First Look

Wenn «Luck» künstliche Langeweile definiert

von
Das neue HBO-Drama mit Starbesetzung sieht auf dem ersten Blick in jeder Hinsicht preisverdächtig aus, verkennt sich aber zu sehr in seine Künstlichkeit, dass die Story darunter leiden muss

David Milch ist einer, den man entweder nur hassen oder nur lieben kann. Der Erfinder von «Deadwood» beendete seine eigene Serie, die ihm zum endgültigen Starruhm als TV-Autor brachte, mit einem offenen Ende, nur damit er für HBO die Surferserie «John from Cincinnati» ins Programm schicken konnte. Schon damals war den ersten Fans die Art und Weise von Milchs Arbeit suspekt – selten gelingt es ihm, sich auf ein Thema vollständig zu konzentrieren, da er kurze Zeit später vollkommen andere Interessen entwickelt. Zur gleichen Zeit entwickelte HBO sich zu einem Sender für anspruchsvolle Unterhaltung, welche den Zuschauer fördern sollte, und welche in der Regel nicht immer einfach zu schlucken sei. Mit komplizierten Charakterbeziehungen und Geschichten, die sich langsamer fortbewegen als eine Schnecke kann man offenbar die Abonnenten überzeugen. Auf lange Sicht wird jedoch klar, dass die Zusammenarbeit von Milch und HBO weitaus anstrengender ist als zuerst erwartet – und diese geht besonders auf die Kosten der geduldigen Zuschauer. «Luck», die neue Serie aus der Feder von Milch, erfährt ihre offizielle Serienpremiere Ende Januar nächsten Jahres. HBO war gütig genug, den Piloten vorher auszustrahlen. Besonders nachdem es zuvor weder einen großen Werbeaufwand, noch Kritikerstimmen oder Produktionsfotos gab. Der reichste Sender der Welt weigerte sich, den TV-Kritikern vorher einen Blick in die Kultur des Pferderennens zu geben.

«Luck» startet mit der Entlassung von Chester „Ace“ Bernstein (Dustin Hoffman) aus dem Gefängnis. Mit einem steinigen, ernsthaften Gesicht macht er sich zusammen mit seinem redegewandten Fahrer Gus (Dennis Farina) auf in die Welt des Pferderennens, wo er sicherlich einige Hühner zu rupfen hat. Währenddessen begleitet die Episode den schnell sprechenden, kaum verständlichen Pferdetrainer Escalante (John Ortiz), der mit seinem neuen Pferd einen riskanten Weg einschlägt. Nicht nur tanzt er zwischen den Jockeys und den Agenten des Sports herum, auch muss er beweisen, warum er immer noch ein respektabler und anerkannter Trainer in Business ist. Zuguterletzt werden die Erlebnisse einer Gruppe von Wettspielern erörtert, die gerade dabei sind ihre „Pick 6“ (was man als Lotto im Pferderennen verstehen kann: Setze auf sechs siegreiche Pferde in sechs aufeinanderfolgenden Rennen, und gewinne Millionen) zusammenzustellen. Natürlich nicht ohne auf einige Probleme innerhalb der Gruppe zu stoßen.

Serienpiloten sind in der Regel eine Einführung in die Situation, eine Vorstellung der Charaktere, eine Erklärung von unbekannten Storyelementen. Serienpiloten sind auch dann besonders gut, wenn sie diese Eigenschaften neben einer sinnvollen und aufeinanderfolgend logischen Story in ein Drehbuch packen können, welches nicht durch Langeweile oder Überlänge überzeugt. Und wenn man hier einmal HBO herausnimmt, halten sich auch die meisten amerikanischen Fernsehsender an diese Form von Serienpiloten. «Luck» ist so ein TV-Pilot, der sich überhaupt nicht an die Regeln hält und stattdessen die Zuschauer gleich ins kalte Wasser springen lässt. David Milch ist bekannt dafür, von seinem Publikum einiges abverlangen zu müssen, und diese nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu fordern. Im Falle von «Luck» kann man allerdings die These aufstellen, dass die Form des unkonventionellen TV-Piloten für HBO und deren Serienautoren verkehrt ist. Man darf behaupten, dass Autoren wie Milch völlig falsch an ihre Geschichten herangehen und damit riskieren, das Publikum von der ersten Minute an zu verschrecken.

