You Are Cancelled

«Invasion»

von
Über das Alieninvasionsspektakel, welches weder in den USA noch in Deutschland erfolgreich lief.

Die Pilot Season ist im vollen Gange, und nicht nur TV-erprobte Darsteller bekommen einen neuen Job. Auch Showrunner, die mit ihren vorherigen Serien gefloppt sind, bekommen weitere Chancen eingeräumt, sich im Business zu versuchen. Auf NBC gibt es mit Bryan Fuller und Shaun Cassidy gleich zwei Namen, die vor ihren Serienbestellungen mit Flops aufgewartet sind, mit neuen Projekten. Heute soll „You are Cancelled“ sich mit Shaun Cassidy beschäftigen, der mit dem Westerndrama «The Frontier» auf NBC ein Zuhause gefunden hat. Mit Thomas Schlamme («The West Wing») auf dem Regiestuhl wird «The Frontier» die Geschichte von ungleichen Reisenden erzählen, die im frühen 19. Jahrhundert quer durch den Westen auf einem Pfad des Abenteuers spazieren gehen und dabei hinter jeder Ecke sich einer Bedrohung stellen müssen. «The Frontier» ist jedoch nicht Cassidys erste Serienarbeit. Er ist noch nicht mal ein Unbekannter dieser Reihe. Der Sohn der Oscargewinnerin Shirley Jones hatte 1995 schon das Horrordrama «American Gothic» zu verantworten, welches nach einer Staffel vorzeitig beendet wurde. Zehn Jahre später sollte er sich an ein neues großes Serienprojekt wagen, welches nicht nur den Erfolg von «Lost» kopieren, sondern wenn möglich auch deren Zuschauer an Land ziehen sollte.

«Invasion» ist den Serienfans bekannt: Ein Hurrikan zieht durch Florida und zerstört fast die Kleinstadt Homestead. Die Nachwirkungen des Sturms erweisen sich als zu groß und kompliziert für die Gemeinde, geführt von Sheriff Tom Underlay (William Fichtner), um zügig zum normalen Leben zurückzukehren. Wie sich bald in einem «Invasion of the Body Snatchers»-Twist herausstellt, hausen wasserbasierende Kreaturen in der Umgebung der Kleinstadt, die nach und nach die Körper der Einwohner in einem Klonprozess übernehmen. Dieser Science-Fiction-Part war jedoch nicht das unbedingte Hauptaugenmal von «Invasion». In erster Linie befassten sich die Autoren um Shaun Cassidy mit den Familien der Serie, die in einer nicht angepassten Welt hineingeworfen wurden, und nun versuchen in dieser ihr Leben zurückzugewinnen. Doch in einer Welt nach 9/11 ist es nicht einfach zu akzeptieren, dass der Terror nicht nur aus dem Ausland kommt, sondern auch von oben, unten, und gewissermaßen aus dem Nachbarhaus.

«Invasion» hatte schon vor der Serienpremiere am 21. September 2005 seine Probleme, als Hurrikan Katrina 2005 die Südstaaten der USA durchwirbelte. Der ausstrahlende Sender ABC fand sich gezwungen, die Promos der Serie über eine Kleinstadt nach einem Hurrikan einzustellen, und einen neuen Ansatz der Promotion zu finden. Die ABC-Verantwortlichen glaubten, dass die Zuschauer zu sensibel für TV-Promotionen einer fiktionalen Serie waren, die mit einem Hurrikan als Hauptplot herbeikommt. Der neue Ansatz der Bewerbung wurde im Sci-Fi-Aspekt der Serie gefunden. Plötzlich ging es in «Invasion» nicht mehr um die Nachwirkungen eines Hurrikans, sondern eine bevorstehende Alieninvasion, welche sich wenige menschliche Helden gegenüberstellt (in Form von Eddie Cibrian und Tyler Labine). Hinzu kommt, dass die fiktive Stadt in der Serie, Homestead, auf eine wahre Gemeinde in Florida beruht, welche 1992 von Hurrikan Andrew vollständig zerstört wurde, und vor Katrina als kostspieligstes Desaster der US-Geschichte galt.

ABC hat sich entschieden, die Serie nicht auf ein späteres Datum zu verschieben und «Invasion» zusammen mit der zweiten Staffelpremiere von «Lost» am Mittwochabend auszustrahlen. Und die Premiere war durchaus ein Quotenerfolg. Nicht nur die «Lost»-Staffelpremiere um 21 Uhr erreichte einen Rekord mit 23,1 Millionen Zuschauern und einen Marktanteil von 24 Prozent in der Zielgruppe (so erfolgreich war «Lost» einmal im US-Fernsehen!), auch «Invasion» verhalf ABC mit einer Reichweite von 16,9 Millionen und einem Marktanteil von 18 Prozent zum (Zitat ABC-Pressetext) „stärksten Mittwoch einer ersten Woche des neuen TV-Jahres seit 10 Jahren“. Nach der ersten Folge zu urteilen hatte ABC also einen sicheren Hit an der Angel, der hinter «Lost» nicht schlechter hätte platziert werden können. Auch bei den Kritikern hätte «Invasion» nicht besser abschneiden können. Die filmreife Qualität der Pilotfolge gewann die Kritiker genauso über wie William Fichtners Darstellung des unheimlichen Sheriffs mit einem Geheimnis. Allerdings stellte man sich auch die Frage, ob «Invasion» für die „genervten“ [Lost]]-Zuschauer interessant sein wird – vor allem wenn es darum ging, die Geschwindigkeit der Geschichten beider Serien zu vergleichen. Und «Invasion» verlor diesen Vergleich deutlich.

