Serien-Update

«Misfits»

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Die britische Serie zeigt das Superhelden-Genre von einer ganz anderen Seite: Dreckig, vulgär und politisch unkorrekt ist sie der Gegenentwurf zu glattgebügelten US-Serien.

Im US-amerikanischen Fernsehen ist eine düstere Zeit für Superhelden angebrochen. Vor wenigen Jahren noch als Mystery-Highlight der Dekade gehandelt ging es für «Heroes» in Rekordzeit abwärts und offenbar riss die Serie dabei das ganze Genre mit in die Tiefe. Im letzten Jahr scheiterte mit «No Ordinary Family» eine Serie um eine Familie mit Superfähigkeiten, mit «The Cape» erlebte eine comichafte Eigenkreation auf NBC eine spektakuläre Bruchlandung und der Pilot zu «Wonder Woman» reichte schließlich im vergangenen Frühjahr nicht einmal mehr zur Bestellung einer Serie aus. Mit dem Ende von «Smallville» nach zehn Jahren verschwand das Superhelden-Genre ganz aus dem US-Fernsehen. Der schillernde Superheld ist uninteressant geworden, ein Gegenentwurf notwendig. Das britische Fernsehen hat ihn schon vor Jahren gefunden.

«Misfits» heißt die Serie des Senders E4, die von fünf jugendlichen Straftätern handelt, die während eines unheimlichen Sturms vom Blitz getroffen werden und daraufhin übermenschliche Kräfte entwickeln, mit denen sie gar nicht so viel anzufangen wissen. Eines jedenfalls steht den fünf Abkömmlingen der Londoner Unterschicht gewiss nicht im Sinn: Superhelden werden und für das Gute kämpfen. Denn mit dem Sozialdienst unter dem wachenden Auge ihres Bewährungshelfers und dem harten Leben an der Unterkante der Gesellschaft sind sie schließlich schon genug gestraft.

«Misfits» ist alles, was das US-amerikanische Superhelden-Fernsehen der letzten Jahre niemals war: dreckig, vulgär, politisch unkorrekt mit kantigen Charakteren aus dem echten Leben. Da ist Nathan, dessen Gedanken permanent nur um das Eine kreisen, der niemals seinen Mund halten kann und überhaupt den Eindruck macht, der Pubertät nie entwachsen zu sein. Oder Simon, der stille Außenseiter, in dem ein wahrhaftiger Psychopath schlummert. Oder Kelly, deren Gossen-Slang deutschen Zuschauern in der Originalfassung selbst bei geübten Englischkenntnissen einige Verständnisprobleme bereiten dürfte. Es bedarf keinen einsamen Rächer, der den gesamten Weltschmerz auf sich geladen hat oder einen zur Moral bekehrten Gerechtigkeitskämpfer - die Charaktere aus «Misfits» wird man auch auf zahlreichen deutschen Schulhöfen finden und das macht die Figuren außerordentlich greifbar, glaubwürdig und aller anfänglicher Unsympathie auch ziemlich menschlich.

Dieses dreckig realistische Grundgerüst nutzt «Misfits» dann aber, um sich im Genre gewaltig auszutoben. Zeitreisen, alternative Universen, Gestaltwandler, wandelnde Tote, King Kong und ein leibhaftig gewordener Jesus Christus sind nur einige Elemente, die die Serie im Verlauf ihrer ersten drei Staffeln auffährt. Die Grenzen des Möglichen werden dabei immer wieder ausgelotet, von mit Nacktszenen gespickten Sexgeschichten bis hin zu blutgetränkten Slasher-Einlagen findet sich alles wieder. Auf ein sprachliches Niveau weit jenseits der Gürtellinie muss man sich ohnehin einstellen.

Darüber hinaus bietet «Misfits» auch technisch Erstklassiges. Das Budget liegt sicherlich nicht allzu hoch, aber die Produzenten wissen genau damit umzugehen. Gerade bei den Doppelgänger-Szenen, die in der dritten Staffel geboten werden, ist man ob der perfekten Illusion geneigt, an einen Dreh mit Zwillingen zu glauben. Ein Blick auf «Ringer», das aktuell in den USA läuft, zeigt, dass das keine Selbstverständlichkeit ist.

