"Wenn es nicht klappt, werde ich mich bei der ARD für das Vertrauen bedanken und mich in aller Form für mein Versagen entschuldigen." Das sind Worte, die nur jemand aussprechen kann, der eigentlich schon alles erlebt hat im deutschen Fernsehen: Thomas Gottschalk, seines Zeichens neuer „Anchorman“ des Ersten (O-Ton Pressemitteilung) und ehemaliger Quotengigant mit «Wetten, dass..?». Am Montag startet um 19.20 Uhr seine neue Show «Gottschalk Live», produziert von Grundy. Und alle in der Branche diskutieren über die Frage: Wie lange hält er durch, wenn die Einschaltquoten schlecht sind?
Schließlich ist der Vorabend im Ersten – intern „Todeszone“ genannt – seit Jahren eine Baustelle, die viele Programmflops verschluckt hat. Darunter gute Serien wie «Türkisch für Anfänger» und Trash wie die Styling-Show «Bruce». Aktuell läuft es mit den neu gestarteten Krimiserien und Kai Pflaumes Quizshow ebenfalls schlecht. Aber gerade deswegen will Show-Titan Thomas Gottschalk dort senden: Die Baustelle, sie ist seine Herausforderung. Sie ist ein (letztes) Risiko, dem sich Gottschalk deswegen stellen kann, weil er nichts mehr beweisen muss nach 24 Jahren «Wetten, dass..?». Und dem man es glaubt, wenn er gegenüber der Zeitschrift Bunte den Fall eines Quotenflops einberechnet: „Ich werde nicht beleidigt beim Publikum die Schuld suchen, sondern mich freiwillig ins Exil nach Malibu begeben, bis die Leute mir den Flop verziehen haben.“ Nur um anzufügen: „Und wenn man mich hier gar nicht mehr will, bleib ich eben dort.“
Dass Misstrauen der Branche gegenüber «Gottschalk Live» kommt auch daher, dass bisher niemand weiß, was nun jeden Abend um 19.20 Uhr auf den Zuschauer zukommt. Hier mal eine twitter-Nachricht von Fans, dort ein Gast, dann mal eine Anekdote – so viel ist bekannt. Und natürlich: Gottschalk selbst, der als Marke primärer Einschaltgrund sein soll. Aber reicht das aus? Der neue ARD-Star will jene Zuschauer ansprechen, die sich kurz vor der bitterernsten «Tagesschau» unterhalten lassen möchten. In «Gottschalk Live» kann daher die ganze Bandbreite des permanenten Nachrichten-Grundrauschens zum Thema werden – vom nächsten Boulevard-Skandal über eine wichtige CD-Veröffentlichung bis zum Guttenberg-Comeback. Gefiltert und besprochen wird das, was das Publikum interessiert und unterhält. Für den Moderator steht fest: Er will Wohlfühl-Fernsehen machen, eine Art Bindeglied zwischen Boulevard und Feuilleton.
Berliner Bühne für den neuen Netzwerkler
Damit sich Gottschalk und seine Zuschauer auch wohlfühlen, wird großen Wert auf das Ambiente gesetzt. Der dritte Stock des ehrwürdigen Humboldt-Carrés, einem ehemaligen Bankgebäude in Berlin, ist Schauplatz von «Gottschalk Live». Ein Schreibtisch, Ledersessel, Hocker, Bücherregale schmücken neben Bildern des Malers Bernhard Prinz die Kulisse des wohnlichen Studios, das von Set-Designer Florian Wieder entworfen wurde. Dieser arbeitete mit Gottschalk bereits bei der Neugestaltung des «Wetten, dass..?»-Studios zusammen. Beeindrucken sollen besonders die großen Panoramafenster im Hintergrund, die einen Blick über Berlin-Mitte gewähren.
Als Equipment dient dem Neu-Netzwerkler Gottschalk eine ganze Reihe an Geräten, die das interaktive Live-Fernsehen möglich machen: Neben Flatscreens, per Laptop bedienbar, und Live-View-Kameras gehören auch Tablet-Computer zum Inventar. Das Versprechen, Kontakt mit der Außenwelt über twitter oder Skype zu halten, macht man offensichtlich wahr: In der 20-köpfigen Redaktion von «Gottschalk Live» befinden sich zwei Socialmedia-Redakteure. Da das Team im gleichen Raum wie Gottschalk sitzt, wird es auch zum Bestandteil der Sendung für Gespräche und Meinungen – hier könnte, dem bewährten Late-Night-Konzept folgend, eine Art Showfamilie aufgebaut werden. Auf ein Live-Publikum verzichtet man aber leider.
Mit Entertainer-Qualitäten zum Erfolg
Am Ende muss Gottschalk jeden Tag aufs Neue wissen, wie er seine Show am Abend gestalten will. Es scheint, als sei es Teil des Konzepts, dass diese Sendung eher konzeptlos ist und sich nicht durchplanen lassen muss. Gut so – denn Gottschalk-Fans wissen: Dieser Mann ist am besten, wenn er improvisieren kann und Freiheiten besitzt. Von der starren «Wetten, dass..?»-Altlast befreit gab Gottschalk im Dezember eine bereits legendäre Pressekonferenz, in der er vor den anwesenden Journalisten zu humoresker Höchstform auflief. Er hat dort den Vorgeschmack dafür gegeben, dass er die spontane Unterhaltung noch so gut beherrscht wie kein anderer in der deutschen Fernsehbranche. Und dafür, dass die Geschichte des Formats «Gottschalk Live» nicht so werden muss, wie sie vorgezeichnet ist: als risikoreiches Himmelfahrtskommando. Seit dieser Pressekonferenz spricht vieles dafür, dass wir einen (ganz) anderen, unterhaltsameren und spontaneren Gottschalk erleben als in den vergangenen Jahren. Wenn das gelingt, stehen die Chancen auf einen Quotenerfolg gar nicht so schlecht.
Problematisch ist nur, dass der Zuschauer vielleicht keinen konstanten Einschaltgrund abseits des Alleinunterhalters Gottschalk finden kann – und am Vorabend zählen feste Sehgewohnheiten, die erst einmal aufgebrochen werden müssen. Außerdem darf sich das Format nicht in der Belanglosigkeit verlieren. Natürlich werden die Einschaltquoten bei der ersten Sendung von «Gottschalk Live» gut sein, vielleicht auch automatisch bei der zweiten. Aber wichtig ist, wie man über die lange Distanz abschneidet. Der große Marathonläufer des deutschen Fernsehens, der jahrzehntelang den Fernseh-Samstagabend geprägt hat, stellt sich wieder an die Startlinie. Es ist ein langer Weg bis zum Ziel.