Hingeschaut

Von „Latte Macchiato-Pop“ bis „Gefühle“ hoch drei

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«DSDS» 2012: Wie gut war die erste Top-10-Show? Wir haben hingeschaut.

Es war wieder ein „Super-Samstag“ – zumindest, wenn es nach RTL und den Einschaltquoten geht. Die Kölner sind seit Jahren Meister in Cross-Promotion, was Samstag wieder deutlich wurde: Schon im Opening werden die Jury-Mitglieder wie Boxer angesagt. Der Boxkampf, der als Sandwich-Programm «DSDS» umschloss, wird damit elegant verknüpft. Der Opening-Titel mit allen Mottoshow-Kandidaten gemeinsam macht Lust auf mehr. In den letzten Wochen kratzten andere Castingshows am «DSDS»-Thron, der zumindest auf hohem Niveau Quoten-Kratzer abbekam. Dieter Bohlen macht keinen Hehl daraus und verzichtet nicht auf Seitenhiebe gegen andere Casting-Formate: „«DSDS» ist nicht nur die erfolgreichste, sondern auch die härteste Castingshow (…) so wie das Leben.“ Oder zu einem Kandidaten: „Ich bin einfach Schwein genug (...) Ich wollte nicht, dass Du zu einer anderen Castingshow gehst.“ Kandidat Thomas sagt zweideutig im Einspieler: „Ich habe meinen freien Willen noch nicht verloren…“.

Neben „Grundy“-Produzentin Ute Biernat ist mit Volker Weicker auch einer der erfolgreichsten TV-Regisseure Deutschlands mit an Bord: Weicker inszeniert TV-Formate wie «Die Ultimative Chartshow», «Günter Jauch» oder Sportübertragungen – und kümmerte sich am Samstag nun nicht – wie noch vor zwei Wochen – um den Klitschko-Kampf, sondern um das Casting-Format. TV-Einstellungen mit gelungenen Spielereien wie Schärfenverlagerungen zeigen, dass man in den Kölner MMC-Studios das Handwerk verstanden hat. In den Einspielern vor jedem Kandidaten-Auftritt warten die Zuschauer in gewohnter «DSDS»- und «Supertalent»-Manier nicht lange auf die obligatorischen Herz-Schmerz-Schicksale. Emotional inszeniert sind die „menschelnden“ Geschichten für die Tränendrüse. Geht es nicht auch ohne? O-Töne wie „Ohne Musik würde ich heute nicht mehr leben…“ sind dabei nur eine Facette.

Der „«DSDS»-Fluch“ ist nicht gebannt, sodass leider die Damen gemäß mehr weiblichen Anruferinnen unterrepräsentiert sind. Nicht neu ist auch, dass Privatsender von Werbung leben und Sonderwerbeformen wie Product-Placement nutzen. Aber muss es so auffällig sein wie in der vergangenen Show? Ein Autohersteller mit dem fast insolvent gegangenen Blitz ist nicht nur Hauptsponsor der Show, sondern freut sich diesmal über Product-Placement, worauf die Zuschauer pflichtgemäß in Einblendungen hingewiesen werden. Auch bei «Germanys Next Topmodel» bei ProSieben wirbt die Auto-Marke um junge Käufer. In einem Einspieler fahren die zehn Finalisten mit den besagten Autos zu Bohlens Tonstudio, um einen eingängigen Werbesong einzusingen. Mehrere Marken-Nennungen in der MAZ sowie live in An- und Ab-Moderation dürfen natürlich nicht fehlen. Ein geschickter Schachzug der Media-Abteilung und des Werbepartners, der vor kurzem noch vor der Pleite stand.

Reich an Unterhaltungswert ist dagegen die aktuelle «DSDS»-Jury als die beste aller bisheriger Staffeln: Der selbst ernannte „Bundesgesangspräsident“, Dieter Bohlen, mit den ehrlich, markanten Jury-Urteilen ist unabdingbar und hat Musikkompetenz – so auch Neuzugang Natalie Horler mit ihrem weiblichen Charme. Mit Cascada ist sie dank Hits wie „Evacuate The Dancefloor“ ein Welt-Star. Aber was befähigt Bruce Darnell als ehemaligen Lauftrainer von «Germany’s Next Topmodel» bei einem Gesangswettbewerb kompetente Urteile abzugeben?

