Popcorn & Rollenwechsel

Filmverschlinger

von

Einen Filmkenner erkennt man doch daran, dass er sich viele Filme anguckt. Nicht wahr?

Wohl jeder hat mindestens einen Bekannten, der zwei bis drei Filme am Tag schaut. Aber würden wir auch jeden dieser über den Laptop gekrümmten Filmverschlinger als Filmkenner bezeichnen? Dieser Bekannte, der irgendwie nahezu jeden Film zu gesehen haben scheint, kennt kaum einen Darsteller beim Namen. Und von Regisseuren hat er sowieso keine Ahnung. Alles, was er sich ansieht, findet er entweder „krass“, „joah“ oder „verfickt langweilig“. Ein differenzierteres Wertungssystem kennt er nicht, und um fundierte Begründungen braucht man ihn gar nicht erst zu bitten. Denn meistens hat er eh schon längst wieder vergessen, worum es in dem Film eigentlich ging:
„Und, haste das Ding endlich gesehen? Wie war der Streifen denn nun?“
-„Pfff, keine Ahnung. Hab den nicht so ganz kapiert.“
„Alter! Wir reden hier von «Transformers 3» und nicht von «Donnie Darko», oder wie das Teil mit dem Horrorhasen heißt!“
-„Joah, hab halt' noch «Modern Warfare 3» gezockt, wenn nicht gerade die Ische zu sehen war oder der Truck die Anderen vermöbelt hat ...“

Die schiere Menge an „gesehenen“ Filmen ist ein schlechter Messgrad dafür, ob jemand Filmfan ist oder nicht. Insbesondere in einer Zeit und Gesellschaft, in der sich jeder ganz nach Bedarf (ob legal oder illegal) mit ihnen eindecken kann. Wenn es im Alltag hundert Minuten totzuschlagen gilt, wird sich schnell ein Film reingezogen. Das ist zwar eine hübsche Freizeitbeschäftigung, einen Filmkenner formt das jedoch nur bedingt. Was, so scheint es zumindest, bei vielen Leuten bloß nicht so wirklich ankommt. Kurioserweise aber nur im Bezug auf Filme. Dank MP3-Playern ist der Alltag vieler mittlerweile von Musik überflutet. Aber wer von den vielen mit Kopfhörern im Ohr steckenden Bus- und Bahnfahrern würde sich schon als Musikexperte bezeichnen? Wer in der Mittagspause «Angry Birds» spielt und zweimal im Monat mit Freunden die Wii oder Kinect für eine kleine, körperlich leicht anstrengende Videospiel-Session entstaubt, kommt auch nicht auf die Idee, sich deshalb als Zocker-Nerd zu bezeichnen.

Wenn es also nicht die Masse der gesehenen Filme ist, was macht einen dann zum Filmfan? Etwas das Wissen über Schauspieler, Regisseure und Co.? Muss man jeden Schauspieler sofort wieder erkennen und bei jedem blind die komplette Filmographie aufzählen können? Gewiss, wer sich sehr für Kino interessiert, wird zwangsweise über kurz oder lang genug Kenntnisse erlangen, um seine Freunde bei Trivial Pursuit und ähnlichem in den Filmfragen abzuziehen. Trotzdem, ist es nicht auch etwas viel verlangt, sämtliche Academy-Award-Gewinner aufzählen zu können, darstellerische Chamäleons auch unter der dicksten Schminke zu erkennen und den Liedtext von „Somewhere Over the Rainbow“ in siebzehn Sprachen drauf zu haben?

Letztlich geht es nicht darum, alles zu wissen und alles gesehen zu haben. Selbstredend ist es für einen Filmliebhaber letztlich „Pflicht“, sich gut auszukennen und sich möglichst viele Kleinode und Meisterwerke anzuschauen. Aber es geht zu einem sehr großen Teil auch um die Einstellung. Kino kann eine Freizeitbeschäftigung sein. Vollkommen legitim, es ist ja auch nicht jeder, der den Fernseher anschmeißt gleich ein TV-Experte. Kino kann aber auch Leidenschaft sein. Das bedeutet unter anderem: Frust über schlechte Filme, Freude über besonders gute. Das aufmerksame Verfolgen eines Films, interessiertes Aufsaugen der Informationen über Filmschaffende, die einem wichtig sind. Kleine Rituale, die mit dem eigenen Hobby verbunden sind. Und ja, ein richtiger Filmliebhaber darf wichtige Kinobesuche oder DVD-Sichtungen gerne auch aufschieben. Was bringt es, mitten in der Woche «Drive» oder «Hugo Cabret» hastig zwischen Arzttermin und Chorprobe reinzuquetschen, und während des Kinogangs noch per SMS den Geburtstag eines Freundes planen zu müssen?

Wer Film als Hobby hat, und nicht bloß zum Zeittotschlagen gebraucht, will seinem geliebten Steckenpferd auch etwas Raum zur Entfaltung gönnen. Damit es nun mal nicht so endet, wie bei unserem Bekannten, der nicht einmal genug Energie aufbringen wollte, um «Transformers 3» folgen zu können.

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