
Eins ist also klar: Comics werden nicht mehr nur als Kinderkram abgestempelt, mit denen Erwachsene keinen Spaß finden können. Mit dem Einzug der DC- und Marvelhelden in die Lichtspielhäuser verbreitete sich auch die Akzeptanz, dass Comics alles andere als nur Kindergeschichten bieten. Kevin Smith, bekannt als Regisseur von Filmen wie «Dogma» oder «Jersey Girl» und als die dickere und bärtige Hälfte von Jay und Silent Bob, ist selbst ein Comic-Geek erster Güte. Und er ist stolz darauf. Geek-Diskussionen unter Smith gab es schon in seinem Debut «Clerks», und sie setzten sich mit einem Comic-betonten «Chasing Amy» fort, welcher von einer Liebesgeschichte zweier Comicautoren erzählt. Und nicht zu vergessen ist der Auftritt von Silent Bob als Batman in «Mallrats», der am Ende mit seinem Kopf in der Frauenumkleidekabine landete.
Kurz: Kevin Smith liebt Comics, und er tut alles, um seine Liebe für die Tafelbilder und die Sprechblasen an die ganze Welt weiterzugeben. Im Februar 2007 veröffentlichte Smith zusammen mit seinem Produktionspartner Scott Mosier die erste Ausgabe des „SModcast“ – ein Podcast über alles Mögliche, über was die beiden Herrschaften für eine Stunde reden wollten. Das führte zur Kreation eines kompletten SModcast-Kanals, der inzwischen Dutzende verschiedene Podcast-Serien beinhaltet (in denen Smith seine Freunde einlädt, und hin und wieder zusammen mit Jason Mewes, alias Jay, und seine Frau Jennifer Schwalbach podcastet) und heute sogar eine eigene Internetradiostation in Amerika hat. Nun will Smith seine Liebe für die Comics auch ins Fernsehen bringen. Die Realityserie «Comic Book Men» findet seinen Einsatz als Lead-out zu «The Walking Dead» auf AMC. Damit will der Kabelkanal erreichen, dass «The Walking Dead» als Zuschauermagnet (am Sonntag wurde erneut der Kabelrekord in der Zielgruppe geknackt) auch einen positiven Quoteneinfluss auf sein Nachfolgeprogramm hat. Warum also nicht der Einsatz einer speziellen Comicsendung, nachdem schon «The Walking Dead» auf eine Comicserie basiert?

Hinzu kommt, dass «Comic Book Men» die Klischees von sich gibt, die allgemein betrachtet das Comicbusiness nicht gerade rosig aussehen lassen. Vor allem Bryan Johnson könnte als „Problemkind“ angesehen werden, da er einfach zu rücksichtslos ist. Auch wenn seine scharfen Hiebe gegen Mitarbeiter Ming Chen freundlich gemeint sind, gehen die Witze gerne unter die Gürtellinie, und könnten es sogar als Bully-Story in eine «Glee»-Episode schaffen. Hinzu kommt, dass die Besitzer des Comicladens mit ihren Kunden (und deren Sammlerstücken) auch nicht gerade freundlich umgehen. «Comic Book Men» glänzt nicht umsonst mit der Abwesenheit von Frauen im Titel (und zunächst auch im Laden), doch sobald die erste Frau den Laden betritt und eine Chucky-Puppe (ja, die Mörderpuppe aus dem Horrorkomödien-Franchise) an den Mann bringen will, wird sich eher über das Verhalten der Frau lustig gemacht, als den „Ernst“ der Situation zu sehen. Die Episode hatte sogar die Chance, mit Hilfe der Chucky-Puppe und ihrer Besitzerin über den Sinn und Unsinn des Horrors in den Filmen zu diskutieren (und damit auch Themen außerhalb der Comics anzugreifen), doch für mehr als eine Nennung des Problems hat es nicht gereicht.

«Comic Book Men» fehlt es an Comics. Und weiblichen Comic-Fans (Kevin Smith antwortete auf dieses offensichtliche Problem mit „Eins nach dem anderen“). In dieser Form wäre die Serie sicherlich auf einem der kleineren Kabelsendern untergekommen, wo sie zusammen mit anderen Dokumentations- und Realityshows hätte ausgestrahlt werden können. Aber mit «The Walking Dead» als Zugführer, sowie der Tatsache, dass die Ausstrahlung nunmal auf AMC folgte, darf man durchaus enttäuscht auf den Start zurückblicken. Wenn es nicht mal die Premiere schafft, auf Comics, ihre Leser, die einzelnen Franchises (die Superhelden), oder die Geschichte der einzelnen Comicserien einzugehen, wie sieht dann der Rest der Staffel aus? Roundtable-Diskussionen (wie die Schnitte in die Podcast-Diskussion, die zusammen mit den Episoden im SModcast veröffentlicht werden) mit den größten Comic-Nerds in New Jersey alleine reichen nicht aus. Immerhin sind Comicfans die Zielgruppe des Formats, und die lassen sich nicht mit den manchmal kruden Lebensgeschichten der Comicladenbesitzer abspeisen.

In Zukunft wird es deshalb mehrere Comic-Formate im Fernsehen geben. FX arbeitet zur Zeit am Piloten von «Powers» und FOX hat sich die Rechte an den „Punisher“- und „The Spectre“-Comics gesichert (nachdem sie «Locke & Key» nicht zur Serie bestellten). «Twilight»-Autorin Melissa Rosenberg arbeitet an einer TV-Adaption von „Alias“, welche die Marvel-Privatdetektivin Jessica Jones ins Zentrum des Geschehens stellt, während Marvel allgemein stärker im Serien-Geschäft verwickelt sein möchte (eine neue «Hulk»-Serie ist im Gespräch). Im Sommer 2011 kündigte Showtime eine Adaption von „100 Bullets“ an, während auf The CW die Pläne für eine „Green Arrow“- und „Deadman“-Serie heiß laufen («Arrow» wurde in diesem Jahr als Pilot bestellt und könnte es im Herbst 2012 ins Programm schaffen).
Wenn «Comic Book Men» es also tatsächlich auf langer Hinsicht schafft, Comics eine Zielgruppe im Fernsehen zu geben, dann besteht auch die Chance, dass es die Comicverfilmungen bald auch als TV-Serien zu sehen gibt. Wünschenswert wäre es – vor allem für Comicfans, die mehr wollen als nur ihre ungefähr fünf Filme pro Jahr. Und vielleicht gelingt es Kevin Smith auch hin und wieder über die Comics außerhalb des Superhelden-Genres zu reden. Es gibt immerhin nicht nur die Fledermaus, die Spinne, die Mutanten, und die fantastischen Vier. Im Bereich der Indie-Comics gibt es hunderte von nennenswerten Comics, meistens Dramen oder Coming-of-Age-Geschichten mit autobiografischen Zügen, die durchaus Aufmerksamkeit verdient haben. Comics müssen nicht nur Superhelden, Fantasy oder Horror beinhalten. Und so lange «Comic Book Men» diese Comics nicht vergisst, ist die Existenz der neuen Realityserie durchaus zu verteidigen. Allerdings sollte sie allgemein ein wenig besser und interessanter sein, um zu unterhalten.