Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: Sat.1 – Mut gegen Verzweiflung

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Überall Programmbaustellen: Sat.1 muss den Mut zum Risiko wiederentdecken. Ein Kommentar.

Lange ist es her: Es gab tatsächlich Jahre, in denen Sat.1 für Kontinuität stand. Beispielsweise in den 90er Jahren, als Fred Kogel Senderchef war, Harald Schmidt trotz zunächst schwacher Quoten im Programm ließ und ihm sogar vertraute, als dieser seine Late-Night-Show nach zwei Jahren selber produzieren wollte. Auch als später Martin Hofmann und Roger Schawinski als Geschäftsführer das Ruder übernahmen, gab es teilweise große Erfolge: Hofmann hatte sie beispielsweise mit der gesamten Daytime um Salesch, Hold und Kallwass, die Trends am Nachmittag setzte. Schawinski mit der zeitweise erfolgreichen Nachrichtenoffensive um Thomas Kausch und Unterhaltungsformaten wie «Star Search» und dem Vorabend-Erfolg «Verliebt in Berlin». Von 1995 bis 2006 hatte Sat.1 genau drei Geschäftsführer. Seit 2007 dreht sich das Personalkarussel nun im Jahrestakt: Fünf Senderchefs waren seitdem an Bord und gingen teils freiwillig, teils unfreiwillig. Der sechste – Joachim Kosack (Foto) – trat sein Amt vor drei Monaten an. Kann er endlich die benötigte Kontinuität zum Sender zurückbringen? Angesichts so vieler Programmbaustellen?

Stichwort Daytime: Sie wird noch im Frühjahr auf die Probe gestellt, wenn der «Barbara Salesch»-Ersatz auf Sendung geht und ein neues Reality-Format zwischen charakterstarken Sendungen wie «Zwei bei Kallwass» und «Richter Alexander Hold» positioniert, die ihrerseits nicht mehr allzu stark laufen. Die neue Progammfarbe kann funktionieren, kann aber auch floppen und damit das Nachfolgeprogramm «Hold» beschädigen.

Stichwort Vorabend: Mit dem Ende von «Anna und die Liebe» hat man sich endgültig vom Soap-Konzept verabschiedet und setzt nun größtenteils auf Crime-Dokus wie «Lenßen» und «K11». Die ersten Quoten des neuen Vorabend-Programms zeigen aber, dass diese Neuausrichtung noch viel schlechter ankommt als vorher und noch mehr Zuschauer nach RTL (mit seinen Soaps) oder RTL II («Berlin – Tag & Nacht») und VOX («Das perfekte Dinner») abwandern, wo Vorabend-Sendungen bereits erfolgreicher sind als bei Sat.1.

Stichwort Primetime: Hier hat man zwar Erfolge mit den deutschen Serien «Danni Lowinski» und «Der letzte Bulle» vorzuweisen, aber auch Flops. Zuletzt funktionierte der komplementär programmierte Donnerstag um «Die perfekte Minute» und Julia Leischik überhaupt nicht, wurde nach zwei Wochen eingestellt. Auch «The Voice of Germany» kam nach starken Marktanteilen im Jahr 2011 zuletzt auf vergleichsweise schwache Quoten und verlor teils mehr als ein Drittel seiner jungen Zuschauer. Und am Dienstag hatten die neuen, hoffnungsvollen Serien-Testballons «Wolff» und «Hannah Mangold» nur bedingt gute Quoten beim Fernsehpublikum. Außerdem fehlen ab Sommer die Fußball-Rechte der UEFA Champions League, sodass am Mittwochabend ebenfalls ein neues Programmkonzept benötigt wird.

Stichwort Late-Night: Mit großem Interesse wurde im vergangenen Herbst die Rückkehr Harald Schmidts zu seiner Senderheimat verfolgt. Doch schon bald stellte sich «Die Harald Schmidt Show» als Quotenflop heraus, mit Zielgruppen-Marktanteilen von oft weniger als sieben Prozent. Im Ersten hatte Schmidt meist bessere Quoten – und dies, obwohl Kritiker dem Sat.1-Format neue Frische bescheinigen.

All diese Probleme führen nun dazu, dass Sat.1 den Monat Januar mit einem einstelligen Monatsmarktanteil abschließen wird – derzeit liegt man bei 9,9 Prozent. Seit Jahren lief es abseits eines Monats mit Fußball-WM-Konkurrenz nicht mehr so schlecht. Kurz: Der neue Sat.1-Chef Joachim Kosack hat die vielleicht größten Aufgaben vor sich, die ein Senderchef je haben kann. Schafft er es, auch nur eine Programmbaustelle langfristig zu kitten, wäre das ein Erfolg.

Dazu braucht es die angesprochene Kontinuität und eine klare Strategie, die bisher nicht erkennbar ist. Auf der einen Seite traut sich Sat.1 etwas: mit starken Filmen wie «Hannah Mangold & Lucy Palm», mit Komplementärprogrammen wie «Die perfekte Minute», mit einer Qualitätsoffensive um Schmidt und «Danni Lowinski» / «Der letzte Bulle». Für diesen Mut, für die inhaltliche Qualität der Programme ist der Sender zu loben – auch wenn am Ende die Quote oft nicht stimmt. Auf der anderen Seite aber fehlt jedes Risiko, erscheint es fast verzweifelt, wenn ein Vorabend-Relikt wie «Lenßen» wiederbelebt und «Niedrig & Kuhnt» in den Vorabend gehoben wird. Oder wenn man am Nachmittag genauso wie RTL auf eine Scripted Reality setzt.

Langfristig scheint sich immer nur die Strategie „Mut zum Risiko“ auszuzahlen – zumindest, wenn man die Vergangenheit des Senders betrachtet: In der Daytime setzte zuerst Sat.1 gegen die echten Talk-Formate auf Drehbuch-Courtshows und wurde schnell zum Marktführer; am Vorabend begeisterte man mit der ersten täglichen «Quiz Show» und später der Telenovela «Verliebt in Berlin», die angesichts der Soap-Konkurrenz schon vor ihrem Start abgeschrieben wurde; in der Primetime zeigte man in den letzten Jahren, dass deutsche Serien («Danni Lowinski») und Gameshows («Die perfekte Minute») mit vermeintlichen Ex-Fernsehstars (Ulla Kock am Brink) doch funktionieren können. Nicht selten hat Sat.1 mit seinen risikoreichen Ideen die Fernsehlandschaft bereichert und neue Akzente sowie Trends gesetzt, die sich RTL als permanenter Marktführer nur selten trauen musste. Es ist mit dem neuen Senderchef an der Zeit, diesen Geist des Ideen-Investments wiederzubeleben. Dann klappt’s vielleicht auch wieder mit der Quote.

Jan Schlüters Branchenkommentar gibt es jeden Mittwoch nur auf Quotenmeter.de.

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