ist vielleicht am ehesten mit «Unforgettable» zu vergleichen, obwohl in der deutschen Version der Twist mit einem „sensationellen Gedächtnis“ beschrieben wurde. Und dass es schon mit «Cold Case» eine US-Serie gab, die ihr sensationelles Gedächtnis in den Archivakten im Keller des Philadelphia Police Department hatte, macht es nicht unbedingt einfacher «Unforgettable» als etwas völlig Neues zu sehen. Im Gegenteil: Der Charaktertwist wird nur dazu benutzt, den Mordfall der Woche zur nächsten Überraschung und zur schnellen Auflösung zu bringen. Inwiefern Carrie „nicht vergessen“ kann und die Problematik des Symptoms aus ihrer Sicht sieht, ist überhaupt nicht klar.
Dass die Autoren damit ihren besten Aspekt vollkommen verschwenden, gerät schnell zum größten Problem der Serie. Statt sich auf das Syndrom als Dreh- und Angelpunkt des Hauptcharakters zu fokussieren, gibt es in «Unforgettable» einen Mordfall nach dem anderen, Carrie erinnert sich in regelmäßigen Abständen an Ereignisse während ihrer Ermittlungen und hilft so ihrem Team, den Mörder dingfest zu machen. Auf Dauer wirkt das einfach ermüdend und einfallslos, wenn Carrie ihr Talent nur für ihren Beruf nutzt. Hoffnung gibt es jedoch mit dem fortlaufenden Plot der Ermordung von Carries Schwester Rachel, als beide ein Kind waren: Carrie kann sich an Einzelheiten erinnern und will den Mordfall selbst 30 Jahre später noch auflösen – ein kleiner Cold Case in «Unforgettable» also, der allerdings zu Beginn der Serie genauso uninteressant ist wie die abgeschlossenen Geschichten der einzelnen Episoden. Dass die Autoren mit den jüngsten Folgen immerhin hier auf eine Weiterentwicklung pochen, lässt die Zuschauer vermuten, dass der Mordfall um Rachel eine dauerhafte Angelegenheit sein und zumindest für das Staffelfinale groß aufgelegt wird.
Zu den episodischen Mordfällen ist zu sagen, dass CBS hier auf seine aktuellen Stärken und Schwächen beruht. Den Ermittlungen fehlt es an Spannung und wirklich überraschenden Wendungen, und nach einem halben dutzend Episoden kann man als geübter Zuschauer schon vorhersagen, welche Momente in den ersten beiden Akten für Carrie später besonders wichtig werden. Dass gefühlt jeder Moment der Ermittlung für eine Flashback-artige Sequenz genutzt wird (in welcher Carrie sich selbst in ihrer eigenen Erinnerung zusieht und dabei doch gelungene Szenen mit einer doppelten Portion Poppy Montgomery im selben Bild bietet), wird nach einer kurzen Weile ebenfalls ermüdend. Und wenn am Ende der Mörder gefasst ist und sein Geständnis abliefert, ist man erleichtert, dass die Ideenlosigkeit im Stundenformat endlich vorbei ist.
Es ist überraschend, dass CBS mit «Unforgettable» am Dienstagabend einen ordentlichen Erfolg hat und vor drei Wochen die Produzenten mit einer vollen Staffelbestellung belohnte. Einen Anreiz hat die Serie nämlich nicht. Selbst Poppy kann mit ihren Tanktops, welche ihren Charakter nicht nur als starke Frau präsentieren soll, sondern auch beweist, dass die Kleiderabteilung der Produktion mit einer übertriebenen Anzugsordnung ihrer Heldin schlampt, die Serie nicht aus ihrer Belanglosigkeit retten. «The Mentalist» überzeugt neben seinen lustlos geschriebenen Mordfällen immerhin mit interessanten Charakteren, während «NCIS» und «CSI» mit den Beziehungen unter ihren Ermittlern spielen. «Unforgettable» fehlen genau diese Elemente, und diese sollten besser schnell in die Serie integriert werden, bevor der erste Teil des im Altersheim sitzenden TV-Publikums vor den Bildschirmen einschläft.
Carrie und Al, Partner im Beruf, sind auch ehemalige Liebhaber. Mit Flashbacks wird gerne mal die Vergangenheit der beiden beleuchtet, obwohl ihr Techtelmechtel rein gar nichts mit dem aktuellen Mordfall zu tun hat während die Autoren immer wieder daran kritzeln, die beiden in der Gegenwart wieder zusammenzubringen. Das wäre als fortlaufende Nebengeschichte sicherlich nicht verkehrt, doch wird darauf überhaupt nicht eingegangen. In zwei Episoden wird Als Freundin Elaine (Annie Parisse) vorgestellt, und Carrie hat nichts anderes zu tun als enttäuscht zu gucken und zu akzeptieren, dass ihre ehemalige große Liebe vergeben ist (und zusammen mit diesem Plot verschwindet nach einer kurzen Weile auch bald Elaine in Vergessenheit). Die Autoren finden es offenbar wichtiger, sich auf die Mordfälle denn auf die Charakterentwicklung zu konzentrieren.
Dass «Unforgettable» gerne mit Flashbacks arbeitet (damit sind nicht die Besuche in Carries autobiografischem Gedächtnis gemeint, sondern die handelsüblichen, storybegleitenden Flashbacks) ist inzwischen auch kein Geheimnis mehr, doch verzichtet man hier auf eine konkretere Verbindung zur Gegenwartsstory. Der nach Informationen gierende Zuschauer hat sicherlich nichts dagegen, die Vergangenheit von Carrie und Al in Bildern zu sehen, oder wie Carrie als Mädchen auf die Handlung ihrer Mutter reagiert, die nach Rachels Tod jegliche Sachen ihrer ermordeten Tochter entsorgt, doch es fehlt an Gründen, warum diese Flashbacks überhaupt in die Episoden integriert wurden.
Selbiges kann man auch über die Nebenfiguren sagen, die bis heute keine Zeit bekommen haben zu glänzen. Lediglich Roe Sanders (Kevin Rankin), der zu Beginn der Serie noch Späße über Carries Syndrom machte, akzeptiert mit der Zeit das Talent seiner Partnerin und testet ihre Erinnerungen sogar – nur um am Ende zu beweisen, dass auch er ein großes Gedächtnis hat. Die Liebesprobleme von Nina Inara (Daya Vaidya) und die Gefühlsprobleme von Mike Costello (Michael Gaston), nachdem er einen Verdächtigen aus Notwehr erschossen hatte, gehen allerdings ins Leere und sind nach einer Episode völlig vergessen. Und damit die Möglichkeiten, die Mitarbeiter um Carrie ins Licht der Tatsachen zu rücken. «Unforgettable» hat demnach gewissermaßen „forgettable“ Geschichten, die ungenutzt im Ideenpool der Autoren herumgeistern. Dass ihre Serie darunter leidet, ist wohl der Tatsache zu verdanken, dass CBS nach einer weiteren unbedeutenden und billig zu produzierenden Serie sucht, welche das Publikum trotzdem schaut. Immerhin hat der Sender damit Erfahrung.