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Dabei verwundert es doch sehr, dass sich sein Bekanntheitsgrad außerhalb der USA noch immer vergleichsweise in Grenzen hält. Doch auch wenn Gosling vorwiegend in Independent-Produktionen zu sehen ist, dürfte es bloß eine Frage der Zeit sein, bis sich dies endgültig ändert. Als Hauptdarsteller des Thrillerdramas «Drive», welches acht Monate nach seiner Weltpremiere bei den Filmfestspielen von Cannes nun auch endlich den Weg in die deutschen Kinos gefunden hat, setzt er die Serie seiner bemerkenswerten Rollenwahlen jedenfalls weiterhin nahtlos fort. So ist der Film im Hinblick auf seine bloße Handlung zwar eher althergebrachte Kost, ansonsten allerdings in nahezu jeder Hinsicht außergewöhnlich.
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Die grundlegende Geschichte von «Drive» spielt zwischenzeitlich zwar erfreulicherweise mit den Erwartungen der Zuschauer, indem sie bestimmte Entwicklungen zunächst andeutet, letztendlich aber doch wieder verwirft, gestaltet sich im Großen und Ganzen allerdings als nicht wirklich neu. Dennoch ist «Drive» weit davon entfernt, ein herkömmlicher Film zu sein. Der dänische Ausnahmeregisseur Nicolas Winding Refn («Walhalla Rising»), der für diese Arbeit in Cannes mit dem Regiepreis ausgezeichnet worden ist, versteht es den auf einem Roman von James Sallis basierenden Stoff so zu verpacken, dass etwas Ungewöhnliches und dennoch ungemein Mitreißendes entsteht.
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Gegen die ruhigeren Passagen setzt er dabei die doch recht spärlichen, aber unglaublich spannend inszenierten Einsätze des Protagonisten als Fluchtwagenfahrer und etwa ab der Mitte des Films schließlich auch extreme Gewalt. Letztere hält ähnlich wie in David Cronenbergs «A History of Violence» so plötzlich und drastisch in den Film Einzug, dass ihre ohnehin schon hohe Intensität noch einmal verstärkt wird. Die großartige und die hypnotische Wirkung einiger Bilder untermalende Musik, welche größtenteils aus 80er-Jahre-Synth-Pop-Klängen besteht, komplettiert schließlich die Kombination aus scheinbar unvereinbaren Elementen, die einen großen Reiz von «Drive» ausmacht.
Doch würde dies alles ohne den faszinierenden Protagonisten wohl nur halb so gut funktionieren. Die Figur des namenlosen Fahrers mag auf den ersten Blick zunächst nicht sonderlich spektakulär wirken, wäre «Drive» doch längst nicht der erste Film mit einem abgebrühten und emotionslosen Antihelden. Doch offenbaren sowohl seine weitere Entwicklung als auch Ryan Goslings überaus nuanciertes Spiel, dass der Fahrer sehr viel mehr ist als das. Immer wieder durchbricht Gosling seine scheinbar vordefinierte Rolle mit einem zurückhaltenden Auftreten und einem sympathischen Lächeln, was bei einer solchen Figur doch jedes Mal aufs Neue überrascht. Spannend wird der wortkarge Fahrer jedoch vor allem dadurch, dass sein wahres Wesen auch mit seinem aktiver werdenden Auftreten weitestgehend im Dunkeln bleibt. So herrscht auch stets Ungewissheit über sein bisheriges Leben sowie seine grundlegenden Handlungsmotive. Zu seiner Vergangenheit erhält man allenfalls subtile Andeutungen in Randbemerkungen oder durch Goslings einnehmende Mimik, ohne jedoch, dass wirklich etwas Handfestes preisgegeben wird. Eine genaue Einordnung fällt so bis zum Ende äußerst schwer. Doch gerade das macht die Figur so ungeheuer interessant.
Wenn man sich also auf die Eigenarten von «Drive» einlässt und nicht mit falschen Erwartungen an den Kinobesuch herangeht, steht einem ein Filmerlebnis der besonderen Art bevor. Der krass kontrastierte Mix aus ruhigem Drama, gemächlicher Romanze, gelegentlicher Action sowie äußerst brutalem und nicht zuletzt deswegen so intensiven Thriller erzeugt eine ganz eigenwillige Stimmung und macht es überaus schwer, sich der Faszination von «Drive» zu entziehen. Die großartige Besetzung, allen voran Ryan Gosling, sowie die von ihm verkörperte undurchsichtige Hauptfigur sorgen schließlich endgültig dafür, dass «Drive» auch nach dem Verlassen des Kinosaals noch eine Weile nachwirkt.
«Drive» ist seit dem 26. Januar in vielen deutschen Kinos zu sehen.