Hingeschaut

Holter die Polter! Gottschalks wirrer Vorabend-Mix

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Am Montag begann das Vorabendabenteuer von Thomas Gottschalk im Ersten. Wir liefern eine Bestandsaufnahme der ersten Sendung - was irgendwie gar nicht so einfach war.

Leicht verspätet um 19:21 Uhr begann für Showmaster Thomas Gottschalk am Abend des 23. Januar im Ersten eine neue Ära. Nach 22 Jahren bei Europas größter Fernsehshow «Wetten, dass..?» bestritt die TV-Legende nun zum ersten Mal das selbst gewählte Kontrastprogramm: Nicht mehr monatlich, rund dreistündig und zur Primetime vor einem Riesenpublikum im Saal und vor den Fernsehern, sondern täglich, knapp halbstündig am Vorabend vor gar keinem Publikum im Studio und deutlich kleinerer Zuschauermenge zu Hause. Dafür interaktiv und ebenso live.

Was die Zuschauer in der Premiere von «Gottschalk Live» erwarten würde, wussten die meisten von ihnen vorher nicht. Ob es die Redaktion der Sendung so ganz genau wusste, darf wohl auch bezweifelt werden, denn was unterm Strich blieb, war eine undefinierbare halbe Stunde. Um diese auch nur ansatzweise einordnen zu können, bedarf es zunächst einer genauen Bestandsaufnahme.

Unmittelbar vor Beginn bot sich ein altbekanntes Bild: Ein Haribo-Werbespot flimmerte über den Schirm, der das Sponsoring der Sendung verkündete. Zwar war der Bonner Süßwarenhersteller schon seit Jahren nicht mehr Werbepartner bei «Wetten, dass..?», doch für die neue Show seines Rekordzeit-Werbegesichts gab man sich nun doch mal wieder die Ehre. Diese Reklame sollte aber längst nicht die einzige bleiben, die das Publikum zu Hause vor den Fernsehgeräten ertragen musste...

Gottschalks erste Worte nach dem Vorspann, der ganz ohne Ansage auskam, galt der Umkehrung des Verhältnisses zu seinen Anhängern: Über 35 Jahre hätten sie ihn in ihre Wohnzimmer gelassen, jetzt lässt er sie in sein Wohnzimmer. Doch der Begriff des Wohnzimmers beschreibt nur einen der drei Teile seines extravaganten und angeblich von ihm selbst mitgestalteten Studios, welcher sich auf der rechten Seite in einer gemütlichen Ecke mit zwei braunen Sesseln und Flokatiteppich befindet. In der Mitte könnte man das Set eher als Büro bezeichnen, denn dort steht der merkwürdige Schreibtisch des Gastgebers samt Bildschirm für Einblendungen zu den Themen. Im Hintergrund dieser beiden Studiosegmente kann man durch die Fenster nach draußen ins echte abendliche Berliner Straßentreiben schauen. Gottschalk witzelte, dass man sogar extra ein paar Autos eingesetzt habe, die immer kreisen würden, falls der Verkehr mal zum Erliegen käme. Hinter einem Torbogen befindet sich dann auf der rechten Studioseite der Redaktionsraum, in dem die Mitarbeiter der Sendung an Computern sitzen. Neben einigen netten Accessoires zur Dekoration findet man auch vor allem eins am Set: Zeitungen. Sie liegen nicht nur ausgebreitet auf dem Schreibtisch, sondern ebenso in einem Kiosk-Ständer im Redaktionsraum zu Hauf. Anscheinend will man den Zuschauern suggerieren, dass man sich damit intensiv auf die Sendung vorbereiten würde. Wenn die Exemplare dabei nur nicht so neu aussehen würden...!

Von der angedrohten Vorbereitung des Moderators ließ sich auch noch nicht all zu viel erkennen. Gottschalk erklärte in seiner langen Einleitungsrede - so wie schon auf der groß inszenierten Pressekonferenz zur Show im Dezember - was in der Sendung alles nicht passieren würde: Es gebe keinen Euro-Rettungsschirm, es werde eine Wulff-freie Stunde und es würde nicht gekocht. Außerdem sei Nicolas Cage auch nicht zu Gast, obwohl er erst eingeladen werden sollte. Doch das würde die Leute dann laut Thommy wieder zu sehr an die Hollywood-Gespräche bei «Wetten, dass..?» erinnern. Konsequenterweise sei Cage aber ein anderes Mal trotzdem zu Gast. Außerdem gab es zur Einführung einen fast schon historischen Einspieler, in dem man den jungen Gottschalk sah, wie er vor genau 41 Jahren am 23. Januar 1971 in seiner BR-Radioshow einen berühmt gewordenen Gag zum Christkind brachte.

