2011 – ein Fernsehjahr, das lange in Erinnerung bleiben wird: Thomas Gottschalk und Matthias Opdenhövel geben ihre Samstagabendshows ab, Günther Jauch verlässt «Stern TV» und beginnt einen Polit-Talk im Ersten, Harald Schmidt feiert sich in der ARD selbst und kehrt zu seiner alten Heimat Sat.1 zurück, «The Voice of Germany» etabliert sich auf Anhieb als erfolgreichstes ProSiebenSat.1-Programm der letzten Jahre. Und RTL? Baut seine Marktführerschaft weiter aus, ungeachtet des Wirbels bei anderen Sendern. 2011 war also ein spannendes Jahr für Fernsehzuschauer und eines, das manchmal nicht hielt, was man sich von großen Änderungen versprach: In unserer traditionellen Liste der besten Sendungen des Jahres taucht Günther Jauch ebenso wenig auf wie Harald Schmidt und Bernd Stromberg.
Dafür ergatterten «The Voice» und – zum ersten Mal – «Wetten, dass..?» einen Platz in unserer Rangliste, die wie immer ausschließlich deutsche Produktionen berücksichtigt. Internationale Perlen wie «Sherlock», «Game of Thrones» oder die vierte Staffel von «Breaking Bad» müssen also außen vor bleiben, aus deutschen Landen schaffte es nur ein fiktionales Format in die Hitliste. Im vergangenen Jahr konnte die ARD fünf der zehn Plätze ergattern, diesmal führt das ZDF mit vier Vertretern (zwei davon bei ZDFneo) das Ranking an. Sat.1 ist mit drei, die ARD mit zwei Produktionen dabei, während RTL und ProSieben einen Platz einnehmen konnten. Wie immer gilt für diese Liste: Die Meinung ist rein subjektiv, die Reihenfolge der genannten Sendungen willkürlich.
«Ich bin ein Star, holt mich hier raus!»
Die fünfte Staffel des Dschungelcamps war im Januar 2011 auch die bisher erfolgreichste. Warum? Weil der tagelange Streit, die Zersplitterung der Camp-Gruppe und die Psycho-Spielchen einzelner Bewohner einfach ein Millionenpublikum besser unterhielten als in den Staffeln zuvor. Die gähnende Langeweile im Dschungel, die oft den Großteil vergangener Folgen von «Ich bin ein Star» durchzogen hatte, war weg. Und durch die lächerlichen Ereignisse im Camp lief auch das kongeniale Moderationspaar Sonja und Dirk zu verbaler Höchstform auf: ob „Sarah Dingens“, „Froonck“ oder die bissigen Kommentare zu Karrenbauer und Co. – in dieser Staffel hat Autor Jens Oliver Haas seine Meisterleistung abgelegt. Die irritierende Gruppendynamik, die in dieser Staffel zeitweise an Konzeptionen aus dem «Herr der Fliegen» oder «Das Experiment» erinnerte, war neu im Fernsehen und ist so wohl nur bei «Ich bin ein Star» möglich. Es wird schwer sein, diese Dschungelcamp-Runde zu toppen.
«Eins gegen Eins»
Auch wenn man den Titel der Sendung mittlerweile in «Zwei gegen Zwei» umdichten könnte: Der spätabendliche Polit-Talk in Sat.1 macht Spaß und nähert sich aktuellen Themen von einer ganz anderen Seite, als dies die etablierten Gesprächsrunden beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen tun. Moderator Claus Strunz lädt in jeder Sendung zu einer brisanten Debatte, bei der Prominente, Politiker und meinungsstarke Experten das Sagen haben – gern krawallig, manchmal populistisch. Aber: Das Vermehren der Einsichten, das solche Polit-Talks erreichen wollen und oft nicht schaffen, gelingt bei «Eins gegen Eins». Denn hier wird (meist) nicht in Phrasen und Worthülsen schwadroniert oder mit Fachbegriffen um sich geworfen, die normale Zuschauer nicht verstehen. Nein, hier wird Meinung klar vertreten und durch das Pro-und-Contra-Konzept für den Zuschauer interessant, weil dieser sich aufgrund der gegensätzlichen Seiten seine eigenen Ansichten bilden kann. So einfach und anspruchslos dieser Polit-Talk auch ist: Er macht vieles besser als andere TV-Debatten und verliert sich nicht in unwichtigen Details, komplizierten Fachdiskussionen oder ellenlangen Gesprächen, die sich nur im Kreis drehen.
