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«American Gothic»

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Die Horrorserie lieferte mit Sheriff Lucas Buck den wohl schaurigsten Charakter der TV-Geschichte. Trotzdem schaffte es die CBS-Serie nicht auf mehr als eine Staffel

Willkommen in Trinity, einem Städtchen in South Carolina – eine niedliche, liebreizende Stadt mit schicken Familienhäusern und Gärten umringt von weißen Gartenzäunen, einem ausgewachsenen Wald und freundliche Nachbarn. Es gibt allerdings ein Problem in dieser idyllischen Stadt, in der sich jeder anscheinend kennt: Ihr Gesetzesmann Nummer eins, Sheriff Lucas Buck, ist der Teufel höchstpersönlich. «American Gothic» war eine Horrorserie, die in den 1990er Jahren auf CBS für exakt eine Staffel überlebte und einen Kultstatus aufbauen konnte, der gewissermaßen Abstand zu den zur gleichen Zeit beliebten Verschwörungsthriller hielt und stattdessen auf die ultimative Angst der humanen Mythologie setzte: der Teufel und seine Inkarnation auf Mutter Erde. Shaun Cassidy entwickelte mit und sah in «American Gothic» eine Horrorserie, die mehr als nur eine damals typische Anthologie sein sollte. Cassidy, der zuvor eher als Schauspieler (und dank eines One-Hit-Wonders auch als Popsänger) bekannt war und in den 80ern Gefallen an einer Karriere hinter den Kameras gefunden hat, wollte mit «American Gothic» eine Serie schreiben, die im Gegensatz zu anderen Horrorserien auf eine Mythologie baut und die Angst der Zuschauer einfangen soll – eine epische Schlacht zwischen Gut und Böse.

Auf der Seite des Bösen ist Sheriff Lucas Buck (Gary Cole), auf der Seite der Guten befindet sich der zehnjährige Caleb Temple (Lucas Black), der erfahren muss, dass der Sheriff sein biologischer Vater ist. Lucas hat in der Vergangenheit Calebs Mutter vor den Augen seiner biologischen Schwester Merlyn (Sarah Paulson) vergewaltigt und mit Caleb einen gemeinsamen Sohn gezeugt. Nachdem Caleb geboren wurde, brachte sich seine Mutter um, während Merlyn nach den emotional traumatischen Erlebnissen sich vom Rest der Welt abgeschottet hat. In der 2,2 Millionen US-Dollar schweren Pilotfolge will Sheriff Buck das Sorgerecht seines Sohnes beantragen, damit er Caleb im Abbild seiner Selbst erzogen werden kann. Dazu manipuliert er Calebs anderen Vater in den Selbstmord, tötet Merlyn, und beginnt seine weitreichende Manipulation seines leiblichen Sohnes. Caleb steht im Kampf gegen seinen Vater jedoch nicht alleine dar: Dr. Matt Crower (Jake Weber), ein Neuankömmling in Trinity, sowie Calebs Cousine Gail (Paige Turco) und Merlyn, die Caleb als Geist erscheint, wollen verhindern, dass der Junge von seinem Vater korrumpiert wird und am Ende auf der dunklen Seite landet.

Leslie Moonves übernahm im Juli 1995, zwei Monate vor der Serienpremiere von «American Gothic», die Position als Präsident von CBS Entertainment und war schon damals von der neuen Serie nicht gerade beeindruckt. Moonves musste sich nicht nur mit einem Programm auseinandersetzen, welches er nicht zusammengestellt hat, sondern hielt «American Gothic» für zu düster und zu brutal, um dauerhaft auf dem Sender überleben zu können. So gewagt Cassidy und sein Produzent Sam Raimi, der zuvor nur durch die «Evil Dead»-Trilogie auf sich aufmerksam machte und an «Spider-Man» noch nicht zu denken war, ihre Serie für die 90er Jahre hielten, so unsicher war die Zukunft der Serie in den Augen von Les Moonves. CBS stand im September 1995 an vierter Stelle der Sendercharts – sogar hinter FOX, welches nur 15,5 (von 22) Stunden Primetime pro Woche anbieten konnte. Moonves wollte seinen Sender auf die Spitzenposition bringen, und nachdem «American Gothic» in seiner Premiere am 23. September 1995 um 22 Uhr seinen Erwartungen nicht gerecht wurde (ein Rating von 9.4 in allen Haushalten brachte zwar den zweiten Platz um 22 Uhr, lag aber nur im Durchschnitt von CBS), war es plötzlich ungewiss, ob die Horrorserie ein langes Leben garantiert ist.

Zusätzlich fehlten der Serie positive Kritikerstimmen. Diese waren zwar vorhanden, doch Cassidy und Raimi versprachen sich etwas mehr von «American Gothic» in der Presse. Ihre Serie war immerhin so etwas wie ein Novum im Fernsehen – die Produzenten glaubten, das Horrorgenre ernsthaft ins Fernsehgeschäft bringen zu können und die im Kabelfernsehen beliebten Anthologieserien abzulösen. Dazu kam es jedoch nie, da CBS «American Gothic» keine Chance gab, beim Zuschauer schnell Anklang zu finden. Die Quoten stürzten schnell ein und die Reichweite betrug in der Regel rund acht Millionen Zuschauer; und CBS machte sich nicht die Mühe, die Episoden in der korrekten Order auszustrahlen. Durch die serielle Erzählform war es also nicht mehr möglich gewesen, den Sinn einiger Handlungen zu verfolgen, wenn ein zuvor ausgeschiedener Charakter plötzlich in der nächsten Episode ohne triftigen Grund wieder auftaucht. Auch einige Sendeplatzverlegungen waren der Grund dafür, dass die Quoten in weniger als zwei Monaten um fast 40 Prozent in den Keller gingen. Nach sieben Episoden ging «American Gothic» in eine Pause, und die Autoren hatten Zeit die Serie den Network-Wünschen entsprechend zu bearbeiten. Im Januar 1996 strahlte CBS fünf weitere Episoden aus, bevor der Sender die Serie „auf unbestimmte Zeit“ absetzte.

Für Kenner des TV war die Pause für die Serie während der wichtigen Sweepswochen (eine zunächst geplante Rückkehr für den März wurde schnell gestrichen) ein Zeichen für eine inoffizielle Absetzung. Auch CBS verlor keine Worte über «American Gothic» und platzierte ohne Werbeaufwand sechs Episoden im den sommerbedingt zuschauerschwachen Juli, welche in zwei Blöcken mit je drei Folgen verheizt wurden. Immerhin hat CBS es geschafft, das Finale auszustrahlen, was dank der arrhythmischen Ausstrahlungsmethode nicht gerade als gegeben galt – vier Episoden wurden gar nicht erst auf CBS ausgestrahlt (stattdessen erfuhren sie ihre Premiere zwei Jahre später auf dem Kabelkanal Sci-Fi, wo die Serie langsam einen Kultstatus aufbaute). Shaun Cassidy hatte immerhin genügend Zeit gehabt, um ein befriedigendes Finale zu schreiben, welches die entscheidenden Staffelplots abschließt, die Zuschauern aber trotzdem mit einem „Was wäre, wenn...“-Gefühl nach Hause schickt.

Mit dem deutschen Untertitel «Prinz der Finsternis» fand «American Gothic» im Januar 1998 auf RTL II seine Erstausstrahlung, konnte jedoch nie Einschaltquoten vorweisen, welche einen Kultstatus rechtfertigte. Nach einem Start mit 0,97 Millionen Zuschauern stürzte die Reichweite auch hier schnell ein, und der Marktanteil stabilisierte sich nach einer Weile auf Werte zwischen fünf und sieben Prozent. Danach verschwand die Serie für den Rest ihrer Existenz im deutschen Fernsehen ins Pay-TV, und gilt unter deutschen Serienfans nur als Geheimtipp. Gary Coles Charakter, Sheriff Buck, gilt heute als einer der schaurigsten TV-Charaktere, und ist nur ein Grund, warum «American Gothic» heute einen Kultstatus genießt. Zusätzlich verdankt die Serie ihren Ruhm als gelungener (Genre-)Nachfolger von «Twin Peaks» oder als Serienvariante eines Stephen-King-Romans. Oft wurde «American Gothic» sogar eine Verbindung zu „Needful Things“ nachgeredet – Cassidy war in der Lage, den Horror seiner Serie nicht nur im gelungenen Maße auf die Zuschauer zu übertragen, sondern auch eine exzellente, mythologische Geschichte zu erzählen, bei der man sich durchaus fragen kann, ob Sheriff Buck nicht doch zeitweise auf der Seite der Guten ist, oder ob man für die Personifikation des Teufels positive Worte aussprechen kann.

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