Die Zuschauer haben das offenbar genauso befunden, denn neben den guten Kritiken waren die starken Premierenquoten das einzige, was das kurze Leben von «Invasion» Bedeutung schenken sollte. Vier Prozent der Zielgruppe gingen in der zweiten Woche flöten, weitere zwei Prozent sollten in Woche drei folgen. In der vierten Woche waren nur noch 12 Millionen Zuschauer an der ABC-Invasion interessiert. Der größte Gegner um 22 Uhr war definitiv «Law & Order» auf NBC, welches in den ersten Wochen auch immer geschlagen werden konnte – eine Überraschung für ABC, welches zuvor auf dem selben Sendeplatz Nachrichtenmagazine ausstrahlte, und mit dem Mysterydoppel «Lost» und «Invasion» nun die Konkurrenz angreifen wollte – besonders nachdem das TV-Jahr 2004/2005 für ABC mehr als nur mit einem Happy End endete. Dann kam jedoch die World Series in die Quere, und auf einmal war die Invasion kraftlos in den Nielsen Ratings. Nicht nur sanken die Werte in der Reichweite unter 10 Millionen, auch der Marktanteil war nur einstellig. Obwohl die Quoten sich im November langsam wieder aufrappeln konnten, beschloss ABC «Invasion» Ende November in einen Hiatus zu schicken.

Und viel hat sich in den Quoten nicht getan, als die Serie Mitte November auf dem selben Sendeplatz wieder zurückkehrte. Interessant ist, dass ABC offensichtlich nicht einmal darüber nachgedacht hat, «Invasion» einen neuen Sendeplatz zu geben, nachdem die Serie ihre Zuschauer nach und nach verlor, obwohl «Lost» ihr Lead-in war, welches im Januar 2006 immer noch mehr als 19 Millionen Zuschauer zur Insel locken konnte (und das trotz «American Idol» im Gegenprogramm bei FOX mit mehr als 30 Millionen Zuschauern). «Invasion» zeigte allerdings auch während der Winterolympiade 2006, dass die Zuschauer gehalten werden konnten – mit einem Durchschnitt von mehr als neun Millionen Zuschauern blieb die Reichweite mehr als stabil. Und trotzdem entschied ABC sich für einen weiteren Hiatus der Science-Fiction-Serie. Als die Invasion im April mit «Alias» als Lead-in fortgesetzt wurde (wieder am Mittwochabend um 22 Uhr), war von der Zugkraft der Premiere nichts mehr übrig gewesen; 7 Prozent in der Zielgruppe und rund 7,5 Millionen Zuschauer waren für ABC zu wenig, um dauerhaft von der Serie leben zu können, besonders bei einem Produktionsbudget von 2 Millionen US-Dollar pro Episode.

Noch bevor «Invasion» von ABC offiziell abgesetzt worden war, gab es Gerüchte, dass die Serie eventuell von The CW übernommen werden könnte, welches zum gleichen Zeitpunkt aus WB und UPN entstanden ist. Für den neuen Sender wäre es wichtig gewesen, nicht nur das Serienportfolio der beiden kleineren Sender zu übernehmen, um eine Zuschauerschaft aufzubauen, sondern vielleicht auch die eine oder andere „große“ Serie, um anzukündigen, dass es in der amerikanischen Networklandschaft einen neuen Sender gibt. Für The CW war «Invasion» jedoch zu teuer, weshalb eine Übernahme von Anfang an ausgeschlossen war. Die offizielle Absetzung seitens ABC erfuhr die Serie während der Upfronts im Mai 2006.

In Deutschland kam «Invasion» ebenfalls auf keinen grünen Zweig. Auf ProSieben mit einem unterdurchschnittlichen Marktanteil von 11,1 Prozent am 30. Oktober 2006 gestartet, fielen auch hier die Werte langsam, aber sicher. Immerhin hatte ProSieben den Mut gehabt, «Invasion» auf einem anderen Sendeplatz auszuprobieren, obwohl die Werte sich hier ebenfalls nicht verbesserten. Und auch wenn die Serie sowohl über dem Teich als auch hierzulande kein Quotengarant war, gilt sie doch als eines der gelungeneren Versuche, den Erfolg von «Lost» zu kopieren. Wie ABC jedoch schon 2006 bemerken musste (und heute mit «The River» erneut durchleben muss), ist es fast unmöglich, ein neues «Lost» zu kreieren. Oder zu hoffen, dass eine neue Mysteryserie genauso ein Zuschauermagnet sein kann wie das Inselabenteuer. Offenbar ist nicht nur den Senderbossen nicht klar, dass «Lost» eine „Laune der TV-Natur“ war und der Erfolg nicht mehr wiederholt werden kann. «Invasion» hätte zwar auf Dauer eigenständiger werden können (wenn es denn ein Erfolg gewesen wäre), doch der Großteil der Staffel bestand nun mal darin, genauso mysteriös zu sein wie es das Inselabenteuer zur selben Zeit war. Ohne jedoch auf die Zuschauer zu hören.

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