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Die deutsche Serie: ‚Man schaltet ein, um abzuschalten‘

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Was ist dran an der Behauptung, der Markt in den USA sei größer? Wie unterscheidet sich das Publikum dort und hierzulande? «Danni Lowinski»-Erfinder Marc Terjung und «Eine wie keine»-Autorin Isolde Tarrach mit Erklärungsversuchen.

Lesen Sie zum Thema auch den ersten Teil des Specials.

Man kann viele direkte Vergleiche ziehen. Am schlechtesten schneidet die deutsche Serie wohl ab, wenn man «Verschollen» und «Lost» einander gegenüberstellt. Die amerikanische Serie hatte neben einem hohen Budget und hervorragenden Darstellern vor allem ein klares Thema, spannende Erzählstränge und faszinierende wie klar entworfene Charaktere, deren Konflikte man sehen wollte, während man die Zuschauer durch einen Plot-Twist nach dem nächsten jagte, in denen die Art, wie erzählt wurde (Flashbacks, Flashforwards, „Flashsideways“), häufig eingebunden war. Das deutsche «Verschollen» war dagegen schlicht eine weitere Soap, die man eben auf eine Insel gepackt hat und die ohne jegliche narrative Neuerung oder Spielerei auskam. Erzählt wurden die üblichen Geschichtchen um Liebschaften und Vertrauensbrüche, die man genauso auch bei «GZSZ» hätte sehen können – mit Charakteren, die völlig ohne Charisma entworfen waren.

«Lost» und «Verschollen» waren unabhängig voneinander entstanden – doch die Gegenüberstellung dieser zwei Serien zeigt, wie weit doch die Kluft der Ansprüche ans Fernsehen in Deutschland und den USA auseinanderklafft. Um es mit Marc Terjung zu sagen: „Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der amerikanischen und deutschen Serie liegt in der Erwartung des Publikums begründet. Standardfloskel bei uns: ,Man schaltet ein, um abzuschalten.'“ Hierzulande funktioniert die Serie als „Ablenkung vom Alltag“ und nicht wie in den USA als „Hinwendung zum Spektakulären“. „Kann man aber ändern. Man kann von der Serie mehr erwarten,“ sagte Terjung weiter. „Wir arbeiten dran.“

Vergleicht man etwa «Stromberg» mit dem britischen Original «The Office» (Foto) oder der amerikanischen Version, die unter demselben Namen läuft, sieht man, dass es auch verschiedene lokale Versionen einer Serie ohne einen qualitativen Verfall gibt. «Stromberg» und die «The Office»-Serien bewegen sich etwa auf dem gleichen Niveau, wenn es natürlich auch regionale Unterschiede gibt, die sich dann in einzelnen Präferenzen niederschlagen, welche aber eher geschmacklicher Natur sind (Das britische «The Office» ist deutlich derber als unser machthungriger «Stromberg»; in der US-Version ist dagegen die Punchline-Dichte höher als in Deutschland oder England).

Bis auf wenige Ausnahmen handelt es sich bei den hochwertigen deutschen Serien um Adaptionen von Formaten, die bereits anderswo erfolgreich waren. „Bevor man sich hier traut, ein neues Format auf den Weg zu bringen, muss es so oder so ähnlich schon im Ausland erfolgreich gewesen sein“, erläuterte Isolde Tarrach gegenüber Quotenmeter.de. Doch eine gewisse Ambition scheint in Deutschland doch vorhanden zu sein, gab doch der designierte ZDF-Intendant Thomas Bellut vor einigen Monaten deutlich zu verstehen, dass er sich vom baldigen Vorabends-TV-Lab ein deutsches «Two and a Half Men» erhofft. Bleibt abzuwarten, ob dieser Versuch nicht einfach darin enden wird, schlicht die grundlegende Prämisse zu übernehmen und mit selbstgeschriebenen Gags aufzufüllen.

Das Problem scheint sich auf einen einfachen Nenner herunterbrechen zu lassen: Eigentlich will man ja innovativ sein, aber man traut sich nicht. Und dadurch, dass man es erst wagt, eine neue Serie auf den Weg zu bringen, wenn man als Referenz schon einen Erfolg im Ausland vorweisen kann, entsteht ein Teufelskreis, aus dem es zu gefährlich scheint, auszubrechen.

Die renommierte Dramaturgiedozentin und Drehbuchlektorin Vivien Bronner schreibt in ihrem 2004 veröffentlichten Ratgeberhandbuch „Schreiben fürs Fernsehen“ ganz offen, dass sie ihren Lesern davon abrät, eine Serie im Stil von «24» oder «Murder One» zu schreiben (wäre das Buch erst kürzlich erschienen, ist es wahrscheinlich, dass sie als weitere Beispiele auch «Mad Men» und «In Treatment» angeführt hätte): „Solche Serien werden immer Ausnahmen sein und vermutlich nicht in Deutschland produziert werden.“

Keine rosige Zukunft also, die man den möglichen Entwicklern innovativer Formate für das deutsche Fernsehen so in Aussicht stellt.