Auch wenn Thomas angab, in Zukunft bei «Gottschalk Live» vernünftig gekleidet sein zu wollen (der Anfang war ein weißes Hemd mit oliv-farbener Weste und ebensolchem Schlips), lehnte er die offizielle blau karierte ARD-Krawatte ab, die er im Studio präsentierte und die auch Günther Jauch bereits in seiner sonntäglichen Polittalkshow getragen hatte. So nutzte Gottschalk diesen Anlass, um zum ersten Mal seine Redaktion vorzustellen und das Internet einzubinden. Zusammen mit Social-Media-Expertin Caro ließ er den Schlips zur Verlosung unter den Zuschauern ausschreiben. Diese sollten einfach bei Facebook oder Twitter kurz eintippen, weshalb sie den "Schlauch von Jauch" (O-Ton Thommy) bräuchten. Der originellste Mitspieler soll demnächst dann von der Redaktion ausgewählt werden und gewinnen. In der Redaktion befand sich neben Caro auch noch ein Herr, der dem Ex-Minister zu Guttenberg sehr ähnlich sah und dies auch des Öfteren zu hören bekam. Zusammen mit seinen Kollegen fungierte er überdies als Publikum, denn wenn schon keine Zuschauer im Studio sitzen, muss doch wenigstens das Redaktionsteam lachen und klatschen, wenn es unbedingt von Nöten ist. Das war es nun leider aber auch nicht all zu oft im Verlauf der Premierenshow.

An seinem Schreibtisch erzählte und erzählte Gottschalk über zwei Klatsch-Themen: Die Aufklärung der Causa seines Cousins Jan, der laut Bericht der Freizeit Revue verarmt in Polen leben würde, kam ebenso zur Sprache, wie ein Erklärungsversuch zur Trennung von Heidi Klum und Seal. Dass dieser Inhalt in der Sendung vorkommen müsste, war vorhersehbar, ist es doch Gottschalk gewesen, der das Model in seiner RTL-Late-Night-Show entdeckt hatte und deshalb betonte, keinen Promiexperten zu brauchen. Er wüsste selbst genug zu Klumm.

Als Premierengast kam dann in der zweiten Hälfte der Sendung Schauspieler, Komiker und Regisseur Michael "Bully" Herbig aus einem Seitenflur neben dem großen Redaktionszimmer ins Studio, begleitet vom Applaus der Mitarbeiter. Er schenkte Gottschalk ein paar Latschen, die er aus seinem Hotel mitgebracht hatte. Der Gastgeber zog diese auch sofort an, setzte sich mit Herbig in die Sessel-Ecke und prompt trat die private Wohnzimmer-Atmosphäre in den Vordergrund. Mit den auf der einen Seite für ihn so typischen Entweder-Oder-Fragen aber auf der anderen Seite auch persönlicheren, tiefer gehenden Themen, die bei «Wetten, dass..?» nicht immer ohne Weiteres möglich waren, unterhielt sich Gottschalk mit seinem Gast. Immerhin eine Facebook-Frage wurde eingebunden und natürlich ging es jedoch auch um die Werbung für Bullys neuen Film «Zettl».

Werbung ist dann auch das Stichwort für das einzig wirkliche Ärgernis an «Gottschalk Live»: Ständig wurde der Talk mit Werbeblöcken unterbrochen, von denen der erste 60 und der zweite dann 30 Sekunden lang war und ein Fenster im linken oberen Eck jeweils die währenddessen stattfindenden Instruktionen von seinem Aufnahmeteam an Gottschalk zeigte. Der dritte Pausenblock beinhaltete dann neben dem Kommerz auch noch «Das Wetter im Ersten». Durch all diese Unterbrechungen wurde viel Dynamik und Tiefe aus der Sendung genommen, deren Inhalte ohnehin schon relativ schnell durchgenudelt werden mussten. Da kam selbst die eigentlich interessante Thematisierung der Paparazzi-Fotos nicht richtig zur Geltung, die von Gottschalk gemacht wurden, als er am Abend zuvor noch mit seiner Sekretärin in Berlin essen gegangen war.

