Die Kino-Kritiker

«Moneyball»

von
Basierend auf einer wahren Geschichte schaffen Brad Pitt und Autor Aaron Sorkin ein packendes Sportepos um den Preis des Erfolges und das Brechen mit Traditionen.

Mit sechs Oscar-Nominierungen liegt «Moneyball» in diesem Jahr auf Platz drei der am häufigsten nominierten Filme hinter «Hugo Cabret» und «The Artist». Keine Überraschung, denn hier ballen sich einige bewährte Oscar-Zutaten zusammen: Ein von «The Social Network»-Autor Aaron Sorkin verfasstes Drehbuch basierend auf einer wahren Begebenheit, die Nationalgeschichte schrieb. Sportgeschichte. Baseball sogar. Ein Film über das Aufbegehren der Underdogs, den amerikanischen Traum. Und in der Hauptrolle Brad Pitt, zum dritten Mal für den Oscar nominiert.

Wir schreiben das Jahr 2001, eine enttäuschende Saison ist zu Ende gegangen für die Oakland Athletics, eines der Teams in der Baseball-Profiliga, das sich mit verhältnismäßig geringem Budget durchschlagen muss. In den Vorbereitungen auf die neue Saison trifft Manager Billy Beane (Pitt) auf Yale-Absolvent Peter Brand (Jonah Hill), der ihm einen völlig neuen Ansatz zur Bewertung von Baseball-Spielern präsentiert: Sabermetrics, computergestützte Statistiken, die die Leistungsfähigkeit weitaus objektiver abdecken als die Beobachtungen von Scouts.

Brand überzeugt Beane von seinen Ideen und letzterer wählt den schweren Weg, das Konzept, statt auf ausgewählte Stars auf unterbewertete oder gar aussortierte Spieler zu setzen, gegen den Protest der Scouts durchzusetzen. Besonders mit Coach Art Howe (Philip Seymour Hoffman), der sich weigert, seine unkonventionellen Taktiken auf dem Spielfeld umzusetzen, kollidiert Beane. Schnell wird die Situation ungemütlich, als sich die Oakland A's am unteren Ende der Tabelle wiederfinden.

In all seiner epischen Erzählung ist «Moneyball» im Kern ein gewöhnlicher Sportfilm. Es gibt ein Team von Underdogs, ein nahezu unerreichbares Ziel, frühe Enttäuschungen, Hürden, die es zu meistern gibt. Und am Ende steht das große, alles entscheidende Spiel. Auf der anderen Seite jedoch ist «Moneyball» viel mehr als das. Es geht nicht darum, dass mit Teamgeist und Zusammenhalt jedes Hindernis zu meistern gilt, überhaupt geht es nicht um das Team, das schließlich tatsächlich auf dem Feld steht. Die Spieler sind Figuren, die von oben herab gelenkt werden, die ausgetauscht oder direkt entlassen werden, wenn sie dem übergeordneten Ziel nicht mehr taugen. Die Härte der Sportwelt klingt hier durchaus an.

Die eigentlichen Protagonisten der Geschichte sitzen eine Etage höher. Es sind Beane und Brand, die sich gegen eine gesamte Sportwelt, Scouts, Trainer, Spieler, Medien und Fans durchsetzen müssen, um ihre Ziele zu erreichen. So geht es bei «Moneyball» nicht etwa wie bei anderen Sportfilmen um den Glauben an die gemeinsame Stärke, sondern um die Überzeugung von einer ganz konkreten Idee. Um die "Kunst zu gewinnen", wie es der deutsche Untertitel nennt in Anlehnung an «Moneyball - The Art Of Winning An Unfair Game», das Buch, auf dem Sorkins Drehbuch beruht. Pathos ist nur in homöopathischen Dosen zu finden, die große Heldensaga bleibt aus.

Erstaunlich schnell erlangt man selbst als Baseball- oder Mathematik-unbedarfter Zuschauer Zugang zum Kern der Geschichte. Ohne allerhand Baseball-Begrifflichkeiten wie auch Anleihen in der Statistik kommt «Moneyball» zwar nicht aus, überfordert dabei aber niemals sein Publikum. Selbst wenn es beim Verstehen des ein oder anderen Fachbegriffs hakt, bleibt das Geschehen immer klar verständlich. Am Ende kann man gar noch etwas über den US-amerikanischen Nationalsport lernen, weiß wie die grundlegenden Mechanismen funktionieren.

Dadurch, dass die fachliche Komponente eher den Hintergrund des Geschehens bildet, kann sich der Film ganz auf seine Hauptfiguren fokussieren. Dabei schneidet vor allem Brad Pitt in der Hauptrolle hervorragend ab. Sein Billy Beane strahlt eine mitreißende Entschlossenheit aus, die einen schmalen Grat zwischen Euphorie und Frustration wandelt. Die Glücksgefühle beim Einfädeln der ganz großen Deals zeichnen sich ebenso überzeugend ab wie die Wut, unter der das ein oder andere Möbelstück während des Films zu leiden hat. Auch Jonah Hill und vor allem Philip Seymour Hoffman als Gegenspieler in den eigenen Reihen spielen ihre Rollen exzellent.

Im Schlussdrittel wird alle Schauspielleistung aber von der technischen Inszenierung in den Schatten gestellt. Wenn der Film seine Spannungskurve bis zum Anschlag aufdreht, ist das zu großen Teilen dem Umgang mit Bild und Ton zu verdanken. Viele Zeitlupen lassen die Zuschauer die Szenerie selber erfassen statt sie direkt erzählt zu bekommen. Der Ton ist oftmals auf das Mindeste reduziert. Einem krachenden Schlag mit dem Baseball-Schläger folgt eine Phase totaler Stille, während die Bilder weiterlaufen. Ein Aufschrei des Publikums. Und wieder verstummt der Film. Und nicht nur dieser. Eine Totenstille im Kinosaal beweist, wie ungeheuer stark die Sogwirkung ist, die erzeugt wird, wenn der Film einem Zeit für den Widerhall im eigenen Kopf lässt.

Schlussendlich gibt es höchstens zwei Dinge an «Moneyball» zu bemäkeln: den Einstieg und den Schluss. Gerade zu Beginn des Films wird man in eine Diskussion der Oakland-Scouts geworfen, die weniger Baseball-interessierten Zuschauern einige Fragezeichen hinterlassen dürfte. Auch wenn diese Messlatte später niedriger liegt, in den ersten Minuten wird der Einstieg erschwert, könnte den versierten Fan hingegen direkt mitten ins Geschehen ziehen. Der Epilog schließlich fällt eine Spur zu lang aus und beraubt den Film ein wenig seiner Nachwirkung.

Alles in allem ist «Moneyball» aber hervorragendes Kino nicht nur für Sportfans. Ein Film, der sein Genre bei weitem nicht neu erfindet, aber den Blickwinkel verschiebt, einen tiefen Einblick in eine wahre Geschichte bietet und schließlich mit einer atemraubenden Schlussinszenierung aufwartet. Wer als Fan eines großen Sportvereins einmal um den ganz großen Erfolg mitgefiebert hat, weiß um das Gefühl, das einen dabei durchströmt. Allen anderen wird «Moneyball» eine Nachempfindung dafür geben und darüber hinaus zeigen, dass es Menschen mit Mut und Ideen braucht, um neue Impulse zu setzen.

Mehr zum Thema... Hugo Cabret Moneyball The Artist
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