You Are Cancelled

«My So-Called Life»

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Der letzte Teil der Golden-Globes-Wochen bringt eine Serie, welche nicht mit mehr Lob und einer größeren Lebenskrise hätte starten können. Claire Danes gewann den Golden Globe für ihre Rolle als Angela Chase. Kann sie das Erlebnis am Sonntag wiederholen?

In einer Zeit, in welcher Sender wie UPN oder WB nicht das Genre der Teen-Dramas auf die Gewinnerstraße brachten (weil die beiden Sender einfach noch nicht existierten), mussten die drei großen Networks mit Serien solcher Art aushelfen. Doch es war ein schwieriges Unterfangen, eine speziell auf Teenager ausgerichtete Serie ans Publikum zu bringen. «Beverly Hills, 90210» auf FOX kann deshalb als Wunder betrachtet werden. Hier allerdings nur, weil die Autoren recht generisch an die Geschichten herangingen, und durch ihren Soap-Aspekt ab Staffel vier vor allem auch die Zuschauer der Zielgruppe zum Einschalten bewegen konnten. 1993 bestellte ABC den Piloten für eine weitere Teenagerserie, die vielleicht das Publikum von «Beverly Hills, 90210» bedienen, jedoch eine völlig andere Geschichte erzählen sollte: «My So-Called Life» wollte ehrlich sein; wollte ein authentisches Bild der Jugend-Generation zeigen; wollte nicht nur eine Serie sein, die einfach so im Fernsehen ausgestrahlt wird. Das Coming-of-Age-Drama, entwickelt von Winnie Holzman und produziert von Edward Zwick und Marshall Herskovitz, die zusammen auch die 80er-Jahre-Serie «Die besten Jahre» («thirtysomething») ins Leben brachten, sollte den jungen Zuschauern eine Plattform geben, ihre eigenen Gefühle zu realisieren.

«My So-Called Life», welches 1996 auf RTL 2 seine Erstausstrahlung unter dem deutschen Titel «Willkommen im Leben» feierte, handelte vom Lieben und Leiden der 15-jährigen Angela Chase (Claire Danes), die sich von ihrer Familie und ihren Kindheitsfreunden abkapselt, um ihre Identität im Leben zu finden. Jordan Catalano (Jared Leto) ist dabei Angelas Objekt der Begierde in der Highschool, doch die Liebesgeschichte zwischen den beiden Teenagern ist nicht das Hauptaugenmerkmal von «My So-Called Life». Themen wie Alkoholismus und Drogenkonsum unter Teenagern, Obdachlosigkeit, Ehebruch, Gewalt und Homophobie sind ebenfalls Bestandteile der Serie, die von den Autoren mit Bedacht ausgewählt und in eine Story verpackt wurden. Das Ergebnis ist eine der besten Serien der 90er Jahre, sowie ein Kritikerliebling seiner Zeit. Eben nur kein Zuschauermagnet. Und offenbar hat ABC dies von Anfang an geahnt, hatten sie doch für mehr als ein Jahr Schwierigkeiten, einen passenden Sendeplatz für «My So-Called Life» zu finden.

Ursprünglich war die Serie für eine Premiere im Herbst 1993 vorgesehen. Acht Episoden waren fertiggestellt, als der Sender sich entschied, die Serie als Midseason-Ersatz zurückzuhalten. ABC fand einfach keinen passenden Sendeplatz für die Serie, zumal nur eine Sendezeit für eine Ausstrahlung als logisch betrachtet werden konnte. Der 20-Uhr-Slot war der Bestmögliche, um die jungen Zuschauer zum Einschalten zu bewegen, sowie die eigentliche Zielgruppe der 18- bis 49-Jährigen «My So-Called Life» ebenfalls entdecken zu lassen. Würde die Serie um 21 Uhr, oder sogar um 22 Uhr, ausgestrahlt werden, bestünde die Möglichkeit, dass die anvisierten Teenager die Serie im Programm nicht finden können – zumal am nächsten Tag reale Schule für die Zielgruppe anstand. Zusätzlich war der 21-Uhr-Slot so gut wie ausgeschlossen. Obwohl zu der Zeit «My So-Called Life» höchstwahrscheinlich gegen ein Magazin im Konkurrenzprogramm gelaufen wäre, konnte ABC den Slot nicht räumen, da alle Shows auf dem Sender um 21 Uhr erfolgreich liefen. «My So-Called Life» hatte vor seiner Ausstrahlung eine waschechte Lebenskrise: War die Serie zu dunkel und zu obsessiv für die junge Zielgruppe, um im 21-Uhr-Slot zu laufen? Würde die jugendliche Sichtweise der Serie das Interesse der älteren Zuschauer um 22 Uhr wecken? Während TV-Kritiker sich diese Fragen stellten, machten sie auch klar, dass die Serie „kraftvoll und rührend“ sei.