Am Ende der Sendung, welches nach einiger Hektik und viel Werbung schnell gekommen zu sein schien, verwies der Starmoderator noch kurz auf über 1600 Klicks, die wegen der Krawattenaktion im Netz getätigt worden seien. "Wir haben jetzt schon mehr Klicks als Zuschauer!" bemerkte er selbstironisch. In der zweiten Ausgabe sei dann auch ein Eisbären-Baby im Studio. Wenn die Leute schon in ihm keinen Grund sehen würden, die Show zu gucken, dann doch wenigstens darin. Zur Verabschiedung folgte dann eine Geste, die man so noch nie gesehen hatte und die dem großen Gottschalk auch nicht würdig war: Der neue alte ARD-Mann kniete sich vor der Kamera hin und bettelte, dass er jeden Zuschauer brauche. Seine letzten Worte "Bis Morgen, Servus und gute Nacht" gingen dann schon fast kläglich im Abspann unter, den man reindrängte, obwohl der Altmeister mal nicht nennenswert überzogen hatte. Der Haribo-Spot schloss letztendlich wieder den Rahmen.

Soweit der Inhalt. Was also bliebt unterm Strich von der Premiere von «Gottschalk Live»? Es sind einige gute Ansätze erkennbar, auf denen dringend aufgebaut werden muss: So war es für seine Fans mit Sicherheit schön zu erleben, wie Gottschalk einfach mal hinterm Schreibtisch saß und reden konnte, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Die teils witzige Interaktion mit seinen Redakteuren, mit denen er sich offenbar gut versteht, darf auch gelobt und sollte ausgebaut werden. Das Studio ist gemütlich, auch wenn noch ein paar Pflanzen fehlen, und die Gespräche mit den Gästen dürfen auch in Zukunft gerne so persönlich sein, wie das mit Herbig. Bei diesen Punkten trifft dann auch die von ARD-Programmdirektor Herres im Vorfeld getätigte Einschätzung "Gottschalk live ist 100 Prozent Thomas Gottschalk". Schade und zu kritisieren ist es dabei dann jedoch, dass die Dramaturgie der Sendung durch zu viele Pausen unterbrochen wird. Natürlich muss sie sich durch Werbung refinanzieren, doch nicht in dieser Aufteilung. Wenn man schon das Wetter integriert, könnte man auch eine Live-Schalte zum jeweiligen Wetterfrosch machen. Die Einbindung der neuen Medien in die Premierenshow kam noch viel zu kurz, auch wenn Gottschalk betonte, dass man damit erst langsam anfangen wolle. Die Krawattenaktion ist dafür aber zumindest schon einmal der richtige, originelle Einstieg gewesen. Und auch, wenn eine der Stärken von «Gottschalk Live» wohl in der überraschenden Wundertüte liegt, die das Format zweifelsfrei darstellt, sollten in der kurzen Zeit nicht zu viele verschiedene Themen abgehandelt werden.

Zu guter Letzt sollte sich Gottschalk nicht auf das Niveau herab lassen, mit flachen Mitteln und erniedrigenden Gesten auf Quotenfang zu gehen. Das hat er nicht nötig.

Fazit: Die neue ARD-Vorabendshow ist holprig und etwas wirr gestartet. Doch in der ersten Sendung konnte das bei einem solch bunten Live-Format eigentlich auch nicht anders sein. Ob «Gottschalk Live» noch zu dem erhofften Befreiungsschlag für seinen Sender werden wird, ist jetzt noch überhaupt nicht abzusehen. Man muss nun nach und nach in eine festere und effektivere Form finden, die aber für Gastgeber und Themen auch nicht zu starr sein darf. Diese Aufgabe ist schwer, jedoch für Gottschalk und sein Team nicht unlösbar. Man kann dafür nur hoffen, dass die Zuschauer nicht ähnlich unberechenbar sind wie der Inhalt der Show...!

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