Hingeschaut

«Menschen, Bilder, Emotionen 2011»: RTL bastelt sich eine eigene Wirklichkeit

von
RTL präsentiert den traditionellen Jahresrückblick – und setzt auf bewährte Boulevardunterhaltung.

Alle Jahre wieder übertrumpfen sich die öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsender mit immer früheren und größeren Jahresrückblicken und schmücken sich dabei mit mal mehr, mal weniger prominenten Gästen. Den Anfang machte in diesem Jahr RTL : Bereits am zweiten Adventssonntag programmierten die Kölner den über dreistündigen Marathon «Menschen, Bilder, Emotionen 2011» – und damit fast einen Monat vor dem Jahreswechsel. Wie gewohnt führte Günther Jauch durch die Sendung. Gut aufgelegt, mit kleinen Seitenhieben und Spekulationen um seine eventuelle Gottschalk-Nachfolge bei «Wetten, dass..?» und ohne die anstrengende übermäßig politische Korrektheit, die er sich im Ersten angeeignet hat, war er ein souveräner Gastgeber.

Das musste er auch sein, denn statt Jahresrückblick bot RTL vor allem ein buntes PR-Stelldichein aus den eigenen Reihen: Maite Kelly durfte sich langwierig über ihren Sieg bei «Let‘s Dance» auslassen, Vitali Klitschko präsentierte seinen nächsten Boxkampf, Pietro Lombardi und Sarah Engels rührten die Werbetrommel für die sowieso omnipräsente «DSDS»-Playback-Show und Gabi Köster kam, um das autobiografische Buch über ihren Schlaganfall in einer weiteren Fernsehsendung anzupreisen. Das ist natürlich legitim, doch hatte der Zuschauer teils das Gefühl, dass die wirklich wichtigen Themen viel zu kurz kamen. Und wenn sie denn angeschnitten wurden, war das Gesagte und Gezeigte nicht wirklich befriedigend und essenziell genug: In bester «stern tv»-Manier wurden Helden und Opfer, Gewinner und Verlierer per Einspieler vorgestellt, um sie anschließend in bemüht authentisch wirkender Kulisse zu interviewen.

So durfte Georg Bauer, der dem Opfer einer U-Bahn-Schlägerei das Leben rettete, auf den typischen Gitterbänken des öffentlichen Personennahverkehrs platznehmen, Barbara Schöneberger wurde zu ihrem Sieg bei «Wer wird Millionär?» auf den originalen Quizstühlen befragt – samt Soundeinspieler und Lichtshow. Winfried Kretschmann, erster grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg, wurde von Jauch harsch ins Gebet genommen, weil er sich nach der demokratisch legitimierten und eindeutigen Volksabstimmung für das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 aussprach, das Säureopfer Ameneh Bahrami berichtete von den letzten Entwicklungen – beides schwierige Themen in einer Show, die mehr auf Unterhaltung als auf konkrete Information setzt und politische sowie gesellschaftliche Zusammenhänge ob des Formats gar nicht detailliert und verständlich genug aufzeigen kann, ohne einseitig und populistisch zu wirken. Auch die weitere, stark selektierte Auswahl an politischen und gesellschaftlichen Ereignissen darf Kopfschmerzen bereiten: Vicco von Bülow alias Loriot bekam berechtigterweise einen Ehrenplatz in der Sendung – doch die tragischen Todesfälle weltweit berühmter und einflussreicher Geister wie Steve Jobs, Amy Winehouse, Bernd Eichinger oder Elizabeth Taylor schienen wohl nicht spektakulär genug.

Der Pokerweltmeister Pius Heinz äußerte sich über seine Erfolge im Sommer, die global weitreichenden und noch immer nicht final absehbaren Auswirkungen der Proteste in der arabischen Welt fanden außer in einer nur wenige Sekunden langen Reihe von Filmzusammenschnitten keine Erwähnung. Auch die Eurokrise oder die Tötung Osama Bin Ladens fanden keinen Einzug in die Sendung. Leider war nach über drei Stunden der Unterhaltungsfaktor kaum noch vorhanden, als dass die thematischen Einbußen hätten kompensiert werden können. So blieb außer der Gewissheit, dass Günther Jauch definitiv nicht der neue Moderator von «Wetten, dass..?» sein wird, kaum etwas hängen vom Jahresrückblick, der bloß eine stark eingeschränkte RTL-Realität wiedergab und selbst bei den wenig angeschnittenen weitgreifenden Themen nicht überzeugen konnte. Schade, denn die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche des Jahres 2011 werden als bedeutende Ereignisse in die Geschichte eingehen – «Menschen, Bilder, Emotionen 2011» hat diese Chance wohlwissentlich leider vertan.

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