Martin Scorsese ist einer der am meisten verehrten Regisseure unserer Zeit. In den Siebzigern war er Teil der New-Hollywood-Bewegung, und während viele seiner Kollegen der Trivialität oder dem Kommerz anheim fielen, kann sich Scorsese nahezu ungebrochen der Zuneigung von Kritikern und Cineasten erfreuen. Oft beschäftigte sich der Meisterregisseur damit, einen unbeschönigten Blick auf das gewaltsame Amerika zu werfen. Man denke nur an «Taxi Driver», «GoodFellas» oder «Gangs of New York». Doch Scorsese ist ein Multitalent, das sich auch Komödien, Konzertfilmen, biographischen Dramen und Sportfilmen annahm. Letztlich kann er sich für jede Form des bewegten Bildes erwärmen, was sich am besten in seinem Engagement für die Präservation von Filmen widerspiegelt.
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Aber alles schön der Reihe nach: «Hugo Cabret» beginnt als ein mit Geheimnissen und überwältigenden Schauwerten gespicktes Familienabenteuer, dem eine berückende, manchmal sogar bedrückende Melancholie innewohnt. Der Film handelt vom Waisenjungen Hugo Cabret (Asa Butterfield), der sich im Paris des Jahres 1930 im Gare Montparnasse um die zahlreichen Uhrwerke kümmert und stets auf der Flucht vor dem Waisen schnappenden Inspektor Gustav (Sacha Baron Cohen) befindet. Seit dem Tod seines Vaters hat es sich Hugo zur Lebensaufgabe gemacht, eine komplexe Aufziehfigur zu reparieren, wozu er immer wieder Kleinteile bei einem gefrusteten Spielzeugmacher (Ben Kingsley) klaut.
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So ist er für Kinder, die Scorsese mit seinem neusten Werk augenscheinlich ansprechen möchte, zu grüblerisch, während die zahlreichen, unbedeutsamen Comedy-Nebenplots in ihrer zeitraubenden Ausführlichkeit dem älteren Zuschauer einige Nerven kosten könnten. Trotzdem lässt sich «Hugo Cabret» anfangs als ungewöhnlicher „atmosphere and style over substance“-Film akzeptieren, dessen potentiell gehaltvolle Geschichte durch die kolossale Inszenierung untergeht.
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Die Botschaft, wie kulturell bedeutsam die Filmpräservierung sei, und dass auch rein dem Eskapismus gewidmete Filme die Träume großer Künstler einfangen, vermittelt Scorsese nicht mit einem behänden Zauber, sondern mit erhobenem Zeigefinger. Kinobegeisterte Zuschauer werden sich von der Passion dieses Lobliedes mitreißen lassen und eventuell sogar noch ein paar interessante Details über die ersten großen Effektfilme lernen. Trotzdem kann «Hugo Cabret», sobald diese Richtung eingeschlagen ist, nicht diesen überdeutlichen Geschmack abstreifen, dass ein Werbefilm für Scorseses Filmbewahrungsorganisation in das zuvor begonnene Familienabenteuer einfiel. Ist die cineastische Lehrstunde erst beendet, werden die ursprünglichen Erzählstränge wiederum mit einer solchen Hast zum Abschluss gebracht, dass es fast einem narrativen Betrug gleichkommt.
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Die thematische Zweigleisigkeit von «Hugo Cabret» ist zwar auch der Kinderbuchvorlage geschuldet, allerdings ist es Regisseur Martin Scorsese, der alles andere bei Seite schiebt, sobald er bei seinem Lieblingsthema angelangt. Somit ist es nicht die Schuld des Jugendbuchautors Brian Selznick, dass auf Grundlage seiner Idee ein Film wurde, der technisch brilliert und ein Herz fürs Kino hat. Jedoch vergisst er, seiner eigenen Geschichte nachhaltig Leben einzuhauchen.