«Danni Lowinski» scheint schon der Gipfel an Neuerung zu sein, die die deutschen Programmmacher noch für wettbewerbsfähig halten. Eine Anwaltsserie, die mit dem Klischee des reichen Advokaten bricht, ist das Maximum, was man dem hiesigen Publikum zutraut. Auf den Erfolg seiner Sendung angesprochen, die auch den außerordentlich seltenen Sprung zu einer US-Pilotierung geschafft hat, antwortete Marc Terjung: „«Danni Lowinski» ist ein gutes Konzept. Eine Anwaltsserie, gewohntes Genre, mit einer Neuerung, eben dass die Anwältin im Einkaufszentrum sitzt. So ein Konzept ist international verkaufbar. Für die USA auch deshalb interessant, weil es in die Zeit der Wirtschaftskrise passt. Alles entsteht, weil man keinen Job kriegt.“

Isolde Tarrach gab sich hinsichtlich der Vorzeichen, unter denen ein derartiges Konzept schon in Deutschland steht, pessimistischer: „Eine Serie über eine naive Anwältin, die ein bisschen prollig daherkommt, mehr Herz als juristische Kenntnisse hat und einen Euro pro Minute nimmt, wäre bei den meisten Sendern abgelehnt worden, weil es nicht dem Klischee einer Anwaltsserie entspricht. Leider fehlt bei Programmentscheidern oft die Phantasie, die über ihre eigene Lebenswirklichkeit hinausgeht. Und deshalb ist unser TV-Programm eben so, wie es ist.“

Ein deutsches «Twin Peaks» hält dagegen auch Marc Terjung für nicht durchführbar. „Die Zielgruppe ist zu klein.“ Womit wir bei der prominentesten Verteidigung der Programmverantwortlichen für diese Art der Programmierung wären, die Neuerungen im Serienbereich weitgehend unterbindet und eher auf eingekaufte Formate aus dem Ausland setzt. In Amerika könne man viel mehr auf Innovation setzen, so die Argumentation, da der Markt größer ist und sich selbst für eine ambitionierte Serie, die mit bestehenden Sehgewohnheiten bricht, noch genügend Zuschauer finden, für die man Werbung schalten kann und also eine solche Programmierung rechtfertigen. Zudem könne man US-Serien eben weltweit vermarkten.

Doch Deutschland ist mit seinen 82 Millionen Einwohnern deutlich bevölkerungsreicher als Großbritannien (ca. 60 Millionen), wo die Serienlandschaft schon deutlich anspruchsvoller und vielseitiger ausfällt als hierzulande. Vom kleinen Israel mit seinen sechs Millionen Einwohnern mal ganz zu schweigen – dennoch schaffen es TV-Produktionen dieses kleinen Landes regelmäßig in die Pipeline amerikanischer Studios und Fernsehsender, während der ungleich größere deutsche Markt mit der kleinen Ausnahme von «Danni Lowinski» in den USA keinerlei Beachtung findet. Weil man den Mut hat, Dinge auszuprobieren, und durch hervorragende Qualität etwas zum Weltmarkt beitragen kann.

„Weil die Serien dort besser sind.“ Und das liegt zu einem beträchtlichen Anteil an zwei Dingen: erstens daran, dass in all diesen Ländern deutlich experimentierfreudiger mit dem Medium Fernsehen und der Gattung Serie umgegangen wird; und zweitens daran, dass der Großteil deutscher Serienproduktionen massive handwerkliche Mängel aufweist, die es in dieser Form in England oder den USA nie auf den Schirm schaffen würden. Von Isolde Tarrach kommen klare Worte: „Warum sollte man im US-Fernsehen den «Landarzt» oder den «Bergdoktor» adaptieren, wenn man «Grey's Anatomy» oder «Dr. House» hat? Und wenn's ganz eng werden sollte auf dem US-Markt, dann ist eine x-te Wiederholung von «ER» immer noch spannender und besser erzählt.

Und abgesehen davon – was sollte man aus Deutschland denn adaptieren? Es gibt auf dem deutschen Markt keine Innovationen. «Doctor's Diary»? Das ist zweifelsohne eine gute Serie, aber es ist Bridget Jones im Krankenhaus.“

Es ist also wirklich auch die mangelnde Qualität, die der deutschen Serie einen Sprung nach Amerika unmöglich macht. Denn der «Bergdoktor» ist die Regel, «Türkisch für Anfänger» oder «Ijon Tichy - Raumpilot» die absolute Ausnahme. Und am «Bergdoktor» sieht man sehr schön, mit welchen handwerklichen Mängeln man so zu kämpfen hat und mit denen man sich in den USA und im Vereinigten Königreich schlicht lächerlich machen würde: unzureichende Spannungsbögen, schwammig entworfene Charaktere, berechnender Kitsch, völlig unglaubwürdige Verwicklungen und insgesamt wenig dramaturgisches Verständnis.

Hoffentlich arbeitet man weiter dran.

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