„Young Adult“ ist eine sehr optimistisch gewählte, fast schon beschönigende Bezeichnung, die sich das englischsprachige Verlagswesen ausdachte, um Jugendbücher besser loszuschlagen. Mit ihren High-School-Romanzen, Teenie-Problemchen, hippen Dialogwechseln sowie den mehrfach wiedergekäuten Liebes- und Lebensweisheiten sprechen diese Heftchen in den „Young Adult“-Buchregalen wohl kaum junge, aufstrebende Erwachsene an. Viel eher haben sie es auf 13- bis 16-jährige Kids abgesehen, für die jeder vor einem Date sprießende Pickel die größte Tragödie der Weltgeschichte darstellt.
Würde man Mavis Gary fragen, wäre „Young Adult“ das adäquate Label, mit dem man ihre Art etikettieren kann. Sie ist attraktiv, auf dem Stand der aktuellen Popkultur, genießt ein ungebundenes Leben in einem eigenen Appartement inmitten von Minneapolis, wickelt jeden Mann um den Finger und ist ständig auf Achse.
Tatsächlich ist „Young Adult“ eine passende Beschreibung für Mavis – wie wohlmeinend sie ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Die Ghostwriterin der „Young Adult“-Buchreihe «Waverly Prep» ist nämlich 37 Jahre alt, frisch geschieden und hat keine umsetzbare Zukunftsperspektive. Tagsüber hängt sie verkatert vor dem Fernseher, erfolglos über neue Ideen für ihre Romanreihe sinnierend. Diese hat ihre Blütezeit aber längst hinter sich gelassen. Abends angelt sich Mavis irgendwelche Typen, denen sie am nächsten Morgen nicht einmal ins Gesicht schauen möchte. Es ist unklar, inwiefern sie sich der Trostlosigkeit ihres Lebensstandards bewusst ist, und inwieweit sie sich schon in ihren Illusionen verirrt hat. Ja, sie ist noch ein „Young Adult“. Aber sie könnte eigentlich längst über diesen Status hinausgewachsen sein.
Mavis' Jugendliebe Buddy Slade hingegen ist über diesen Stand eines „Young Adult“ herausgewachsen. Er hat einen gesicherten Beruf, ist verheiratet und Familienvater. Als Mavis eine E-Mail von Buddy erhält, fasst sie dies als einen Wink des Schicksals auf: Ihre neue Lebensaufgabe sei es, in ihr piefiges Heimatkaff zurückzukehren und dort ihren Traumprinzen aus den kleinbürgerlichen Klauen seiner Spießer-Ehefrau zu befreien. Denn Mavis und Buddy sind füreinander bestimmt – die Anzeichen dafür sind ja wohl unübersehbar. Also packt Mavis ihre sieben Sachen, kehrt unter falschen Vorwänden in ihre alte Heimat zurück und schließt dort eine unfreiwillige Komplizenschaft mit ihrem ehemaligen Mitschüler Matt Freehauf, der die für ihn außerordentlich deprimierende Schulzeit noch immer nicht überwunden hat ...
Der Kritiker- und Publikumserfolg «Juno» bescherte 2008 Ex-Stripperin Diablo Cody einen Academy Award für das beste Original-Drehbuch. Die quirlig-anarchische Geschichte über eine Teenagerschwangerschaft überzeugte mit einem unerwartet leichtgängigen und dennoch angebrachten Umgang mit ihrer heiklen Thematik. Doch die wohl größte Leistung war Codys gekonntes Einfangen jugendlicher Charaktere – sie waren zwar nicht gänzlich aus dem Leben gegriffen, aber die in «Juno» zu sehende Jugend war Teil einer überzeugenden überhöhten Realität. Teenager in anderen Filme sind entweder Relikte einer vorhergegangenen Generation, zu cool, zu brav, zu rebellisch, zu verkrampft ... Cody kreierte in «Juno» dagegen locker-leicht ein stimmiges Bild von Film-Jugendlichen.