Der tolle Lauf, den die Serie in ihren ersten beiden Staffeln hinlegte, ging in der jüngst zu Ende gegangenen dritten Staffel ein wenig verloren. Nachdem das zweite Jahr der Serie mit zwei überaus außergewöhnlichen und alle Grundfesten der Serie über den Haufen werfenden Episoden endete gegangen war, wurde schleunigst wieder auf den Status Quo zurückgestellt ohne packendes Material für die staffelumfassenden Geschichten zu haben. Stattdessen gab es einige sehr spezielle Episoden, die selbst für «Misfits»-Verhältnisse aus dem Rahmen fielen: Großbritannien als Nazi-Reich? Eine Zombie-Episode? Ein bisschen hatten diese Folgen den Beigeschmack, dass Serienschöpfer Howard Overman, der bislang nahezu alle Episoden selbst schrieb, einfach mal Dinge ausprobieren wollte, die ihn schon immer faszinierten, ob sie nun gerade in die Serie passten oder nicht.

Die dritte Staffel war dennoch ein großer Erfolg und die vierte Staffel bereits bestellt, kräftige Veränderungen im Cast inbegriffen. Dass dies, was für manch andere Serien ein Todesurteil bedeuten könnte, für «Misfits» nicht zwingend ein Problem darstellt, hat die Serie im Übrigen auch schon bewiesen.



Der Albtraum eines jeden Showrunners: Die Serie läuft erstklassig, aber der Hauptdarsteller wirft das Handtuch. Und im Falle britischer Serien mit ihrem üblicherweise langen Produktionsvorlauf bedeutet dies vor allem, dass die Chance für einen Abschied in der Serie praktisch nicht existiert. So rief der Ausstieg von Robert Sheehan nach der zweiten Staffel geschockte Reaktionen hervor, war seine Rolle als Nathan doch immerhin der absolute Star der Serie mit seinen lockeren bis peinlichen Sprüchen in den schlechtesten Situationen. Aber Autor wie Casting haben großartige Arbeit geleistet: Das Fehlen von Nathan, dessen Ausscheiden immerhin noch in einer mit Sheehan gedrehten Webepisode erklärt wurde, fällt kaum ins Gewicht und sein Nachfolger fügt sich perfekt in den Cast ein.

Gerade in Rudy, dem Neuen in der dritten Staffel, sieht man, was «Misfits» in der Charakterzeichnung so sehr auszeichnet. Rudy ist ein Unsympath ersten Grades. Ein Prolet, der sich selbst für den Allergrößten hält, seine Meinung für so wichtig, dass er sie jederzeit und jedem gegenüber äußern muss, auch wenn sie nur aus niveaulos-dummen Sprüchen besteht. Rudy behandelt Frauen wie Dreck, spottet über Freunde und Kollegen in deren Anwesenheit und zeigt keinerlei menschliches Einfühlungsvermögen. Mit einem nur in einer solchen Fantasy-Serie möglichen Kniff hat man es geschafft, Rudy den Zuschauern trotzdem binnen einer einzigen Folge schon richtig nahe zu bringen: Er hat die Fähigkeit, sich in zwei leibhafte Varianten seiner selbst zu teilen, wobei sein Alter Ego eine viel verletzlichere und schwächere Seite von ihm offenbart, die seinem starken Ego vor allem peinlich ist.

Bei Rudy wird nur besonders offensichtlich, was bei allen anderen Charakteren auch vorhanden ist, nämlich eine menschliche Seele, die der Zuschauer gut nachfühlen kann. Nathan ist hinter seiner aufdringlichen Art eigentlich nur ein Junge, der nach Freundschaft und Geborgenheit sucht. Hinter dem Simon, der einst ein Haus in Brand steckte, steckt ein völlig verunsicherter junger Mann, verschüchtert und sich von der Welt verstoßen fühlend. Und Alisha muss als überaus attraktive junge Frau darum kämpfen, nicht permanent zum reinen Spaßobjekt degradiert zu werden.

Vielleicht ist es gerade deshalb der richtige Schritt, sich nach der dritten Staffel mit Simon und Alisha von zwei weiteren Charakteren zu trennen. Zum Einen, da die Einführung von Rudy gezeigt hat, dass es funktioniert, und zum anderen, weil die Serie eigentlich die Geschichte von der Resozialisierung gesellschaftlicher Außenseiter erzählt. Nicht etwa durch das Sozialprogramm, das ihnen aufgezwungen wird, sondern durch die Erfahrungen, die sie in einer Gruppe unter Gleichen machen, die durch äußere Umstände zusammengeschweißt wurden. Nathan hat sein Glück mit Marnie gefunden, Simon und Alisha in einer bittersüßen Tragödie zueinander. Frisches Blut kann der Serie nur gut tun und vielleicht zurrt Overman auch den Handlungsbogen im nächsten Jahr wieder etwas fester, während es langsam Zeit wird, auf einen etwas überstrapazierten Running Gag zu verzichten: dass die Gruppe einen Bewährungshelfer nach dem anderen auf dem Gewissen hat.

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