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Kaum ist die dreiköpfige Familie Harmon in ihr neues Haus eingezogen, spukt es auch schon heftig. Das Ehepaar Ben und Vivien versucht ihr zerrüttetes Eheleben in ihren neuen vier Wänden wiederzubeleben, während Tochter Violet ihr Emoverhalten weiterhin an den Tag bringt. Dass nebenbei auch noch dutzende von Geistern durch die Gänge laufen und den Harmons in jeder Episode nicht nur das Schrecken lehren (wollen), sondern auch eine Agenda verfolgen, macht es für die Familie nicht unbedingt einfacher, ein ruhiges Leben zu genießen. Eine Person im Latexanzug, welche nicht nur als Sexobjekt gesehen wird, sondern als potentieller Killer; wenn die Vergangenheit des Hauses zeigt, dass die Geister seit der Erbauung des Grundstückes das Leben der Lebenden erschwert; oder wenn die neue Familie langsam an der Unsicherheit der Situation zerbricht und nicht nur mit ihren emotionalen Problemen zu kämpfen hat – «American Horror Story» liefert nicht nur Horror, sondern auch genügend Drama und Emotion, dass die Golden-Globe-Nominierung als beste Dramaserie irgendwie gerechtfertigt zu sein scheint. Allerdings ist Ryan Murphy nicht unbedingt ein Autor, der in der Lage ist eine wirklich tolle Serie auf die Bildschirme zu bringen.
Man mag ja noch darüber hinweg sehen, dass «American Horror Story» buchstäblich gegen alle Regeln des Fernsehens verstößt und das bietet, was die Autoren sehen wollen (und nicht, was der Zuschauer nach der nächsten Szene erwartet). Doch wenn selbst der Stil der einzelnen Episoden im Weg des Storytellings steht, dann kann man Ryan Murphy durchaus mal hinweisen, dass er sich vielleicht mehr auf die eigentliche Geschichte denn auf den visuellen Teil konzentrieren sollte. «American Horror Story» bietet eine faszinierend wirkende Geschichte über das Leben nach dem Tod, und wie die Charaktere ihr eigenes Leben sehen, nachdem sie gestorben sind – allerdings ist davon fast gar nichts in der Serie zu sehen. «American Horror Story» will auch zeigen, wie mit Tate ein missverstandener Junge nach Verständnis und Liebe sucht – nur ist davon recht wenig in der Serie zu spüren, wenn die Autoren es nicht mal schaffen, Tate aus seiner tragisch-manischen Rolle ausbrechen zu lassen. «American Horror Story» will Geschichten liefern, welche die Grenzen überschreiten sollen. Wo Romeo und Julia aufhörten, wollte Ryan Murphy wieder ansetzen; wo «The Amityville Horror» die Axt schwingen ließ, wollte Murphy zeigen, was passiert, nachdem die Axt aus dem blutigen Kadaver wieder herausgezogen wird. «American Horror Story» wollte so vieles, hat in zwölf Episoden aber keine Möglichkeit gefunden, seine Charaktere wirklich wegweisend zu zeichnen.
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Dass die verschiedenen Stile im Weg des Storytellings stehen, hat die Pilotfolge mit ihren schnellen Schnitten schon bewiesen. Ganz schlimm wird es jedoch im Staffelfinale, wenn vor allem die Nahaufnahmen verschwommen sind und damit das Bild unidentifizierbar machen. Es gibt keine Möglichkeit, die emotionale Seite der Charaktere zu sehen, wenn ein Teil des Gesichts verwischt auf dem Bildschirm erscheint; es gibt keinen Grund die Szene als besonders spannend zu betrachten, wenn es durch die Dunkelheit (und durch das verschwommene Bild) fast gar nichts zu sehen gibt. Besonders starke Charakterszenen gibt es ebenfalls nur in Ausnahmefällen zu sehen – die Geschichte bietet einfach viel zu viele Horrormomente und Twists, um sich mit den Charakteren zu beschäftigen und diese innerhalb des Gefüges der Geschichte auszufalten.
«American Horror Story» ist nichtsdestotrotz ein Erfolg im US-Fernsehen. Rekordquoten, zwei Golden-Globe-Nominierungen, und genügend Gesprächsstoff im Internet sorgen dafür, dass die Serie bald zu einem Kulthit heranwachsen könnte. Ob diese Kondolenz nach all den Toden innerhalb der zwölf Episoden jedoch verdient ist, ist eine andere Frage. «American Horror Story» ist durchaus im Stil seines Erfinders Ryan Murphy. Doch Murphy hat in der Vergangenheit oft genug gezeigt, warum er nicht als einer der besten TV-Autoren tituliert werden kann. Mit seiner Horrorserie hat er immerhin das Glück, mit der zweiten Staffel bei Null anzufangen, und «American Horror Story» damit zu einer staffellangen Anthologieserie macht, welche sich, getreu ihrem Titel, mit dem (übernatürlichen) Horror von Amerika beschäftigen wird.
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Vor allem die Halloween-Doppelfolge hatte genügend Gelegenheiten gehabt, um die Geister für die Harmons offensichtlich zu machen. Eine tote Hayden steht vor der Tür, und Ben hinterfragt seinen Verstand und die vergangenen Ereignisse nicht. Violet sieht eine Handvoll Geister, und hinterfragt ihren Verstand nicht (sowie Tates Handlungen gegenüber der Gruppe von High-Schoolern, die definitiv tot sind). Später erfährt Violet ihr eigenes Schicksal, und sie nimmt einfach hin, dass sie nach ihrer Selbstmordaktion nicht von Tate gerettet wurde, sondern gestorben ist. Dass sie ihrem Vater erklärt, sie sei vor Wochen gestorben, wird auch nicht für ein Charakterdrama genutzt. Ben wird noch nicht einmal genügend Zeit gegeben, um um seine Familie zu trauern. Nicht nur wird eine wundervolle Story verschwendet, in der Ben nicht nur akzeptiert, dass seine Familie gestorben ist, sondern dass es auch Geister gibt, zwischen den beiden „Birth“-Episoden gibt es sogar einen minimalen Zeitsprung nach vorne, der diese Story völlig auslöscht. Statt sich auf das Drama der Geschichte zu konzentrieren, wird der nächste Twist im Horrorgenre vorbereitet. Das kann man zwar als einen der Regelbrüche des Konventionalismus verstehen, doch geht das auf Kosten des Dramas und des Konflikts. Und jede Serie braucht Konflikte zwischen den Charakteren, um zu gewährleisten, dass die Story um die Charaktere herum erzählt wird, und nicht umgekehrt.
Am Ende kann man noch nicht einmal so richtig mit dem Ende der Staffel zufrieden sein. Wenn die letzten fünf Minuten mit einem Epilog verschwendet werden, welcher im Storygefüge überhaupt nicht notwendig war (und die Staffel gewissermaßen mit einem Cliffhanger endet), dann muss man sich ernsthaft fragen, was Ryan Murphy mit der letzten Episode bezwecken wollte. Den Harmons gibt man vor dem Weihnachtsbaum ein „Happy End“, zusammen mit der weiter gewachsenen Tragik von Tate und Hayden hinter den Glastüren, doch am Ende muss es noch ein weiteres Kapitel der Erzählung geben. Entweder Murphy bereitete mit dem Epilog des mordenden Dreijährigen das große Ganze der Serie vor (besonders, nachdem im letzten Drittel schon der Antichrist und die Apokalypse angesprochen wurden), und hält sich somit gegen sein eigenes Versprechen, eine Anthologie in Staffellänge zu erzählen, oder die zweite Staffel wird doch ganz anders sein, als die Zuschauer sich aktuell vorstellen können.
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sixx zeigt die erste Staffel der Ryan-Murphy-Serie ab Donnerstag, 7. März 2013, immer donnerstags gegen 22.30 Uhr als Free-TV-Premiere.
Dieser Artikel erschien bei Quotenmeter.de erstmals nach dem Ende der amerikanischen Ausstrahlung, Ende November 2011.