Nach einem Jahr fand ABC dann endlich einen Programmplatz: Donnerstags um 20 Uhr sollte «My So-Called Life» auf Zuschauerfang gehen und gleichzeitig gegen die übermächtigen Sitcoms von NBC antreten (damals «Mad About You» und die Premierenstaffel von «Friends»). Am 25. August 1994 wurde die Pilotfolge ausgestrahlt, und bekam kaum Beachtung bei den Einschaltquoten. Ein Marktanteil von 16 Prozent brachten die Pilotfolge auf einen unbeachteten 48. Platz der Wochencharts. Wie sich schon eine Woche darauf feststellte, war dies der beste Wert von «My So-Called Life» in seiner kurzen Lebenszeit. Die sehr positiven Kritiken konnte die älteren Zuschauer nicht bewegen, einzuschalten. In den wöchentlichen Programmcharts war die Serie nicht mal ein unregelmäßiger Gast in den Top 100. Stattdessen fand sich die Serie immer auf einen der letzten Plätze wieder. Bei den Teenagern war die Serie trotzdem beliebt und ein wöchentliches Pflichtprogramm: Bei den weiblichen Zuschauern zwischen 12 und 17 Jahren landete «My So-Called Life» auf Platz 17 der Charts im Dezember des Jahres 1994, während es für Platz 33 bei der männlichen Zielgruppe des gleichen Alters reichte. Platz 84 für die weiblichen Zuschauer zwischen 18 und 49 Jahren sowie Platz 100 für die männlichen Zuschauer der werberelevanten Zielgruppe zeigten allerdings auch beispielhaft, warum die Serie für ABC überhaupt kein Erfolg war. Nach 19 Folgen ging «My So-Called Life» mit einem offenen Ende in einen Hiatus.

Bis dahin war nämlich noch gar nicht klar, ob ABC die Serie endgültig absetzt oder eine zweite Staffel garantiert. Grundsätzlich ist zu sehen, dass der Sender mit «My So-Called Life» eine extrem unübliche Serie im Programm hatte, die es nirgendwo zu sehen gab (bevor das Teendrama-Genre auf WB mit Hilfe von «Eine himmlische Familie» schon 1996 explodierte und zu Erfolgen führte). Die Serie gab den jungen weiblichen Zuschauern eine Stimme im Fernsehen, welche seit jeher vermisst wurde, und selbst die geschäftlichen Beziehungen zwischen ABC und den Werbekunden war gut genug, um eine zweite Staffel zu garantieren – immerhin machte ABC durchaus Profit mit der Serie. Doch ein Disput hinter den Kameras während der letzten Wochen der Dreharbeiten sowie ABCs Unkenntnis, den wirtschaftlichen Appell einer Zuschauergruppe von weiblichen Teenagern zu sehen, waren letztendlich die Gründe für die Absetzung nach einer Staffel.

Claire Danes, während der Produktion eine 15-jährige Schülerin, sah die Produktion der Serie als zu stressig an, weshalb sie ankündigte, für die zweite Staffel nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Mit dem Desinteresse der Hauptdarstellerin verflog auch die Gunst von Formatentwickler Holzman, die Serie weiter zu begleiten. Die News über die wahren Gründe der Absetzung machte sich inzwischen über das aufsteigende World Wide Web breit und veranlasste die Gruppe „Operation Life Support“ (OLS; welche daran arbeiteten, die Serie am Leben zu erhalten) zu einem Flame-War gegen Claire Danes. Unter dem Titel „Claire Danes brings death to 'Life'“ taten sie ihrer Unmut kund und diskutierten über Sinn und Unsinn eines Teenagers und ihren Versuch, aus einem langjährigen Vertrag mit einem Produktionsstudio zu kommen. Die Unterstützung seitens OLS brachte immerhin einen im April 1995 startenden Re-Run von «My So-Called Life» auf MTV – noch bevor die Serie offiziell von ABC abgesetzt worden war, was bedeutete, dass die Wiederholungsrechte eigentlich noch nicht für einen Verkauf bestimmt waren. Man hätte damals allerdings schon ahnen müssen, dass ABC die Serie im Herbst 1995 nicht auf dem Programmplan zu stehen haben würde. Die offizielle Absetzung erfolgte am 15. Mai 1995.

Claire Danes gewann 1995 einen Golden Globe als beste Darstellerin in einer Dramaserie und wurde zudem für einen Emmy Award nominiert – genauso wie die Regie und das Drehbuch für die Pilotfolge. Danes gewann somit einen Award für ihre erste Serienhauptrolle, und ist in diesem Jahr für ihre zweite Serienhauptrolle erneut nominiert (für Showtimes «Homeland»). Gewonnen hatte sie ihren zweiten Golden Globe allerdings schon im letzten Jahr – für ihre Hauptrolle im HBO-Film «Temple Grandin». «My So-Called Life» findet sich inzwischen auf unzähligen TV-Bestenlisten wieder und gilt auch heute noch als Fanfavorit unter den alteingesessenen Fernsehzuschauern. Wäre die Serie allerdings zwei Jahre später angelaufen, hätte sie sicherlich eine Chance für eine längere Lebensdauer gehabt. Denn schon 1997 zeigten «Dawson's Creek» und «Buffy, the Vampire Slayer», wie der Erfolg einer jugendlichen Serie im Fernsehen auszusehen hat.

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