Die Kritik, bei «DSDS» gehe es gar nicht um Stimme, wird weiter untermauert. Bereits in der «Supertalent»-Jury vergoss Bruce Darnell emotional Tränen und suchte das beste Talent. Bei «DSDS» zählt aber das musikalische Talent. Trotzdem tut Bruce Darnell der Jury erstaunlich gut – überraschenderweise ohne großartige Musikkompetenz. Mit Sprüchen wie „Gefühle, Gefühle, Gefühle“, einer spontanen Tanzeinlage während des Live-Auftritts einer Kandidatin, das amüsante Steigen auf den Jury-Tisch oder einem – oder eher mehrerer – Tränenausbrüche. Kaum ein anderer Juror zuvor, agierte so aktiv mit dem Studio-Publikum mit O-Tönen wie: „Ich hab´ Euch lieb, aber ich muss meinen Job machen…“. Teils ist Darnells Art zu überdreht und gestellt. Dennoch steigt der Unterhaltungswert - nicht zuletzt dank lustiger Versprecher. Also „Dreimal Ja!“ – einem leider schon inflationär benutzten Jury-Ausspruch. Dass aber nicht alle Kandidaten ein „Ja“ bekommen können, erkannte die Jury etwas zu spät, sodass es fast wie abgesprochen erscheint, als während der Live-Show darüber ein vermeintlicher Jury-Konflikt entsteht. Dennoch: Diese interaktive Kombination der Jury steht dem Format gut, so wie nie zuvor.

„Wenn´s mal wieder etwas länger dauert“ – dies trifft leider auf die Entscheidungsshow zu. Marco Schreyl begrüßt die Zuschauer mit dem Versprechen, es solle eine ähnlich schnelle Entscheidung wie beim zuvor gesendeten K.O.-Boxkampf geben. Eine kreative Überleitung, wenn sie denn stimmen würde. Als Spaßverderber zu später Stunde zeigt sich der deutsche Jugendschutz und deckt die Tücken so junger Kandidaten auf: Vier von zehn Kandidaten dürfen bei der Entscheidung nicht mehr auf der Bühne stehen. Geschickt wird dieses Problem gelöst: So war die junge Favoritin Fabienne nach 22 Uhr auf einem eigenen Bildschirm zwischen den Kandidaten virtuell zu sehen und saß nach Mitternacht mit drei weiteren minderjährigen Kandidaten im Publikum. Auch der zweite Teil des Product-Placements mit der Performance des Auto-Werbe-Songs ist - dem Jugendschutz nach Mitternacht entsprechend - aufgezeichnet und sicherheitshalber Playback. Nachdem es in der vergangenen Woche leichte technische Probleme mit den Voting-Bauchbinden gab, reagierte der Bildmischer diesmal während einiger Voting-Verkündungen teils langsam: Beispielsweise, als bei Top 9-Kandidatin Silvia zwar korrekt auf die Totale geschnitten ist, ärgerlicherweise aber Moderator Marco Schreyl direkt vor ihr im Bild stand, bevor dann erst zu spät richtigerweise auf ihre Reaktion close umgeschnitten wurde.

Als die Entscheidung unter den letzten drei Kandidaten ansteht, folgt ein letzter Werbeblock mit einem peinlichen Fehler: Obwohl schon sieben der zehn „DSDS“-Kandidaten offiziell in der zweiten Motto-Show sind und das Voting bereits mit einem 60-Sekunden-Countdown feierlich beendet wurde, ruft ein Voting-Trailer zum erneuten Abstimmen auf. In der regulären Abstimmungsphase zuvor animierte Marco Schreyl die Zuschauer noch nach den Motto: „Früher gab es noch Wählscheiben (…) Heute gibt es Wahlwiederholung, da schafft man drei bis vier Anrufe für Ihren Favoriten in diesen letzten sechzig Sekunden…“ Dass jeder Anruf 50 Cent kostet, wird in dieser Moderation verschwiegen. Ein Schelm, wer Böses denkt. Zumal, weil seit dieser Staffel die Telefonleitungen bereits ab Beginn der Sendung offen sind – Mitbewerber «Unser Star für Baku» lässt grüßen. Auch soziale Netzwerke werden interaktiv mit Fan-Kommentaren on-air eingebunden, wobei die dort vorhergesagte Rauswahl von Kandidat Kristof nicht zutrifft. Dieser machte zuletzt zahlreiche Schlagzeilen über sein Liebesleben – Jede PR scheint gute PR. Stattdessen gehen für Top 16-Nachzüglicher Thomas am gestrigen Samstag die wenigsten Anrufe ein und somit das «DSDS»-Licht aus. „The Show Must Go On“: Nächsten Samstag bei RTL.

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