Regisseur Jason Reitman brachte damit seinen optimistischsten Film in die Kinos. Sein zuvor veröffentlichtes Langfilmdebüt «Thank You For Smoking», eine clevere Satire über die Tabakindustrie, Anti-Raucherbewegungen und schmutzige PR-Arbeit, sowie der 2009 gestartete und hoch gelobte «Up in the Air» boten beide eine nachdenklichere Grundstimmung und moralisch ambivalentere Figurenzeichnungen. Reitmans jüngste Zusammenarbeit mit Cody lässt sich nun als das harsche Gegenstück zu «Juno» deuten: «Young Adult» ist unerbittlich, missmutig und in seiner Konsequenz atemberaubend.
Die markanten Dialoge aus der Feder Codys, die realistisch scheinen, für das wahre Leben aber zu scharfsinnig durchdacht sind, laufen in dieser so trockenen wie rabenschwarzen Komödie gegen das Riff der trübseligen Wirklichkeit auf. War «Juno» eine liebenswerte Heldin und ihre Filmwelt ein hip-unabhängiges Spiegelbild der unseren, spielt Charlize Theron in «Young Adult» ein Biest, das keinerlei versöhnliche Charakterzüge aufzuweisen hat. Während sich andere Komödien über Menschen am Wendepunkt von Beginn an anschicken, ihre unvollkommenen Protagonisten durch Begegnungen mit besseren Menschen zu läutern, lassen Cody und Reitman dem kümmerlichen Schauspiel genussvoll freien Lauf. Ohne moralisch wertenden, offen erkennbaren Kommentar.
Mit einem erneut gegen seine Sitcom-Fesseln anspielenden Patton Oswalt («King of Queens») in der Rolle eines vom Schicksal gezeichneten Nerds erhält die brillante Theron zudem ein amüsantes, sie ergänzendes Leinwandgegenüber, das gerne die Stimme der Vernunft wäre – aber selbst zu desillusioniert und zu schwach ist, sich gegen die energische Mavis durchzusetzen. Brüchigem Haar und dicken Augenringen zum Trotz strahlt hinter der überfeierten, unsteten und perspektivenarmen Chaotin noch immer eine intelligente sowie wunderschöne, junge Frau hervor. Und diese Kombination macht Mavis zu einer schwer aufzuhaltenden Macht.
Der gewollt spröde, durchgehend stille Humor von «Young Adult» generiert sich vor allem aus dem erschreckenden Realismus des Handlungsverlauf und der Figuren. Man lacht, weil man, ab einem gewissen Stück Wegstrecke in seinem eigenen Leben, Situationen und Charakterzüge wieder erkennt. Oftmals weckt Mavis' Handeln Erinnerungen an eigene Bekannte, was mehrfach für Schadenfreude oder Fremdscham sorgt. Die in nahezu jeder Szene mindestens drei Emotionen gleichzeitig subtil und glaubwürdig aufspielende Theron und ihr versierter Regisseur vermögen es aber, bei allem Schrecken auch Empathie für diese Figur zu erzeugen. Dadurch ist «Young Adult» auch gelegentlich Mitleid erregend, und häufiger, als einem lieb sein dürfte, ruft diese rabenschwarze Komödie Selbstmitleid hervor. Ein wenig Mavis steckt in jedem von uns, und dessen sind sich die Macher von «Young Adult» nur zu bewusst.
Der bereits vierfach Oscar-nominierte Reitman schließt sich somit nicht dem Trend an, Kinogänger mit einem irrsinnigen bösen Spaß zu unterhalten. Schwarze Blockbuster-Komödien wie «Hangover 1 & 2» oder «Bad Teacher» sehen es mit absurd-bitteren Gags auf lauthalses Gelächter ab, doch «Young Adult» hält seinem Publikum ganz gekonnt den (unspektakulären, ernüchternden) Spiegel vor. Zugleich demontieren Reitman und Cody das Genre der Coming-of-Age-Tragikomödie für das „Young Adult“-Publikum, deren Konventionen sich ihre neue Zusammenarbeit borstig widersetzt.
Das hat nichts vom frivolen Chaos der «Hangover»-Jungs, nicht einmal etwas vom irrealen Jux eines «Grosse Pointe Blank». Reitman wildert somit viel eher mit einer unbeirrbaren Bodenständigkeit im Gebiet der Coen-Brüder. Wenn es ihm nicht schon mit «Up in the Air» gelang, so entwächst er also spätestens jetzt den mit «Juno» angesprochenen „Young Adults“.
«Young Adult» ist ab dem 23. Februar in vielen deutschen Kinos zu sehen.