«Erlebnis Erde: Wildes Skandinavien / Wildes Deutschland»
Schon mit «Wildes Russland» beeindruckten die Tierfilmer Oliver Noetzl und Ivo Nörenberg vor zwei Jahren innerhalb der Reihe «Erlebnis Erde». In diesem Jahr folgte «Wildes Skandinavien», das – ausnahmslos – spektakuläre Bilder der Naturlandschaften des Nordens in die heimischen Wohnzimmer brachte. Die HD-Qualität der Aufnahmen, besonders im Zusammenspiel mit scheinbar grenzenlos schönen Schneelandschaften, setzte neue Maßstäbe im Dokumentationsbereich. Besonders hervorzuheben: die hervorragenden Zeitraffereffekte in HD, bei denen die Kamera mehrere tausend Bilder pro Sekunde schießt, und die Erzählweise jeder Folge, die oft noch einmal in episodische Geschichten um die Tierwelt eingeteilt ist. «Wildes Skandidanvien» beeindruckt, unterhält, informiert, mahnt. Auch die später im Jahr gezeigte Reihe «Wildes Deutschland» lieferte starke Bilder und bediente sich des episodischen Erzählformats. Einziges Manko: Die vielfältige Tierwelt Deutschlands kam in einigen Folgen etwas zu kurz, weil sich die Macher der Doku vermehrt auf Landschaftsaufnahmen oder Menschengeschichten konzentrierten.
«Wetten, dass..?»
Es war ein Jahr der emotionalen Achterbahnfahrt für Thomas Gottschalk: Im Dezember 2010 erlebte er den schwärzesten Tag seiner Karriere, als «Wetten, dass..?» wegen des Unfalls von Wettkandidat Samuel Koch abgebrochen werden musste. Ein Jahr später trat Gottschalk gerührt von der großen Samstagabend-Bühne ab, und 15 Millionen Zuschauer liebten ihn wieder. Dazwischen lag ein Jahr voller starker Shows. Der angekündigte Rücktritt befreite den Entertainer Gottschalk von allem Quoten- und Erfolgsdruck, sodass er frei und unbekümmert auftrat – und sich die Sendung sogar in anarchischen LaOla-Wellen beim Sommer-Special auf Mallorca verlor. Vorbei waren die Zeiten der peinlichen Wett-Missverständnisse (Stichwort Geldzählen) oder der lustlosen Moderationen – im letzten Jahr triumphierte Gottschalk noch einmal und gab seinem Publikum die besten «Wetten, dass..?»-Shows der letzten Jahre. Dies honorierten nicht nur die Stammzuschauer, sondern auch die Gelegenheitszapper, die Gottschalk zuletzt verloren hatte. Nach mehr als 12 Millionen Zuschauern im Sommer sahen 15 Millionen seinen endgültigen Abschied. Ob eine Unterhaltungsshow in Deutschland jemals nochmal eine solche Quote erreichen wird?
«Dalli Dalli»
Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass Kai Pflaume im NDR einmal den Rosenthal machen würde und in die Luft hüpt, wenn das Publikum der Meinung war: „Das war spitze!“. Aber genau so ist es gekommen: Im Sommer startete die Neuauflage des Klassikers «Dalli Dalli», an die sich aufgrund der Genialität des Moderators Hans Rosenthal lange niemand mehr heran getraut hatte. Aber mit Kai Pflaume wurde ein idealer Nachfolger gefunden: Auch er moderiert – wie damals Rosenthal – etwas kühl, distanziert, kann aber in großen Situationen aus sich hinausgehen, oder in diesem Fall: aus sich hinausspringen. «Dalli Dalli» bewahrt den Charme des Rosenthal-Originals liebevoll, das auch heute noch unterhalten kann – denn konzeptuell änderte sich fast nichts. Wenn Promis sich ein wenig blamieren oder in einen Rausch raten, wenn sie also in jeder möglichen Weise überraschen, dann ist dies zwar bisweilen albern, aber urkomisch. Vielleicht ist Kai Pflaume mit dem NDR damit das gelungen, was ihm wohl niemand zugetraut hätte: eine der besten Unterhaltungsshows des Jahres zu machen.
«TVLab»
2011 war das Jahr, in dem der junge Digitalsender ZDFneo durchstartete. Unter anderem mit der TV-Experimetierschmiede namens «TVLab», in der zehn frische Sendungen innerhalb weniger Tage getestet wurden. Welche davon langfristig ins Programm genommen wird, durften die Zuschauer per Internet-Voting entscheiden. Gewinner wurde «Teddy’s Show», ein Comedy-Format, bei der Internet-Star Teddy Teclebrhan auf der Bühne und per Einspieler für Lacher sorgt. Sein Humor kommt frisch und ironisch daher; Teddy wirkt wie der geborene Entertainer, der gute Ideen für endlich einmal witzige Ethno-Comedy hat. Aber auch andere «TVLab»-Formate gehen in Serie, darunter das Großstadtmagazin «Bambule» oder die Kinosendung «Moviacs». Damit zeigte «TVLab» erstens, wie viele Talente noch im Verborgenen schlummern und dass es zweitens noch viele Produktionsfirmen gibt, die frische Formatideen erdenken können. „Wo bleibt die Innovation im deutschen Fernsehen?“, wird oft gefragt. Die Antwort: Bei ZDFneo haben sie in diesem Jahr ein neues Zuhause gefunden.
«neoParadise»
Was gibt’s Neues bei Joko und Klaas? Die Antwort: alles und nichts. Nachdem die beiden aufstrebenden Entertainer am Anfang des Jahres bei MTV mit ihrer Anarcho-Sendung «MTV Home» freundlich aus dem Sender hinaus komplimentiert worden waren, bekamen sie bei ZDFneo eine ähnliche Sendung namens «neoParadise». Diese kommt zwar aus einem neuen Studio, ist aber der inoffizielle «MTV Home»-Nachfolger. In der klassischen Besetzung wird also weitergespaßt wie zuvor. Und doch reichen allein schon Joko und Klaas, dass vieles neu wirkt: Denn sie sorgen für die Ideen in dieser relativ konzeptlosen Show und erfinden ihre Aktionen jede Woche aufs Neue. Die jüngste Bewegung „Stehen, damit es weitergeht“ fand riesigen Anklang bei der Internet-Gemeinde. Also bei genau jener Zielgruppe, für die «neoParadise» ohnehin der erste Pflichttermin in jeder Woche sein sollte.
«Unterwegs in der Weltgeschichte»
Es ist eine geistige Mammut-Aufgabe, die sich das ZDF und Hape Kerkeling mit dem Format «Unterwegs in der Weltgeschichte» vorgenommen hatten. Denn die gesamte Weltgeschichte – vom Urknall bis zum Mauerfall – in sechs kurzen Dokumentationen zu erzählen, erscheint nahezu unmöglich. Fast logisch also, dass das Projekt von der Ankündigung bis zur Ausstrahlung im Fernsehen drei Jahre benötigte. Heraus kam ein neuer Ansatz von Geschichts-Doku, den man sich gern in der Schule gewünscht hätte: Denn an Stelle von unzähligen Namen und Daten rückte Kerkeling die Konsequenzen bestimmter weltgeschichtlicher Ereignisse in den Mittelpunkt. Perspektivisch fragt die Doku in jeder Minute indirekt: Inwiefern war dieses Ereignis für die geschichtliche Entwicklung der Welt von Bedeutung, wie hat es diese beeinflusst? Kerkeling versucht, Weltgeschichte nicht isoliert zu erzählen (wie viele andere Dokumentationen), sondern in einen Zusammenhang zu stellen. Zwar fehlt die Genauigkeit, die ein tieferes Verständnis von Geschichte ermöglicht, aber mit einem Augenzwinkern fängt diese ZDF-Sendung auch Zuschauer, die sich sonst für das alte Ägypten, das Römische Reich oder Napoleon nicht interessieren.
«Der letzte Bulle»
In dem nicht allzu großen Kreis deutscher Primetime-Serien, die in diesem Jahr ausgestrahlt wurden, sticht das Sat.1-Format «Der letzte Bulle» heraus. Die zweite Staffel mit Henning Baum verbesserte ihre Qualität noch gegenüber der ersten – beispielsweise anders als die finale Runde von «Doctor’s Diary», die inhaltlich bei einigen Fans nicht ankam. In «Der letzte Bulle» aber klopft Polizist Mick Brisgau noch bessere Sprüche als zuvor. Die 80er-Musiktracks passen wunderbar zu seinem Charakter, und die zu lösenden Fälle sind spannender als in Staffel eins. Insbesondere zeichnen sich die neuen Folgen auch durch die bessere Harmonie des Ermittler-Teams Brisgau/Kringge aus, dessen Schauspieler mittlerweile mit perfektem Timing agieren und sichtlich Spaß an ihrer Serie haben.
«The Voice of Germany»
Nicht auszudenken, wenn diese Mega-Show auf Prosieben und in Sat.1 schlechte Quoten eingefahren hätte. Aber es kam so, wie die Sendergruppe es sich erhofft und erwartet hatte – und vielleicht noch besser: Nach anfänglichen Zielgruppen-Marktanteilen von mehr als 20 Prozent stiegen die Quoten zuletzt auf über 30 Prozent, und damit auf Werte, die sonst nur RTL-Shows einfahren. Dabei ist «The Voice of Germany» gerade das Gegenteil von «DSDS», «Supertalent» und Co.: Mit echten Kandidaten, ausnahmslos tollen Stimmen und einem Konzept, das zunächst nicht Performance oder Aussehen in den Mittelpunkt rückt, kommt dieses Format einfach bei den Zuschauern an. Die Coaches harmonieren und streiten, sie zeigen Emotionen und höchstes Sachverständnis. Der Moderator Stefan Gödde fällt bislang charmant zurückhaltend und sympathisch auf. All dies sind aber Nebenschauplätze, denn die wahren Stars der Show sind die Kandidaten. Und dies war zuletzt in keiner der üblichen Castingsendungen mehr der Fall.