Es beginnt schon damit, dass «Luck» weitaus künstlerischer gestaltet ist als vermutet. Jede einzelne Sekunde der 60 Minuten nimmt sich viel zu ernst, lässt keinen Spielraum für lockere Szenen, und erst recht nicht für ein bisschen Humor. Die Pferderennszene wird buchstäblich so dunkel dargestellt, dass die Serie in die Hollywood-Variante von Seattle angesetzt sein könnte, um dort unter dem dauernden metaphorischen Regen der Angst und Reue zu ertrinken. Das führt nicht nur dazu, dass die Szene allgemein als zu negativ dargestellt wird, auch die Charaktere sind so gezeichnet, als seien sie alle Antagonisten in der einen oder anderen Form. Zusätzlich ist das Storytelling mehr als ziellos geraten: Am Ende ist nicht einmal klar, ob die Episode als Prolog für eine große Geschichte stehen soll, oder doch nur eine HBO-(un)typische Variante eines Serienpiloten war.

Hier liegt auch das zurzeit größte Problem der Serie: Nach einer Stunde weiß der Zuschauer gar nicht, wohin die Serie sich entwickeln soll, und was Milch eigentlich ausdrücken will. Ist man nach dem Piloten noch in der Lage, über die Gedankengänge eines David Milch nachzudenken, kommen sicherlich mehrere Punkte zusammen, warum «Luck» als eine perfekte Serie angesehen werden kann. Doch es wird einfach nicht gern gesehen, wenn Metaphern, Fragezeichen über den Storys, unklare Handlungen der Charaktere, sowie ein wirres Gefüge von Szenen, die auf den ersten Blicken nicht zusammengehören, über der Erzählung der Geschichte gelegt werden. Mit jedem „künstlichen“ Element in der Episode geht ein Teil des eigentlich klaren Handlungsbogens der Serie verloren. Am Ende ist «Luck» nicht unbedingt eine Serie, die in der Lage ist über Allegorien das Verständnis des Pferderennsports wiederzugeben, oder darauf bedacht ist den Terminus dieser Kultur zu durchleuchten. Darauf verzichtet Milch nämlich größtenteils – Erklärungen gibt es keine, stattdessen eine bedeutungsschwangere Szene nach der anderen, die auch noch den Sport selbst ins schlechte Licht rücken. Was «Luck» als Serie am Ende darstellen soll, ist bisher unklar.

HBO-„Fans“ sind das allerdings schon gewohnt, weshalb das Klientel des Bezahlsenders wohl eher verstehen kann, was es mit «Luck» auf sich hat. Andere wiederum werden erkennen, dass der Powercast bestehend aus Hollywoodstars und den Besten, was das Fernsehen zurzeit zu bieten hat, die Existenz der Serie erklärt. Und ein kleiner Rest ist bewandert in Pferderennsport, weshalb es nicht nötig ist, auf Erklärungen zu pochen. Für den Großteil der Zuschauer dürfte «Luck» nach einer Stunde nicht nur abschreckend, sondern ganz einfach langweilig sein. Am Ende gelingt es noch nicht einmal Regisseur Michael Mann, aus «Luck» eine Serie zu machen, welche die Emmys und Golden Globes in 2012 und 2013 rechtfertigt (dass Dustin Hoffman zumindest nominiert wird, ist schon seit der Nachricht seines Castings zu erwarten). «Luck» ist ganz einfach eine Serie, die zu anspruchsvoll und fordernd wirkt, und den einen oder anderen Zuschauer genau deshalb unterhalten wird. Der Rest wird vor Müdigkeit die Achseln zucken und sich der nächsten Serie zubewegen. Das soll nicht heißen, dass «Luck» eine schlechte Serie ist. Halt nur ausgerichtet für ein spezielles Klientel der Fernsehzuschauer – und davon wird es wahrscheinlich nicht viele geben, um der Serie eine lange Laufzeit oder besonders euphorische Kritiken zu garantieren. Das «Treme» von 2012 sozusagen.

Kurz-URL: qmde.de/53770
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger Artikel«Investigativ» hebt sich abnächster ArtikelEuropa League sucht Fernsehsender

Optionen

Drucken Merken Leserbrief



Heute für Sie im Dienst: Fabian Riedner Mario Thunert

E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung