Natürlich ist das alles Trash.
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Vincent „Mit Bohnen aufpassen, das gibt Blähungen“ Raven, der Uri Geller für Arme, befreit das Camp von bösen Geistern und versucht mit seinem Amulett (die 50 Cent für den Kaugummiautomaten hat wohl RTL übernehmen müssen), die größten Konfrontationen der Assishow-Teilnehmer wegzumentalisieren. Micaela Wo-kann-ich-mich-hier-ausziehen Schäfer erzählt derweil der Nation, dass sie auf dreckigen Sex stehe, und würgt sich einen halben Liter Blut und gequirlte Leber runter. Martin Irgendwie-muss-ich-meine-Finanzamtsschulden-loswerden Kesici liegt auf der Pritsche, raucht und versucht, sich so wenig wie möglich zu blamieren. Brigitte Nielsen, die Grande Dame des Reality-Sumpfes, bemüht sich, die Namen ihrer Leidensgenossen im Kopf zu behalten und erzählt schon am ersten Abend Trash-gemäß von den angeblichen Schrumpfhoden ihres Exmannes Sylvester Stallone. Und Ailton Schöne-Frau-Ailton-nix-schwule-Spieler-professionell gibt alles, damit man ihn irgendwie versteht. Wäre „vom RTL“ vielleicht doch besser gewesen, ein paar Hunnis für den Portugiesischdolmetscher locker zu machen.
«Ich bin ein Star – Holt mich hier raus» ist auch dieses Jahr wieder ein Tanz auf der Rasierklinge zwischen der Befriedigung niederster Zuschauerinstinkte und einer hochwertigen Produktion, der es auch oft gelingt, all den Unfug und all die Degeneration in ein (zumindest für RTL-Verhältnisse) anspruchsvolles Gewand zu stecken und das Gemisch aus Mehlwürmer-Fressen und Seelensektion mit beißendem Sarkasmus zu brechen. Dass ein Sozialporno auch ein Sozialporno bleibt, wenn man gute Gags dazu schreibt, mit dem eigenen Image (sowohl der Sendung als auch des Senders) spielt und dem Zuschauer die Erniedrigungen auf eine teilweise recht intelligente Weise serviert, ist kein Widerspruch, sondern Teil des Konzepts.
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Wer hier reingeht, dem muss alles egal sein. Der muss damit leben können, dass bis zu sieben Millionen Zuschauer bei seinem Nervenzusammenbruch dabei sind und dazu fröhlich Popcorn mampfen. Der muss damit rechnen, dass er sich in Kakerlaken suhlen muss, um die mageren Essensrationen im Camp ein wenig zu pimpen. Der muss es sich gefallen lassen, von Sonja Zietlow und Dirk Bach, det Liebschen des Vorführfernsehens, als talentlose gescheiterte Existenz dargestellt zu werden. Bereits am Montag titelte der Online-Branchendienst „Meedia“ mit der Schlagzeile „Wer schützt Ramona Leiß vor sich selbst?“ Die Antwort ist einfach: niemand. Das ist nämlich der perfide Sinn der Sache.
Die Zuschauer fressen es jedenfalls wie Micaela Schäfer die Raupen und Mistkäfer: Bei der Premierenfolge waren 6,88 Millionen Zuschauer bei einem Zielgruppenmarktanteil von 36,1% dabei, und in den folgenden Tagen lag man meist recht nah an den Werten der vergangenen Staffel. Traumquoten sogar für RTL, auch wenn nicht alle Werbeplätze ausgebucht zu sein scheinen. Denn nicht jeder will mit dem wohl versifftesten Karrieresprungbrett der Bundesrepublik in Verbindung gebracht werden.
War man in den ersten Staffeln der Sendung noch darauf aus, die Teilnehmer als tatsächlich mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten darzustellen, ist der Ton heute ein ganz anderer. Zietlow und Bach fragen ganz offen, woher man diese Leute eigentlich kennen sollte. Und was sie eigentlich können. Über die Jahre ist «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus» fast zu einer Satire seiner selbst geworden und folgt heute einer ganz klaren Dramaturgie. Man zeigt minutenlang eine banale Diskussion übers Bohneneinweichen, die von den Campinsassen hitzig ausgetragen wird, und stellt danach satirisch treffend fest: „Wenn irgendeiner von ihnen haushalten könnte, wäre er jetzt nicht hier.“ Aus der letzten Saison ist noch eine Spitze gegen Sarah Dingens Knappik im Gedächtnis, deren Wikipedia-Eintrag während der Produktionszeit, so Zietlow, wegen Irrelevanz gelöscht werden sollte. Darauf Dirk Bach verwundert: „Sogar die Spaghettizange hat einen zweiseitigen Eintrag.“ Das Konzept ist klar: Ihr sitzt da unten und blamiert euch, und wir gießen Öl ins Feuer und machen uns über euch lustig. Man lacht nicht mit euch, sondern über euch. Und das ist auch so gewollt. Dann schreibt die „Bild“ noch ein paar voyeuristische Artikel und alle spielen mit. Hier geht es einzig und allein darum, wie tief man fallen kann.
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Das Dschungelcamp ist Fernsehen der untersten Schublade. Doch das will nicht heißen, dass es nicht gut gemacht ist. Die Punchlines sitzen, die subtilen wie unsubtilen Anspielungen auf die aktuelle Nachrichtenlage in Deutschland und der Welt um den Noch-Bundespräsidenten Christian Wulff und den Golden-Globe-Abräumer «The Artist» treffen voll ins Schwarze, Dirk Bachs Outfits sind unheimlich schnuckelig, die Schnitte pointiert, Jack, der Opossums-Co-Moderator, wirklich sagenhaft süß, Vincent Ravens Gespräche über Bohnen und Blähungen an komödiantischem Potential kaum noch zu überbieten. Und die Eröffnung mit dem Soundtrack von «Koyaanisqatsi» hat wohl auch nur verstanden, wer zumindest noch eine kleine Restsubstanz Hirn im Kopf hat, die nicht vom täglichen «Britt»-Schauen völlig zermatscht ist. Die Sendung ist clever und kompromisslos.
Doch man kann es drehen und wenden wie man will: «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus» ist und bleibt Voyeur-TV erster Güte. Mittlerweile präsentiert es sich aber in einem salonfähigen Gewand. „In einer Schwuchtelfarbe“, wie Vincent Raven wohl sagen würde.