Hingeschaut

«Stuckrad»: Wenn Late-Night experimentiert

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Die erste Folge der neuen Staffel von «Stuckrad Late Night» lief am Donnerstag. Wir haben hingeschaut.

In Benjamin von Stuckrad-Barres vielleicht bestem Roman „Soloalbum“ gibt es einen interessanten Satz: „Es hat keinen Zweck, das merke ich, und das stachelt meinen Ehrgeiz an.“ Stuckrad-Barre weiß, wovon er schreibt – er geht mit seiner neuen ZDFneo-Show «Stuckrad Late Night» in direkter Konkurrenz zu Harald Schmidt und Stefan Raab auf Sendung, am späten Donnerstagabend nach 23.15 Uhr. Eigentlich bringt es wenig, an diesem Wochentag, zu dieser Tageszeit, gegen die beiden Spätabend-Großmeister anzutreten und irgendwelche jungen Fernsehzuschauer ansprechen zu wollen. Aber Stuckrad-Barre beweist Ehrgeiz – und müsste mit seiner Sendung wirklich gut sein, um sich ansatzweise am Donnerstagabend zu etablieren.

Joko und Klaas, die vor «Stuckrad Late Night» senden, haben dies zumindest halbwegs geschafft. Inhaltlich bewegen sie sich auf Top-Niveau, auch wenn die Quote nicht stimmt. Diese ist bei ZDFneo ohnehin nicht allzu wichtig. Sendungen wie «neoParadise» sind Prestige-Projekte, die im Internet eine Fangemeinde haben und dem Sender helfen, sein Image zu formen. Und sie sind zunächst einmal nicht dazu da, gute Einschaltquoten zu generieren. Pop-Literat Stuckrad darf sich also austoben. Ein Dilemma ist dies deswegen, weil es nicht nur darf, sondern eigentlich muss – um sich eben gegen Schmidt und Raab abzugrenzen.

Trotz des Showtitels, der auf das klassische Late-Night-Genre anspricht, konterkariert die Sendung optisch genau dessen Konzept: Statt in einer Wohlfühl-Atmosphäre und dem TV-Zuhause wird der Zuschauer in einem kühl-blauen Studio empfangen, minimalistisch mit abstrakten Quadern dekoriert. Übrigens war dies in Staffel eins von «Stuckrad Late Night» noch nicht so; damals hielt ein eher klassisches Studio her. Ist die neue Studiodeko also dem knappen Budget geschuldet? Oder bewusste Programmatik: Steckt hinter dem Format vielleicht eine Late-Night-Sendung, die ihr Genre dekonstruiert?

Dass Stuckrad mit Konventionen brechen will, zeigt sich schon zu Beginn: Nach der furchtbaren gesanglichen Interpretation eines Schlagersongs nimmt der Schriftsteller an seinem quadratischen Schreibtisch platzt. Und zündet sich erst einmal eine Zigarette an. Später gibt’s mit Studiogast Michael Glos (CSU-Politiker) ein Gläschen Wein. Der Plausch mit dem Ex-Wirtschaftsminister gestaltet sich belanglos, politiklos, gut. Drei Prüfungen muss Michael Glos in der Sendung bestehen, unter anderem eine Clipshow mit vernichtenden Aussagen politischer Kollegen gegen ihn ansehen, während er selbst auf dem Stepper schwitzt. Später muss er als fiktiver Außenminister auf Englisch Finanzfragen beantworten. Das alles ist nur zeitweise unterhaltsam, aber aufgrund der Inkompatibilität mit dem Late-Night-Genre sehr interessantes Fernsehen.

Auch die Thematisierung der aktuellen Ereignisse geschieht anders als bei der klassischen Konkurrenz: Glos und Stuckrad-Barre fordern Studiopublikum und Zuschauer auf, die Augen zu schließen. Beide lesen dann zu meditativer Musik wahllos Bildunterschriften aus Zeitungen der letzten Tage vor. Von Boulevard bis Bürgerrechte – alles ist vertreten, alles regt zum Nachdenken an. Denn Tagesaktualität wird nicht zum üblichen Gag-Brei verarbeitet, sondern bleibt im akustischen Raum stehen, leer und unkommentiert. Allein die vorgelesenen Bildunterschriften veranlassen aufgrund ihrer teilweisen Skurrilität zum Lachen. Und führen vor Augen, dass viele Weltnachrichten schon lächerlich genug sind und eine komödiantische Aufbereitung gar nicht brauchen. All dies trieft vor Zynismus, ebenso wie die Aktionen mit Michael Glos, den Stuckrad nicht ernst nehmen will.

«Stuckrad» ist also Late-Night, aber umgestülpt: Mal verschwindet der Moderator aus dem Bild, um eine Flasche Sekt zu holen, dann bezirzt eine ehemalige «Topmodel»-Kandidatin den Gast in einer skurrilen Szene. Das kühle Studio ist quasi Anti-Late-Night, den sonst obligatorischen Stand-Up gibt es gar nicht mehr. Diese Show hat nun experimentellen Charakter, ihr einziger Anhaltspunkt (auch zur ersten Staffel) ist die politische Komponente: Neben dem Studiogast, der mit Glos ein ehemaliger Spitzenpolitiker ist, kommentieren wie in der ersten Staffel der Publizist Hajo Schumacher und der CDU-Mann Jörg Schönbohm das Geschehen, als personifizierte Waldorf und Statler des linken und rechten politischen Lagers.

Vielleicht hat es – wie Stuckrad-Barre einst schrieb – wirklich keinen Zweck, gegen Schmidt und Raab anzutreten. Daher tut er das mit seiner Sendung auch gar nicht erst und präsentiert ein Format, das Late-Night zwar nur ansatzweise dekonstruiert, aber größtenteils einfach anders interpretiert als die Konkurrenz. Er schafft deswegen zumindest eines mit seiner neuen Show: dieser eine Daseinsberechtigung zu verleihen, denn sie ist wirklich anders als der Rest. Damit «Stuckrad Late Night» aber echte Relevanz bekommt, muss sie noch mehr Regeln brechen.

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